AGT97102: Von Politikern und Presse (2/3) 24.04.97 2. Teil: Hofberichterstattung mit Korrekturen ------------------------------------ Erinnern wir uns: Den Reigen eroeffnete der ORF. Die Meldung, dass bei einem Provider eine Beschlagnahmung der Geraete wegen des Verdachtes der Verbreitung von Kinderpornographie stattgefunden habe, wurde einfach einmal durch den AEther gejagt. So wie sie von der Pressestelle des Gerichts kam. Es erfolgte keinerlei Hinterfragung, ob denn dies auch Rechtens sei, keinerlei Recherche was dahinter steckt. Wichtig war dem zustaendigen Redakteur des ORF hoerbar (die erste Meldung kam ja im Rundfunk), den Zusammenhang zwischen Internet und Kinderpornographie wieder einmal aufzuzeigen (das empoert die Volksseele ja sooo schoen und steigert die Einschaltquoten) und den heroischen Kampf unserer unerschrockenen Justiz gegen den internationalen Moloch Internet unter Beweis zu stellen. Erst als Seitens des Anwalts der betroffenen Firma Beschwerde erhoben wurde, aenderte man die Berichterstattung langsam ab. Stuendlich wurde die Meldung in leicht veraenderter Form gesendet, bis sie am spaeten Nachmittag endlich einigermassen dem entsprach, was wirklich geschen war und von einer blossen Beschlagnahmung zur Beweissicherung berichtet und der Provider nicht mehr als Verdaechtigten dargestellt wurde. Doch bis dahin hatten es die Leute schon gehoert. Und fuer diejenigen, die das Internet nur vom Hoerensagen kennen, war die Meldung nur noch Wiederholung. Fuer sie war schon klar, stand schon fest, dass das Internet wieder einmal voll von scheusslichem Kinderpornos sei. Pfui! Der Boulevard schlaegt zu ------------------------- "Solch eine Meldung! Wie muss die Seele des Volkes aufschreien! Und wir waren nicht die ersten die berichteten." Dies in etwa koennten die Gedanken von Herausgeber und Redakteuren eines kleinen bunten Massenblaettchens des oesterreichischen Boulevards gewesen sein. Doch Krenn sei dank, hatte der ORF ja die Sache nicht kommentiert, sondern sich - je spaeter der Abend, desto mehr - auf eine vorsichtige Berichterstattung zurueckgezogen und nur mehr die einzelnen Beteiligten zitiert. Das war die Chance fuer das bunte Blaettchen. Man griff sie auf und zog ab sofort taeglich ueber alles im Internet her, unterstrich gebuehrlich, wie abscheulich die Inhaltesind und wie dringend es hier strengster Gesetze bedarf. Welch Unglueck fuer das Massenblatt des Grossmoguls der oesterreichischen Zeitungsherausgeber. Exakt dieselbe Stossrichtung wie der Intimfeind kann man ja nicht waehlen. Und so beschraenkte sich oesterreichs meistgelesene Tageszeitung auf die Berichterstattung. Keine Sorge, nicht auf eine qualifizierte und differenzierte Berichterstattung. Denn die kochende Volksseele braucht ihre Leckereien. Somit war die Kinderpornographie auch hier das Schlagwort. Je schmuddeliger, desto... -------------------------- Den Vogel aber schoss der Kurier ab. Die "OEVP unter den Tageszeitungen" (einerseits in der Mediaprint mitgefangen, andererseits bei weitem nicht so verbreitet wie die kleine grosse Schwesterzeitung, aber immer bemueht - Fettnaepfchen hin, Fettnaepfchen her - die Initiative an sich zu reissen und die groessten Spuren im Napf zu hinterlassen) gab nicht etwa der Fachredaktion den Auftrag der Berichterstattung, sondern einem gewissen Herrn Ernst Bieber, der dann am 29.3. den folgenden Text veroeffentlichen durfte: Kinderporno: Neue Beweise Psychoterror gegen U-Richterin im Internet Immer mehr abscheuliche Kinderpornos kommen bei der Sichtung des beschlagnahmten Internet-Materials zutage, das - wie berichtet - am 20. Maerz in den Computern einer Provider-Firma in Wien-Donaustadt beschlagnahmt wurde. Die juengsten missbrauchten Maedchen sind kaum vier Jahre alt. Viele der Kinder stammen offenbar aus Fernost, einige aus Europa. Wer die scheusslichen Aufnahmen produziert hat, weiss man noch nicht. Man hat allerdings Verdachtsmomente, wer sie im weltweiten Computernetz verbreitet hat. Die Verdaechtigen sitzen in einer Firma in Wiener Neustadt. Der Provider, der dem Kunden den Zugang ins Internet ermoeglichte, weist noch immer jede Schuld von sich. Die Staatsanwaltschaft meint, wie berichtet, allerdings, der Verdacht gegen ihn habe sich erhaertet. Unterdessen wurde gegen die zustaendige U-Richterin Helene Partik-Pable eine Art Psychoterror im Internet gestartet. Ein Internet-Adressat speicherte einen Hausdurchsuchungsbefehl und ein Bild der Juristin ein. In ihrem auf- und zugeklappten Kopft sieht man einen Klo-Saugnapf. Hoehnischer Begleittest: "PlumbO fuer Generelle Stirn-Enge & ahnungsarmes Hard-Liner-Tum". Dr. Partik-Pable: "Das ist ein skandaloeser Versuch, das Gericht unter Druck zu setzen und veraechtlich zu machen." Soweit der Text des Herrn Bieber, der sich dann in der Vorwoche bei der Geschaeftsfuehrung von ViP-Net auch fuer die Art der Berichterstattung und den verzapften Schwachsinn entschuldigte, neueste Informationen einholte und - wieder Unsinn schrieb! Denn er verbreitete, dass gegen vier Personen, drei Maenner und eine Frau, ein Gerichtsverfahren eingeleitet worden sei. Was allerdings nicht stimmt. Denn die vier Personen (die Geschaeftsfuehrer von ViP-Net und eines niederoesterreichischen Franchisenehmers der Firma) wurden bloss einmal zu den laengst faelligen Einvernahmen - diese haetten, zumindest laut Gesetzesverordnung, bereits vor oder zumindest zeitgleich mit der Beschlagnahmung durchgefuehrt werden muessen, aber wen kuemmert's - geladen. Fraegt sich nur, warum Herr Bieber sich nicht als Texter fuer Waschmittelwerbung verdingt. Dort wird "Kreativitaet" dieser Art sicher mehr geschaetzt und besser bezahlt, als in der Redaktion einer Zeitung. Und richtet weniger Schaden an. Fuer einen weiteren Hoehepunkt unsachgemaesser Information sorgten am 27.3. die Oberoesterreichischen Nachrichten, die das Internet schlichtweg zum Pornoladen degradierten. Und das, obwohl dieses Blatt am 24.3. noch durchaus sachlich ueber die Vorgaenge berichtet hat. Ein eher unverstaendlicher Sinneswandel. Doch nicht nur der Boulevard schoss am eigentlichen Thema vorbei. Auch angesehene Zeitungen taten sich bei der Berichterstattung ueber diesen Fall erstaunlich schwer. So konnte auch der, linksliberal eingestufte Standard nicht umhin, in seiner, an sich faeiren Berichterstattung, am 27.3. die Behauptung des Leiters der Staatsanwaltschaft Wien, Hofrat Adolf Korsche, zu zitieren, dass "sich der Verdacht gegen den Provider erhaertet", ohne jedoch irgendwo darauf hinzuweisen, dass das Vorgehen von Staatsanwaltschaft, Gericht und Polizei wahrscheinlich nicht mit dem geltenden Recht vereinbar sei. Und am 7.4. verstieg man sich beim Standard dann gar in die Behauptung, dass der Provider fast alle seine Geraete zurueckerhalten habe und deshalb nun wieder On-Line sei. Aber nicht ohne hinzuweisen, dass die zustaendige Untersuchungsrichterin Helene Partik-Pable den Erfolg der Aktion betont habe und gemeint haette, dass "die Durchsicht der sichergestellten Daten den Verdacht erhaertet habe." Wenn auch der Seitenhieb auf Pable bereits im naechsten Satz folgte, wo es heisst "DenVerdacht gegen Unbekannte, konkretisiert Staatsanwalt Friedrich Forsthuber. Die Spur fuehrt zunaechst nach Wiener Neustadt zur Firma Tugis, die ebenfalls Internetdienste anbietet. Dort endet sie auch.", so hat der Bericht doch einen Schoenheitsfehler - viele der Aussagen stimmen einfach nicht. Denn Newsserver, Proxyserver, Webserver und E-mail-Server wurden ViP bis zum heutigen Tag (15. April) nicht retourniert und, dass der Betrieb seit etwa Anfang April wieder laeuft, liegt nicht an retournierten Maschinen, sondern daran, dass man bei ViP mit Leihgeraeten ein neues Netzwerk aufgebaut hat. Ein Kontrollanruf bei ViP haette diese Fehlinformation verhindern koennen. Aber wozu, wenn das Gericht behauptet.... (Wird fortgesetzt...) MfG Martin Weissenboeck --- E-Mail: mweissen@ccc.at Tel: +43-1-369 88 58-0 Gatterburggasse 7, A-1190 Wien Fax: +43-1-369 88 59-7 ------- This message was distributed via the Listserver of the CCC (Computer Communications Club) - (e-mail 'ccc@ccc.or.at' for info's). To unsubscribe from the list send a message to listserv@ccc.or.at with the following command in the message body: 'unsubscribe agtk' .