Sehr geehrter Kollege Weiss!

Zitat aus Ihrer E-Mail:
>Ins Stammbuch der "Krieger":
>Nur Kleinkarierte, Dummköpfe, Verbohrte, Scheuklappenmenschen und
>eigentlich alle jene, die NICHT auf unsere Schüler losgelassen werden
>sollten, können gegen etwas sein, was - in welcher Form auch immer -
>unseren Schülern Starthilfe in Beruf oder Studium bringt.

Leute die zu einer Diskussion ihre - nehme ich mal an - wohl überlegte Meinung beisteuern, besitzen eine Eigenschaft die vor allem für Lehrer wichtig ist: Sie beschäftigen sich mit bildungspolitischen Themen und bilden sich ihre eigene Meinung darüber. Genau zu solch kritischem Denken sollte man ja eigentlich unsere Schüler/innen erziehen.

Es handelt sich also ganz sicher nicht um Kleinkarierte oder Dummköpfe und um Scheuklappenmenschen schon gar nicht. Gerade in Zeiten von Palladium und Co. (siehe übrigens:
http://moon.hipjoint.de/tcpa-palladium-faq-de.html) ist eine sozial- und bildungspolitische Positionierung als Informatiklehrer wichtiger denn je.

Zitat aus Ihrer E-Mail:
>Konzepte und Grundlagen sind gut (vor allem Konzepte über Konzepte der
>Grundlagen): dafür hat ein anderer den Arbeitsplatz oder Studienplatz!

Gerade dafür hat eben KEIN anderer den Arbeitsplatz, WIR müssen uns Gedanken machen über UnterrichtsKONZEPTE und sozial- und bildungspolitische GRUNDLAGEN.



Nun zu dem Grund der Diskussion:
Im Prinzip bin ich NICHT gegen Zertifikate, aber:

- Das große Problem der Zertifikate ist - wie Koll. Haberstroh schon
geschildert hat- die Firmenabhängigkeit. Und Bildung darf nicht von
bestimmten Firmen gesteuert werden. Objektivität und Allgemeinbildung
wären dann stark gefährdet.

Dieses Argument könnte entkräftet werden, wenn ein Schüler z.B. sowohl
Windows als auch Linux Zertifikate machen muss - im GLEICHEN Umfang.
Und dann haben wir echte Spitzenkräfte, auch wenn mit dem Gewinn an
Breite ein Verlust an Tiefe verbunden ist. Dieser Verlust hält sich aber
in gewissen Grenzen - die Grundlagen bleiben ja dieselben.

- Das Erreichen eines Zertifikats kostet etwas. Kosten die sich manche
Familien nicht leisten können. Damit hätten wir Leute, die sich diese
Qualifikation leisten können und solche, die es nicht können: Bildung
wird zur Geldfrage!!

Dieses Argument könnte man entkräften, wenn die Firmen od. Vereine ihre
Zertifikate "gratis" oder in Form von "Generallizenzen" zur Verfügung
stellen. Die Korrektur sollten professionelle Lehrer-Gremien übernehmen.

- Von anderen Fachgruppen wird uns -gerade in Zeiten der Stundenkürzungen-
gerne vorgeworfen, dass wir nur Kurzzeitwissen lehren und daher ohnehin
nicht viele Stunden brauchen.
Um nicht die dazugehörige Beweisführung selbst anzutreten, müssen wir
Fragestellungen wie "Beschreiben Sie alle Schritte die nötig sind, um
unter Windows XP die Dateinamenerweiterungen bei bekannten Dateitypen
anzuzeigen!" hintanstellen. Der Schüler soll wissen was eine Datei-
namenerweiterung ist und warum sich die Programmierer so etwas einfallen
haben lassen und er soll sie sich in endlicher Zeit anzeigen lassen
können, egal ob unter Win9x oder unter WinXP. Dabei soll er auf jeden
Fall auch die Hilfe konsultieren dürfen.
Auch wir Auto-Didakten haben es nicht anders gelernt, niemand hat uns
Gezwungen, sofort Abläufe auswendig zu lernen.

In der Schule angebotene Zertifikate müssten auch diese Kriterien
erfüllen, denn sonst handelt es sich wirklich um Kurzzeitwissen. Denn
wenn eine neue Version des Betriebssystems mit leicht verändertem GUI
herauskommt, finden die auf eine genaue Reihenfolge von Mauszügen und
Klicks trainierten Leute nicht mehr zum Ziel!
Diese Prämisse gilt natürlich sowohl für Windows- als auch für Linux-
Zertifikate!

- Auch angesichts der kontraproduktiven Stundenkürzungen stellt sich die
Frage: wann soll man die Curricula unterrichten? Ist im Pflichtgegenstand
genug Zeit für die diversen Inhalte? Wenn nicht, was soll man zu Gunsten
des Zertifikats kürzen?
Der Pflichtunterricht darf ganz sicher nicht im Bann des Erreichens EINES
Zertifikats stehen. Auch nicht zertifizierte Inhalte, wie die Auswirkung
der Informationstechnologie auf die Gesellschaft müssen einen
angemessenen Raum bekommen und objektiv behandelt werden.


Hochachtungsvoll,
Leo Willitsch


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