Neulich gefunden in den Oberösterreichischen Nachrichten - die Kolumne des löblichen Christian Schacherreiter auch zu diesem Thema ;-)
 
Grüße sendet
Timo Davogg

OÖN Magazin vom 05.05.2001 - Seite 009  

Die Korrektur der Speisekarte

Von Christian Schacherreiter

Da ich gutes Essen und Trinken zu würdigen weiß, habe ich im Laufe der Jahre nicht wenige Gaststätten, Restaurants und Kaffeehäuser kennen gelernt. Die Qualität der Speisen und Getränke - dies kann ich auf Grund eines reichen Erfahrungsschatzes festhalten - hat mit der Schreib- und Sprachrichtigkeit der Speise- und Getränkekarte nicht zwangsläufig etwas zu tun.

Da aber die Korrektur von Hausübungen, Schularbeiten, Klausur-, Seminar- und Diplomarbeiten seit mehr als 20 Jahren zu meinem täglichen Brot gehört, habe ich mir eine Berufskrankheit zugezogen. Ich kann mich erst dann in Ruhe auf den Inhalt eines Textes (selbst einer Speisekarte) konzentrieren, wenn ich vorher die Rechtschreib- und Grammatikfehler korrigiert habe. Will ich also erfahren, was mir die jeweilige Küche inhaltlich bietet, muss ich zuerst meinen Rotstift zücken und das sprachliche Normenbewusstsein des Küchenpersonals überprüfen.

Meinen langjährigen Beobachtungen zufolge findet man auf den heimischen Speisekarten die meisten Fehler bei der Fallbildung. Tatsächlich ist die grammatikalisch exakte Endung in der deutschen Grammatik ein relativ kompliziertes Unterfangen, das zu Fehlern geradezu einlädt. Was sagt man denn nun wirklich? a) Innviertler Speckknödel mit warmem Krautsalat oder b) Innviertler Speckknödel mit warmen Krautsalat? - Richtig ist Lösung a), denn die Präposition "mit" verlangt den Dativ, und vor einem maskulinen Nomen dieser Deklinationsgruppe endet das Adjektivattribut auf -m.

So weit kann ja die Küche meistens der grammatikalischen Norm noch folgen. Aber die Tücke liegt im Detail, denn wir servieren zwar die Speckknödel mit warmem Krautsalat, aber mit einem warmen Krautsalat. Kommt also der unbestimmte Artikel dazu, mutiert die Endung -em im Adjektivattribut plötzlich zum --en. (Für Deutsch lernende Ausländer sind diese feinen Unterschiede eine Delikatesse, welche die Liebe zu unserer Grammatik ins Unermessliche steigert).

Damit aber noch nicht genug der Variationsmöglichkeiten. Wir können nämlich den Schinken mit frischem grünen Spargel servieren, wenn wir sagen wollen, dass der grüne Spargel heute frisch ist. Wir können den Schinken aber auch mit frischem, grünem Spargel servieren, wenn wir sagen wollen, dass der Spargel frisch und grün ist. Allerdings müssen wir im zweiten Fall die beiden Adjektivattribute durch Beistrich voneinander trennen, weil es sich ja um eine Aufzählung handelt.

Im ersten Fall hingegen ... ach was, egal. Ich will weder die Küchenchefin noch den Kellner zu sehr quälen. Sie sollen sich lieber um das Wesentliche kümmern. Denn trotz meines pädagogischen Schadens reagiere ich zumindest in einer Hinsicht noch einigermaßen normal: Die gelungene Zubereitung der Lammkoteletten auf dem Herd beglückt mich mehr als deren fehlerfreie Formulierung auf der Speisekarte.