PRESSE vom 10 07 01
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Der Wille zur Minderleistung
Quergeschrieben: Der "Presse"-Kommentar von außen VON RUDOLF BRETSCHNEIDER
Die Österreicher gelten als fleißig. Vielfach zurecht. Arbeit ist vielen von ihnen wichtig. Nicht nur als Lebensmittel, sondern oft als Lebenszweck. Sie freuen sich über die erbrachte Leistung - in Berufs- und Freizeitarbeit. Sie widerlegen das gängige Vorurteil, daß der moderne Mensch nur mehr die Freiheit der Freizeit suche. Viele halten die Arbeit noch immer für die auf Dauer am wenigsten langweilige Beschäftigung. Freilich gibt es auch Vorbilder - oder soll man sagen Modelle? - für heroisierte Minderleistung. Dem Versuch einer Reform des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger begegnen dessen Spitzenvertreter nicht mit dem Hinweis auf Veränderungsleistungen, positive Bilanzen oder hohe Kundenzufriedenheit, sondern mit Beharrungsreaktionen. Sie verweisen auf ein Defizit, das abzudecken sei; ersehnen - als Funktionärsweg zum Strukturbetonierungserfolg - Beitragserhöhungen; und malen für den Fall ihres Falles eine Zwei-Klassen-Medizin an die Wand, die es längst gibt. Und sehen - als Gewerkschaftsvertreter - die "Zerstörung des Landes", wenn die Führungsstruktur des Hauptverbandes geändert wird. Vor ein paar Monaten sah ein anderer Gewerkschafter "die Republik brennen" (drohend gemeint). Und tatsächlich "brennt" diese ja auch oft genug. Im übertragenen Sinn. Gewerkschafter sind nicht die einzigen, die die Gefahr von Mehrleistung mindern wollen. Auch unter den Lehrern finden sich immer wieder Vorbilder für ambitionierte Minderleister. Ich wähle dieses Beispiel, obwohl ich weiß, daß Lehrer lesen und schreiben können, empfindlich auf Kritik reagieren und die Wahrscheinlichkeit bitterböser Leserbriefe daher hoch ist. Und so erkläre ich hier vorweg, daß ich den zitierten Fall für eine extreme Ausnahmeerscheinung halte, der lediglich dadurch bedeutsam wurde, daß er medial ("Report" vom 3. 7. 2001) in Erscheinung trat. Unter anderem war ein Kustos zu sehen (ein "Wächter" bzw. "Aufseher" über die Geräte oder wissenschaftlichen Sammlungen). Er erklärte, daß er der Mehrleistung, wie sie durch das Ministerium gefordert wurde, durch Minderleistung bei seiner Kustodentätigkeit begegnen würde. Es würden eben die Geräte langsamer repariert und manchmal nicht zur Verfügung stehen. Da plant einer Dienst nach Vorschrift. Oder auch passive Resistenz. Ob manche Kollegen bei der häuslichen Vorbereitungsarbeit für den Schulbetrieb ebenso vorgehen? Manche freilich sind damit unglücklich. Schuluntersuchungen zeigen, daß viele Lehrer über das mangelnde Engagement der Kollegen klagen, weil sich die Last des Betriebs höchst ungleich verteilt. Das Einstellungssyndrom der "inneren Kündigung" (äußerlich anwesend, innerlich absent) gibt es in jedem Betrieb. Frappant ist das gute Gewissen, mit dem eine solche Haltung zur Schau getragen wird. In jedem Privatunternehmen hätte dies (mindestens) einen Karriereknick zur Folge. Schmoll- und Grollgebärden mancher Lehrer genießen aber höchstgewerkschaftliche "emotionale" Sympathien. Öffentlich ausgedrückt. Ich stelle mir vor, welchen Eindruck derartiger Minderleistungswille auf Jugendliche macht, die de facto eine 45-50 Stunden-Woche haben, von denen erwartet wird, daß sie fürs Leben und für die Schule lernen, für jedes Fach so, als wäre es das Wichtigste. Ich halte es für unzumutbar, daß sie von manchem Lehrervertreter medial vorgeführt bekommen, daß eine Mehrleistung für die Lehrenden "unzumutbar" ist und das mit der Drohung, Leistungen, die für den Schulbetrieb notwendig sind, einzuschränken. "Man dankt es seinen Lehrern schlecht, wenn man nicht über sie hinauswächst", heißt es. "Kustoden", die ihren Einsatz verringern, sind allzu leicht zu übertreffen - und zu vergessen. Der Autor ist Meinungsforscher und Chef des Fessel-Gfk-Instituts.
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