PRESSE vom 10 07 01
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Wiens neue Stadtschulratschefin: Die Gesamtschule ist "anachronistisch"
Susanne Brandsteidl, Wiens SP-Stadtschulratspräsidentin, garantiert die Abhaltung von Schul-Veranstaltungen trotz Lehrer-Boykotts, falls ein Beschluß der Schulgemeinschaft vorliegt. Die Gesamtschule ist für sie nicht zeitgemäß.
VON RAINER NOWAK
Er ist der ganze Stolz von Susanne Brandsteidl: Rund, groß, modern und aus bruchsicherem Glas ist der Besprechungstisch im Büro der amtierenden Stadtschulratspräsidentin. Seit drei Monaten ist Brandsteidl nun im Amt, die Idee, daß alle Streit- oder Konfliktparteien an einem Tisch sitzen und dort eine Lösung finden, hat Brandsteidl nicht aufgegeben. Einen runden Tisch hat sie angesichts der Boykottdrohungen der Lehrergewerkschaft vorgeschlagen. Ein runder Tisch soll eine Lösung finden, wohin das Evangelische Gymnasium aus der Argentinierstraße übersiedeln soll, wenn es seinen Standort an das Bundesgymnasium in der Hegelgasse14 abgeben muß. Die politisch fast naiv anmutende Hoffnung auf die Einigung am runden Tisch verteidigt die Stadtschulratspräsidentin (SP) im Gespräch mit der "Presse" etwa beim Streitthema Boykottdrohungen der Lehrer. Die Gewerkschaft droht, Skikurse, Sprachaufenthalte und Projektwochen abzusagen. Brandsteidl: "Es wird nicht alles so heiß gegessen." Sie rechne damit, daß sich in den meisten Fällen, in denen von Absage die Rede ist, eine Lösung finden läßt - am runden Tisch.
Brandsteidl: "Es darf auf keinen Fall zu einem Bruch der Schulpartnerschaft kommen." Die Zusammenarbeit zwischen Vertretern der Schüler, Eltern und Lehrer im Schulgemeinschaftsausschuß (SGA) sei ein großes Plus an den Schulen. Sie verspricht, daß alle Schulveranstaltungen, die vom SGA beschlossen worden seien, durchgeführt werden. "Als Dienstgeber gibt es klare Richtlinien, die eingehalten werden, es ist meine Aufgabe, daß aufrechte SGA-Beschlüsse exekutiert werden", so Brandsteidl. Allerdings: "Ich kenne einzelne AHS-Standorte, wo ich Befürchtungen habe, daß die Zusammenarbeit zwischen Lehrern, Schülern und Eltern nicht so gut funktioniert." Für Veranstaltungen in mehreren Schulen gibt es zudem keinen aufrechten Beschluß des SGA. In den vergangenen Wochen sei sie häufig mißverstanden worden, meint Brandsteidl. So habe sie vor der Wiener Gemeinderatswahl nie als Gewerkschaftsfunktionärin gesprochen. "Ich bin nur ganz normales Mitglied in der Gewerkschaft, wie viele andere auch." Allerdings habe sie als Vertreterin des Bundes Sozialdemokratischer Akademiker Protestmaßnahmen gegen den Sparkurs der Bundesregierung für sinnvoll erachtet. Nun sei sie Repräsentantin der Schulbehörde. Und als solche sei sie trotz Kritik am Sparkurs der Bundesregierung nicht nur auf
Konfrontationskurs: Zu Bildungsministerin Elisabeth Gehrer, ÖVP, habe sie ein gutes Arbeitsverhältnis. Dieses braucht sie, um Unterstützung für die Finanzierung eines Auswahlverfahrens für Schulleiter zu bekommen. Bis Herbst wird derzeit ein neues Modell konzipiert, sagt Brandsteidl. In den vergangenen beiden Jahren wurde das Verfahren von externen Beratern durchgeführt, um zu verhindern, daß die Parteizugehörigkeit der Bewerber eine Rolle spielt. Brandsteidl präzisiert im "Presse"-Interview ihre
Vorstellung: Die externen Personal-Berater sollen das Verfahren im Stadtschulrat überwachen und begleiten. Bisher wurde das Verfahren zur Gänze extern durchgeführt, dabei fielen Kosten von rund 100.000 Schilling (7.276
Euro) pro Verfahren an. Zuviel für einen einzelnen Posten, meint Brandsteidl. Wenig Freude hat Brandsteidl mit der Einteilung von Ferien und freien Tagen an Österreichs Schulen: "Es ist eigentlich eine klare Aufgabe des Gesetzgebers, daß der sagt, wann die Schule offen ist und wann nicht." Sie stehe zwar klar zur Schulautonomie, aber daß jede Schule ihre freien Tage selbst fixieren kann, sei wenig sinnvoll. Auch die derzeitige Einteilung der Ferien (zwei Monate Sommerferien) sei reformbedürftig: "Es gibt zahlreiche Studien, die sagen, es sei sinnvoller, das Schuljahr in gleichmäßige Blöcke aufzuteilen." Lehrer, Eltern, Schüler und Experten müßten langfristig zu einer Einigung kommen. Brandsteidl plädiert auch für eine Veränderung der Oberstufe: "Dies ist ein weites Feld an Reformbedarf. Eigenständiges Arbeiten, Präsentationsformen, Rhetorik, die Vorbereitung auf ein Universitätsstudium sind dort nicht optimal gegeben. In der Organisation des Unterrichts klaffen 10- und 18jährige nicht wirklich weit auseinander." Den 16- bis 18jährigen könne man aber mehr zutrauen, ihnen etwa die eine oder andere Wahlmöglichkeit geben. Generell meint Brandsteidl, Nachfolgerin des nicht ganz freiwillig abgetretenen Kurt Scholz: "Die Ideologie müssen wir über den Haufen schmeißen." Die Diskussion über die Gesamtschule sei etwa wenig hilfreich für die Schule. Was sie persönlich von der Gesamtschule halten? Brandsteidl: "Ich halte sie für anachronistisch." Generell seien derzeit in Wien die Schülerzahlen noch leicht steigend: "Das hält noch einige Jahre an, dann wird es leicht sinken." Derzeit würden aber noch immer mehr Schulen geöffnet als geschlossen, meint Brandsteidl. Beim Problem des privaten Evangelischen Gymnasiums, das aus der Argentinierstraße ausziehen muß, verspricht sie eine rasche Lösung: "Das teure, aber wichtige Projekt wird ein neues Gebäude bekommen." Sie werde sicher eine Lösung finden - mit allen Betroffenen am runden Tisch.
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