Aus der Frankfurter Rundschau vom 20 07 01 - als Hintergrundinformation sicher interessant
 
http://www.fr-aktuell.de/fr/index.htm

Die Bewegung Attac - eine salonfähige Attacke

Von Martina Meister

Im bunten Spektrum der Globalisierungsgegner gehörten sie von vornherein zu denjenigen, die mit Worten schossen, nicht mit Tomaten. Seit sogar Premier Lionel Jospin dieses Frühjahr eine Stelle für einen "Antiglobalisierungsspezialisten" in seinem Kabinett ausgeschrieben hat, ist die Attac-Bewegung endgültig salonfähig geworden. 120 der knapp 600 Abgeordneten der Nationalversammlung sind mittlerweile der Bürgerinitiative beigetreten und haben sich im Mai zu einem "Koordinationsbüro der Nationalversammlung" zusammengeschlossen. Die Abgeordneten, so sagt es der Sozialist Yann Galut, hätten sich schon lange gegen das Gefühl wachsender politischer Ohnmacht zur Wehr setzen wollen und seien nun entschlossen, die "politische Waffe", die sie internationalen Institutionen und Finanzmärkten kampflos überlassen hätten, zurückzuerobern. Als etwa die Firma Danone im Frühjahr bekannt gab, trotz des Gewinns von 4,7 Milliarden Franc im vergangenen Jahr 1800 Stellen abzubauen, ist Galut mit anderen Abgeordneten dem Attac-Aufruf zum Boykott von Danone-Produkten gefolgt. Einige Bürgermeister haben sofort die Kekse des Nahrungsmittel-Multis aus den Schulkantinen verbannt.

Längst haben die Parteien des linken Spektrums in Frankreich begriffen, dass die anti-neoliberale Protestbewegung bei künftigen Wahlen ins Gewicht fallen wird. Mit Erleichterung nahmen sie die Nachricht auf, dass Bauernführer und Symbolfigur José Bové bei den Präsidentschaftswahlen nicht kandidieren wird. So ist aus einer Hand voll anfangs als Sozialutopisten verlachter Aktivisten in drei Jahren eine einflussreiche Bewegung geworden.

Kein Zufall ist, dass die Attac-Bewegung, die heute Ableger in 27 Ländern hat, in Frankreich entstanden ist. Ein eher diffuses Unbehagen an der Globalisierung äußerte sich schon in den Streiks während des "roten Herbstes" 1994. Intellektuelle wie der Soziologe Pierre Bourdieu gingen nach langer Abstinenz wieder auf die Straße und lieferten theoretische Schützenhilfe für soziale Proteste. Ausschlaggebend war dann ein Leitartikel in Le Monde diplomatique. Ignacio Ramonet, Chefredakteur der Zeitschrift, hatte nach der Finanzkrise in Asien im Dezember 1997 für die "Entwaffnung der Märkte" plädiert. Seine Kritik an der Macht der Finanzmärkte, die sich zu einem "eigenen Staat", zu einem "wahrhaften Weltstaat" ohne demokratische Kontrolle entwickelt hätten, löste eine Welle von über 5000 Leserbriefen aus. Ramonet hatte das diffuse Ohnmachtsgefühl als Folge einer realen Entmachtung der Demokratien durch die Finanzmärkte beschrieben und Lösungsvorschläge angeboten. Er griff eine Idee des US-Nobelpreisträgers für Wirtschaft, James Tobin, von Anfang der 70er Jahre auf: Mit der Besteuerung von nur 0,1 Prozent des Finanztransfers "Sand in das Getriebe der Spekulation zu streuen".

Sechs Monate später, am 3. Juni 1998, war Attac gegründet. Hinter dem Aufruf zur Attacke verbirgt sich indes keine gewaltbereite Gruppe, sondern die mit ökonomischer Theorie gesättigte "Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürger", die nicht auf Gewalt, sondern auf Aufklärung setzt. In ihrer dezidiert ökonomischen Kritik an der Globalisierung und Liberalisierung der Finanzmärkte und mit ihren konkreten Vorschlägen ist Attac aber eine Ausnahme unter den Globalisierungsgegnern. Attac tritt für eine gerechtere Weltordnung ein und hofft, mit der Tobin-Steuer, die auf kurzfristig angelegte Währungstransaktionen entrichtet werden soll, das Armutsgefälle zwischen Industrie- und Entwicklungsländern auszugleichen. Als Tobin zu Beginn der 70er Jahre die Idee zum ersten Mal formulierte, belief sich die kurzfristige Spekulation mit anderen Währungen auf ungefähr 81 Millionen Dollar täglich. Heute erreicht sie jeden Tag, so schätzt Susan George, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats von Attac, ein Volumen von 1,5 Milliarden Dollar.