SN 20 07 01
 
http://www.salzburg.com/sn/01/07/20/seite1-24206.html

Die Urabstimmung ist noch keine Destabilisierung


DER STANDPUNKT



SYLVIA WÖRGETTER

Wirklich aufgeregt hat sich nur Jörg Haider: die Urabstimmung über Kampfmaßnahmen, die die Gewerkschaft im Herbst unter ihren Mitgliedern durchführen wird, ist für ihn "der Beginn einer groß angelegten Destabilisierungskampagne, um die Regierung aus dem Amt zu heben".

Abgesehen davon, dass der Mann während der Jahre seiner FPÖ-Obmannschaft selbst nach nichts anderem trachtete, als die damaligen Regierungen aus dem Amt zu heben, um die "Dritte Republik" einzuläuten, greift sein Vorwurf der Destabilisierung nicht. Aus zwei Gründen. Erstens: Wenn in den vergangenen Monaten destabilisiert wurde, dann von Seiten der Regierung; die Urabstimmung ist nur eine Antwort auf deren Politik. Zweitens: Die Urabstimmung schließt eher aus, dass es zu dem kommen wird, was Haider an die Wand malt - Generalstreik und Staatsnotstand.

Denn die Österreicher schrecken mehrheitlich auch im raueren "Wendeklima" vor äußersten gewerkschaftlichen Kampfmitteln zurück. Kein Wunder in einem Land, in dem Streiks seit Jahrzehnten in Sekunden pro Arbeitnehmer gemessen werden. Wenn also die 1,4 Millionen ÖGB-Mitglieder im Herbst nach den ihrer Ansicht nach geeigneten Maßnahmen gefragt werden, ist anzunehmen, dass sie ihr Kreuz nicht beim Generalstreik machen werden. Aktionstage, Betriebsversammlungen, Demonstrationen, allenfalls noch in Minuten oder wenigen Stunden bemessene Warnstreiks und harte Lohnrunden (wobei die Unternehmer nichts für die Regierungspolitik können) treffen da eher des Österreichers Geschmack.

Aber auch diese "weichen" Maßnahmen sind - aus der langen, von Sozialpartnerschaft und Konsensdemokratie geprägten Tradition des Landes betrachtet - scharf genug. Dass sie erstmals in der Zweiten Republik per Mitgliederabstimmung sowohl von christlichen wie sozialdemokratischen Gewerkschaftern gemeinsam in Betracht gezogen werden, ist Reaktion auf die von der Regierung betriebene Destabilisierung.

Zwar ist sehr zu begrüßen, dass die Sozialpartnerschaft nicht mehr als "Nebenregierung" agieren kann. Die Regierungspolitik, zuvorderst die der FPÖ, scheint aber auf den völligen Hinauswurf der Sozialpartner abzuzielen: aus der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen und des Arbeitsmarktservices, aus der Mitentscheidung über die neue Abfertigung.

Was hat Jörg Haider im April vorigen Jahres noch gleich über die Sozialpartnerschaft auf Arbeitnehmerseite gesagt? Ein "autoritäres System" sei diese. Und: "Wenn die FPÖ Ernst macht, ist das vorbei." Und da wundert er sich nun über eine Urabstimmung, die genau das, nämlich die "Ausschaltung der Sozialpartnerschaft in sozialen Fragen" und "Eingriffe in elementare Mitbestimmungsrechte" zum Anlass nimmt.