Ein namentlich nicht gekennzeichneter Kommentar aus den SN vom 21 07 01
http://www.salzburg.com/sn/01/07/21/seite3-15550.html
Und jetzt bitte noch die Urwahl
Es ehrt den ÖGB, dass er zu einem so urdemokratischen Mittel wie einer Urabstimmung greift, um endlich einmal auch dem einfachen Mitglied Gelegenheit zu geben, sich in einer wichtigen Angelegenheit Gehör zu verschaffen. Aber es gäbe da eine noch viel wichtigere Angelegenheit, die von den Gewerkschaften urdemokratisch zu lösen wäre.
Das Stichwort dazu heißt Urwahl und es bedeutet, dass sich die Oberen in ÖGB und Einzelgewerkschaften endlich einer transparenten Wahl durch die Basis stellen sollten.
Früher wurde über Urwahlen oft diskutiert, aber das ist lange her. Schade für den ÖGB, denn es gibt keinen Zweifel daran, dass Gewerkschaften auch deshalb Mitglieder verlieren, weil ihre Machtstrukturen so un-übersichtlich sind.
Der Apparat bestreitet eigensinnig, dass die Gewerkschaft undemokratisch sei, denn die Hierarchie beginne an der Basis, in den Betrieben, bei den Betriebsräten. November 1996 stand in den SN:
"Der ÖGB ist tatsächlich nicht undemokratisch, er ist so demokratisch, wie man es 1945 nur gewesen sein konnte - und damals hat ein großer Hunger nach Demokratie bestanden. Freilich, 1945 hatten die Menschen wenig Zeit, sich direkt um die Politik zu kümmern - sie räumten Trümmer weg, gingen hamstern, kehrten aus dem Krieg heim, und alle miteinander bauten sie aus den Trümmern die Zweite Republik. Politik mussten andere machen, und es gab zum Glück Persönlichkeiten, denen das Volk vertraute und an die es bedenkenlos die politische Macht delegierte. In den Betrieben waren es die Betriebsräte, denen die Werktätigen vertrauten und die Befugnis einräumten, die Hierarchie des neu entstandenen ÖGB so zusammenzusetzen, wie sie es für richtig hielten. Das Verfahren ist so geblieben.
Nein, der ÖGB ist nicht undemokratisch, nur die Demokratie, oder das, was die Menschen unter Demokratie verstehen, ist anders geworden. Der erste Satz unserer ungeschriebenen Verfassung lautet: Alles Misstrauen geht vom Volke aus. Misstrauen gegen Institutionen und Politiker und Misstrauen, wenn schon nicht gegen die Betriebsräte, so doch gegen die Großkopferten, die von den Betriebsräten gewählt werden. Das hat der ÖGB noch nicht verarbeitet. Er ist nicht undemokratisch, nur uneinsichtig."
Er ist es bis heute geblieben. Die Oberen trauen sich noch immer nicht, den Mitgliedern die persönliche Vertrauensfrage zu stellen.