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23.07.2001
Das Ende des Dialogs
Genoa Social Forum: Polizei prügelte bei G-8-Gipfel Offensivstrategie durch _________________________________________________________________
»Das Schwarz von diesem Schwarzen Block war das Schwarz der Faschisten, nicht das der Anarchisten.« Teresa Mattei, Abgeordnete der konstituierenden Versammlung der Italienischen Republik 1948, spricht am Sonnabend als eine der zahlreichen Augenzeugen auf der Pressekonferenz des »Genoa Social Forum« über den »Tag des zivilen Ungehorsams« am vergangenen Freitag.
Die verschiedenen Netzwerke dieses Bündnisses hatten sich an diesem Tag an verschiedenen Plätzen der italienischen Hafenstadt verabredet, wo sie sich sammeln wollten, um von dort aus in kleinen Demonstrationszügen in die Nähe der gesperrten »roten Zone« zu kommen. Die Berichte über die Züge gleichen sich: Schwarz Vermummte, voll ausgerüstet mit Helmen, Schilden, Knüppeln, Gasmasken und Pflastersteinen mischen sich in den Demozug, verwüsten die Umgebung, setzen Geschäfte und Autos in Brand, hinterlassen eine Spur von Krieg. Wie auf ein Zeichen hin zieht die Polizei an den Punkten auf, wo die Schwarzen toben - und attackiert die friedlichen Demonstranten. Sie schießt scharfes Tränengas direkt auf die Menschen und rast mit leichten Panzern und Wannen in die Menge. Die einen bereiten die Aktionen der anderen vor. Die Polizei aber läßt die ersteren gewähren und geht mit Knüppeln und viel Gas, manchmal auch Gummigeschossen, auf die ausnahmslos friedlichen Demonstrierenden los, jagt sie wie die Hasen, macht auch vor Journalisten und Sanitätern nicht halt und schneidet ihnen die Fluchtwege ab. Geprügelt werden auch unbeteiligte Passanten, solche, die stürzen, am Boden liegen, davonrennen. Am Ende schießt sie scharf und tötet gezielt - natürlich im Demonstrationszug der Bewegung »Tute bianche«, auf die sie es schon die ganze Zeit abgesehen hatte, und die schon vor Wochen Razzien und Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen mußten. José Bové sprach auf einer Pressekonferenz von Bildern, die ihn an die Verhältnisse im Gazastreifen erinnerten, wo er vor zwei Wochen gewesen ist.
Am Sonnabend morgen hofft das Bündnis noch, die schiere Masse der für den Großprotest gegen den G-8-Gipfel geströmten Demonstranten werde für diesen Tag einen anderen Ablauf sichern. Diese Hoffnung erfüllt sich nicht. 200 000 Menschen strömen auf der Seepromenade von Osten her in die Stadt. An dem Punkt, wo die Demonstration vom Meer stadteinwärts einbiegt, tauchen kleine Gruppen von »Schwarzen« auf und verwüsten die Umgebung - das Zeichen für die Polizei anzugreifen. Die
Hand-in-Hand- Strategie geht auf: die Demonstration wird in verschiedene Seitenstraßen abgedrängt, die Polizei setzt mit massiven Tränengasangriffen nach und zerstiebt sie in Dutzende von getrennt agierenden Gruppen. Das Ausmaß der Verwüstungen übertrifft das vom Vortag bei weitem.
Die Polizei gibt sich jetzt nicht mehr viel Mühe, ihre Zusammenarbeit mit dem Schwarzen Block zu verbergen: Hinter einem Haufen Containern in der Nähe des Polizeihauptquartiers wechseln Polizisten ihre Kleidung, von der Uniform in die schwarze Kluft. Der Senatsabgeordnete Gigi Malabarba hat bei einem Besuch der Verhafteten im Polizeiquartier gesehen, wie schwarz Vermummte in voller Montur und mit ihren Waffen seelenruhig in das Polizeiquartier spazierten und sich dort mit den Polizisten unterhielten, unter anderem auf französisch und deutsch.
In der Nacht zum Sonntag stürmt die Polizei das alternative Pressezentrum und schlägt die dort Schlafenden auf brutale und sadistische Weise zusammen. Auf der Bilanzveranstaltung des »Genoa Social Forum« ist die Einschätzung einhellig: Das Neue an Genua ist, daß die Polizei erstmals eine Offensivstrategie gesucht hat. Wer diese Aufmärsche gesehen hat, wußte, diese Polizei will nicht Ausschreitungen verhindern, sie hat es nicht auf bestimmte Teile der Demonstrationen abgesehen, sie kesselt nicht ein - sie will angreifen, die Existenz der Demonstration selbst angreifen, sie probt den Bürgerkrieg.
Mit dem Tag, als der G 8 begann, hörte der Dialog auf. Über das Geschehen bestimmte nur noch der Polizeiminister, und dessen Strategie
lautete: mit Hilfe von Provokateuren Panik und Schrecken säen. Der Schweizer Soziologe Riccardo Petrella scheut in Genua nicht den Vergleich mit den Todesschwadronen.
Die Linie der Gewalt und der Kriminalisierung der Demonstranten zieht sich seit Göteborg über Salzburg und Barcelona wie ein roter Faden durch die Gegengipfel. Petrella erklärt die neue Linie mit den Erfolgen der Bewegung: »Uns ist es in den letzten Jahren gelungen, die Verantwortlichen für die globalen Zerstörungen zu delegitimieren. Wir haben zwei wichtige Erfolge erzielt: Wir haben das MAI verhindert und das Scheitern der Millenniumsrunde in Seattle sichtbar gemacht. Wir haben dem Gedanken Glaubwürdigkeit verliehen, daß Alternativen zum Bestehenden machbar sind. Sie aber können uns nicht als Verhandlungspartner behandeln. Mit uns verhandeln würde bedeuten, daß sie bereit sind, die neue Weltordnung und vor allem die US-amerikanische Hegemonie in Frage zu stellen. Ein Dialog ist deshalb nicht möglich. Sie können sich eine Legitimität nur noch mit Gewalt verschaffen, indem sie uns kriminalisieren.«
Angela Klein, Genua
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