Standard 25 07 01

Numerus clausus für Kinder
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Über Probleme im Schulwesen wird nie umfassend und seriös diskutiert
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Martina Salomon
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Soll es einen Numerus clausus für Volksschüler geben, die in die AHS wechseln wollen? Die Koalitionsparteien stellen sich etwas Ähnliches vor, auch wenn es als größeres Aufnahmeverfahren schöngeredet wird. Und wie im- mer in Sachen Schulpolitik teilt sich das Land reflex- artig in Rot(-Grün) und Schwarz(-Blau): Die einen lehnen kategorisch alles ab, was nach Leistungskriterien riecht. Die anderen schäumen über niveausenkende Streichelpädagogik. Faktum ist: Es gibt Probleme, aber keine Patentrezepte im Schulwesen. Auf dem Land geht die Mehrheit der Kinder in die Hauptschule. In den städtischen Ballungsgebieten, insbesondere in Wien, ist hingegen die AHS zunehmend zur Einheitsschule geworden.

Die Hauptschule gilt als deklassiert und als Hort der unteren sozialen Schichten (inklusive hohem Anteil von Kindern nicht deutscher Muttersprache). Diesem schlechten Image haben die Hauptschulen - teils erfolgreich - inhaltliche Schwerpunktbildung entgegengesetzt. Außerdem hat die Wiener Stadtpolitik mit ein wenig Brimborium und einer Umbenennung am Image einiger Hauptschulen poliert, die sich jetzt "kooperative Mittelschule" nennen dürfen. Das klingt für Eltern und Kinder akzeptabler.

Trotzdem müssen immer mehr Hauptschulen schließen. Ausbildung dort plus Lehre gilt in Wien als unattraktiv. Der Nachwuchsmangel in diesem Bereich ist bereits spürbar. Eine brauchbare Alternative - handwerkliche Ausbildung plus Matura - wird lediglich zwei Privatschulen in Salzburg und Wien überlassen. Politische Diskussion gibt es über dieses Modell erstaunlicherweise keine.

Dafür hat man in den letzten Jahren in Kauf genommen, dass es viele Wiener Gymnasiasten gibt, die in keiner AHS auf dem Land eine Chance gehabt hätten. Das hat den Privatschulen mit strengem Ruf plötzlich ein neues Feld
eröffnet: Sie gelten als Zukunftsinvestition in die Kinder, weil es dort angeblich eine "bessere Matura" gibt. Firmen werden in Zukunft wahrscheinlich fragen, wo der Jobanwärter maturiert hat. Somit hat trotz des vordergründig egalitären Systems längst jene soziale Selektion eingesetzt, die die SPÖ zu Recht befürchtet.

Dass diese Schieflage mit einem punktuellen Aufnahmeverfahren wieder ins Lot gebracht werden könnte, ist jedoch kaum zu erwarten. Selbst manche ÖVP-Politiker meinen hinter vorgehaltener Hand, dass eine Selektion schon im zehnten Lebensjahr zu früh sei und die ersten sechs Schulstufen gemeinsam verbracht werden sollten.

Außerdem haben diverse Aufnahmeverfahren mehrere Haken: Da Volksschüler üblicherweise alle vier Schuljahre vom selben Lehrer unterrichtet werden, wären Kinder mit den besseren Pädagogen oder - geht es streng nach Zeugnis - mit den gütigeren Benotern klar bevorzugt. Abgesehen davon würde sich die soziale Schere weiter öffnen: Bei einem weiteren Testverfahren sind Kinder von gebildeten Eltern, die auch sonst daheim brav die Referate ihrer Sprösslinge schreiben und mit ihnen Schularbeitsstoff pauken, wieder im Vorteil. Und wie soll ein Prognoseverfahren eigentlich aussehen, das über die jetzt schon vorhandene Beurteilung des Volksschullehrers hinausgeht? Vielleicht ein Assessmentcenter für jeden künftigen AHS-Schüler?

Natürlich wäre es längst sinnvoll gewesen, ins Schulwesen standardisierte Tests einzubauen, damit jeder Schüler und jeder Lehrer zumindest gelegentlich überprüfen kann, wo man leistungsmäßig im Vergleich steht. Doch als vor drei Jahren den Volksschulen ein derartiger Lesetest zur Verfügung gestellt wurde, sah vor allem die SPÖ rot. Von "Amoklauf" und "mittelalterlich" war da die Rede. Die Bildungsministerin bekam offensichtlich weiche Knie und führte eine Schmalspurvariante ein: Auf freiwilliger Basis können seither die Schulen den Lesetest ordern.

Fazit: Hier und dort an der Schraube zu drehen bringt das Schulwesen nicht weiter - genauso wenig wie die üblichen reflexartigen Reaktionen.




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