-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Mag. Herbert Till [mailto:herbert.till@utanet.at]
Gesendet: Montag, 30. Juli 2001 05:58
An: lehrerforum@ccc.at
Betreff: Amonsches Ausleseverfahren
Ich dachte es sei ein Aprilscherz! Aber vielleicht lügt das heutige Format: "Reif, auch ohne Prüfung Die ÖVP- und FPÖ-Bildungssprecher Amon und Schweitzer wollen eine Aufnahmeprüfung fürs Gymnasium, die sie selbst möglicherweise gar nicht bestanden hätten. Auch egal: Ihre und andere Karrieren zeigen, daß man im Leben mehr lernt als in der Schule. Besucher, die mit dem Flugzeug nach Österreich reisen, können sich schon im Bordmagazin der Austrian Airlines über die intellektuelle Elite des Landes informieren. Großflächig wirbt darin die Privatuniversität IMADEC mit ihren prominenten Absolventen. An erster Stelle; Werner Amon, MBA; „Member ofPar-liament, Republic ofAustria". Amon ist nicht nur selbst bestens ausgebildet (aus seinem Lebenslauf: Absolvent des Lehrgangs für interkulturelles Lernen, Absolvent des Universitätslehrgangs für Werbung und Verkauf, MBA an der IMADEC), sondern kümmert sich als VP-Bildungssprecher auch aufopfernd um den geistigen Nachwuchs in Österreich. Montag vergangener Woche verblüffte er die Öffentlichkeit mit seinem Vorschlag, ein „Aufnahmeverfahren" für allgemeinbildende höhere Schulen (AHS) einzuführen. Seine Begründung: Die Selektion in den Schulen fände zu spät statt, die Gymnasien sind verstopft mit Jugendlichen, die für diese Bildungsstätte eigentlich nicht geeignet sind. Das Kuriose daran: Amon selbst wäre an einer solchen Hürde wohl gescheitert, wenn es sie damals gegeben hätte. Denn der heutige Bildungsreferent war alles andere als ein Vorzugsschüler. Er hatte einen Dreier in Deutsch - in der vierten Klasse Volksschule -, selbst heute noch ein schweres Hindernis für die weitere Schulkarriere. Sogar die Volksschullehrerin riet Amons Mutter ab, ihren Sohn aufs Gymnasium nach Knit-telfeld zu schicken. Sie tat es doch. Mit zweifelhaftem Erfolg. Gymnasialdirektor Bernd Pristauz: „Er war kein besonders guter Schüler. Seine Interessen lagen offenbar woanders." Nach vier Jahren beendete Amon seine dortige Karriere. Bis zur Maturareife hat er es nie geschafft.Amon schlägt dafür jenen Weg ein, den viele Schulab-brecher wählen - unterschiedliche Ausbildungsphasen, oftmals mit großen Pausen
undVerzögerungen: zwei Jahre Handelsakademie in Judenburg, dann Umstieg in die dortige Handelsschule, die er nach insgesamt fünf Jahren abschließt (vorgesehen sind drei). Gleichzeitig beginnt er sich für Politik zu interessieren, wird Landes- und Bundesschulsprecher, engagiert sich in der jungen ÖVP. Sehr bald merkt Amon: Ohne Titel läuft wenig in diesem Bereich. Sein Ziel: zumindest ein MBA, damals gerade in Mode und relativ einfach zu bestehen. Der Haken: Matura ist Voraussetzung. Schlußendlich profitiert der spätere Bildungspolitiker von der Durchlässigkeit des österreichischen Systems, das er momentan gerade bekämpfen will. Es braucht nur einen kleinen Umweg: Amon bewirbt sich für den WU-Lehrgang für Marketing und Verkauf. Auch dort ist eigentlich die Reifeprüfungvoraussetzung - wer jedoch sechs Jahre Berufserfahrung hat, wird ebenfalls akzeptiert. Amon, inzwischen 29 und bereits VP-Abgeordneter, wird aufgenommen. Mit dem Lehrgangsdiplom in der Tasche klopft er wiederum bei der Privatuni IMADEC an. Die geben sich großzügig, werten sein WU-Diplom als „kleinen" Studienabschluß
(Baccalau-reat) und verhelfen ihm so zum langersehnten akademischen Titel. " Bericht von Holger Fürst FORMAT 31/01
Wenn gleich ich alles andere als ein Vorzugsschüler war, ist es mir bis dato nicht gelungen, eine derart profunde praktische Erfahrung des österr. Schulsystems wie Herr Amon zu erlangen. Es scheint sich hier um eine ganz besondere Form der Qualifikation für einen Politiker und insbesondere Bildungssprecher zu handeln. Unverständlich ist mir allerdings, warum sich einzelne Teilnehmer dieses Forums (von A – Z) so euphorisch auf die „Aufnahmsprüfungen“ gefreut haben. Wahrscheinlich in dem Bewusstsein, dass es sich dabei um eine derartig
fundierte Prognosemethode handeln würde, die in Zukunft die schulischen
Irrfahrten eines Schülers A. verhindern könnten.
Aber wer prognostiziert hier etwas was einfach nicht zu prognostizieren ist? Vielleicht freuen sich selbige schon darauf, einen mehrtägigen „Reifetest“ gratis abhalten zu können. Das knowhow dafür darf man sich sicherlich in mehrwöchigen Seminaren erwerben. Und das alles, weil unsere Kollegen in der Volksschule solche Stümper sind und nach vier Jahren kein qualifiziertes Urteil abgeben können?! Als Lehrer an einer BHAK/HAS bin auch ich öfters mit schwachen Schülern aus den Unterstufen konfrontiert.Daran hat die (weitgehende)Abschaffung der Aufnahmsprüfung der HAK/HAS (die NULLWERT gehabt hat!!!) weder etwas zum Guten noch zum Schlechten geändert. Derzeitige Realität ist, dass wir jene Schüler, die schlechtere Zeugnisse haben nicht aufnehmen, weil uns einfach die Werteinheiten für mehrere Klassen genommen worden sind! (Bildungsoffensive!)
Ich wehre mich mit allem Nachdruck dagegen, Volks- und Hauptschullehrer durch Infragestellung Ihrer Urteilsfähigkeit zu desavouieren! Auch das ist einer der „Nebenaspekte“ der für mich unnötigen Forderung nach „Aufnahmeprüfungen“. Wir alle sind mit Schülern unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Eingangsvoraussetzungen konfrontiert und müssen versuchen damit vernünftig umzugehen – zum Wohl der uns Anvertrauten – Davor dürfen wir uns nicht drücken, indem wir uns nur die Rosinen aus dem Kuchen pieken!
Amons Vorstoß sehe ich als einen der 99 Luftballons – mit übelriechendem Gas gefüllt! " Nase runter" gilt da für manche Vertreter der AHS – und selbst einmal hinterfragen, wie „lebensrelevant“ und „praxisorientiert“ der Unterricht an einer AHS sein kann oder soll.
mfg H.Till
Übrigens gibt es auch unter den LehrerInnen nicht nur Rosinen! Was machen wir mit denen?
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