Globalisierungskrawalle:
Siebzehn österreichischen Demonstranten drohen in Genua fünfzehn Jahre Haft. Italiens Justiz wird entscheiden müssen, ob ihre Helme, Prügel, Gasmasken und Benzinkanister Theaterrequisiten oder Terrorwerkzeuge waren. Es war kein angenehmes Wochenende, das Evelyn Bauer in Norditalien verbrachte: Ab Freitag, 7.30 Uhr, hielt die Burgenländerin Wache vor dem Gefängnis der Stadt Alessandria. Gemeinsam mit ihren Eltern stand sie am Tor der Justizanstalt, einem von hohen Mauern und doppeltem Stacheldrahtzaun umgebenen Betonklotz im Vorort San Michele, und wartete vorerst vergebens auf Einlaß - neben sich eine Tasche mit Hartwürsten, Brot und Aufstrichen. Das Essen war für ihren Bruder Karl (Name von der Redaktion geändert) bestimmt, der seit einer Woche gemeinsam mit neun weiteren Österreichern in Alessandria einsitzt und bis Freitag abend keinen Kontakt zu seinen Angehörigen aufnehmen durfte. Sieben ebenfalls aus Österreich stammende Frauen sind nicht weit entfernt im lombardischen Voghera inhaftiert. Allesamt waren sie im Bus der Volxtheaterkaravane unterwegs - einer Gruppe linker Performancekünstler, die an den Protesten gegen den G-8-Gipfel in Genua teilgenommen hatte. Nun wirft ihnen die italienische Justiz vor, federführend an den Auseinandersetzungen beteiligt gewesen zu sein, die das Treffen der Regierungschefs der führenden Industriestaaten überschatteten: 200.000 Demonstranten legten die Hafenstadt lahm, autonome Globalisierungsgegner lieferten sich brutale Straßenschlachten mit der Exekutive. Bilanz: ein Toter, 500 Verletzte, 200 Festnahmen. Unter den Demoteilnehmern befanden sich auch Hunderte Österreicher - etwa die Mitglieder der Volxtheaterkaravane. Zwei Tage danach, bereits auf der Rückreise Richtung Norden, wurde ihr Konvoi vergangenen Montag auf einer Nebenstraße nahe der Stadt Recco von der Polizei gestoppt. Bei der Hinfahrt war das Fahrzeug mehrfach kontrolliert worden - ohne Beanstandung. Doch nun klickten für 25 Aktivisten, darunter 17 Österreicher, die Handschellen. Tatsächlich fährt die italienische Justiz laut den FORMAT vorliegenden Ermittlungsakten schwere Geschütze gegen die 17 Österreicher auf. "Man kann von einem vorbereiteten städtischen Guerillakrieg ausgehen, nicht von einem zufälligen Ausbruch jugendlicher Gewaltideologie", heißt es im Strafbefehl des Gerichts in Genua: "Bei den Verhafteten ist eine politische Zielsetzung erkennbar. Es gibt Indizien, daß sie auch in Salzburg (beim WEF-Gipfel;
Anm.) und Barcelona (abgesagte Weltbank-Tagung) operiert haben." Die Anklage lautet auf die Paragraphen 110, 416 und 419 des italienischen
Strafgesetzbuches: Vandalismus, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation - in diesem Fall zum "Schwarzen Block", den international vernetzten, gewaltbereiten Autonomen, die von Seattle über Prag bis Göteborg bei jedem großen Wirtschaftsgipfel für bürgerkriegsähnliche Zustände sorgten. Der Strafbefehl wörtlich: "Die Verhafteten können als Mitglieder einer Verbrecherbande angesehen werden."
Und: "Die Zerstörungen in Genua sind zweifellos solchen Ausmaßes, daß sie als Verwüstung bezeichnet werden könnten." Strafausmaß: im schlimmsten Fall bis zu 15 Jahre.
Arsenal
Der Verdacht der italienischen Behörden stützt sich auf eine Vielzahl von Materialien, die im Bus der Volxtheaterkaravane gefunden wurden: etwa "Stadtpläne von Genua, auf denen die Orte der schlimmsten Auseinandersetzungen eingezeichnet waren" (Zitat aus den Ermittlungsakten).
Zudem: "Stöcke, Messer, Holzstäbe, an deren Ende mit Petroleum getränkte Zylinder befestigt waren, Helme, Gasmasken, schwarze Wollmützen und Kapuzenhauben", wie Außenministerin Ferrero-Waldner bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit ihrem italienischen Amtskollegen Renato Ruggiero auflistete. Aus diesem Blickwinkel: ein Arsenal, mit dem sich zweifelsohne Krieg gegen die Polizei führen läßt. Aus der Perspektive der Volxtheaterkaravane, die seit Monaten auf einer "No-Border-Tour" durch Europa zieht, sieht die Angelegenheit freilich völlig anders aus: Die Funde, die jetzt als Beleg für ihre Gewalttätigkeit präsentiert werden, seien bloß Campingausrüstung und Requisiten für Performanceaktionen, beteuern sie.
Autonome Gaukler
Da wird zum Beispiel die Verhaftung und Abschiebung von Einwanderern
inszeniert: In Genua verkleidete sich ein Teil der Schauspieler am Donnerstag mit blauen Helmen als Soldaten und sperrte Zuschauer ein, die anschließend wieder "befreit" wurden. "Das war unsere einzige Aktion in Genua", sagt Volxtheatermann Fridolin K.: "Danach sind wir nicht mehr aufgetreten, weil wir bereits gefürchtet haben, daß es zu Gewalt kommt, und damit in keiner Art und Weise identifiziert werden wollten." Eine durchaus nachvollziehbare Befürchtung: "Das Problem war, daß sich die Randalierer vom Schwarzen Block unter die friedlichen Demonstranten gemischt haben. Danach war es schwierig, zu unterscheiden", sagt Italiens Außenminister Ruggiero zu FORMAT. "Wir haben", resümiert Volxtheatermann Kajetan Dick, "in letzter Zeit viele Aktionen gemacht, die manchen Leuten sicher nicht recht waren - zum Beispiel eine Performance, bei der wir im Niemandsland zwischen Slowenien und Kroatien einen eigenen Grenzposten errichtet haben, oder Straßentheater beim WEF-Gipfel in Salzburg. Bei keiner davon ist es in irgendeiner Weise zu Gewalttätigkeiten gekommen." Das gesteht sogar die Gegenseite zu. Hauptmann Ernst Albrecht von der Wiener Polizeisondereinheit Wega, der bereits mehrfach mit den Leuten von der Volxtheaterkaravane zu tun
hatte: "Bislang hat es mit der Gruppe nie Probleme gegeben. Das sind autonome Gaukler, die tanzen, singen, jonglieren und Feuer spucken" - beispielsweise mit Hilfe jener petroleumgetränkten Holzstäbe, die nun inkriminiert werden. Freilich: Faktum ist aber auch, daß zumindest einige der 17 Inhaftierten Kontakte zur gewaltbereiten autonomen Szene in Österreich pflegen und deshalb einschlägig "amtsbekannt" sind. Kajetan Dick beispielsweise ist es spätestens, seit er sich vor den Augen von Wega-Mann Albrecht kürzlich an die Pallas Athene vor dem Wiener Parlament kettete, um gegen die schwarz-blaue Regierung zu demonstrieren. In Genua war Dick nicht
dabei: Er probt gerade in der Sommertheatermetropole Reichenau an der Rax für Schnitzlers "Leutnant Gustl". Dort spielt er einen Kellner. Daß die Volxtheaterkaravane enge Kontakte zur linksextremen Szene pflegt, ist ebenfalls nicht zu bestreiten. Das Equipment für ihre Aktionen stammt zum Teil aus dem Ernst-Kirchweger-Haus in Wien-Favoriten, einem von der Stapo argwöhnisch beäugten Zentrum der Autonomen. An Bord des von den Italienern aufgebrachten Busses war auch Christian T., ein junger Mann aus dem Umkreis der beiden Attentäter von Ebergassing. Die 17 Österreicher beteuern vehement, nicht in die Ausschreitungen von Genua verwickelt gewesen zu sein.
Mobilisierung
Schwere Vorwürfe gibt es allerdings auch gegen die italienische Polizei: Die Beamten hätten ihre taktischen Unzulänglichkeiten durch äußerst brutales Vorgehen kompensiert. In der liberalen italienischen Tageszeitung "La Repubblica" äußerte ein Carabinieri den Verdacht, seine Kollegen von der Antiterrorspezialeinheit GOM hätten Demonstranten systematisch mißhandelt: "Sie wurden mit dem Kopf gegen die Wand gestoßen, einige Kollegen haben auf die Verhafteten uriniert." Das britische Außenministerium erwägt gar eine offizielle Beschwerde gegen die italienischen Behörden. Die Festnahmen der Austro-Demonstranten führten auch zu einem veritablen innenpolitischen Krach. Während die Grünen die sofortige Freilassung der Volxtheaterleute fordern, schlägt sich Außenministerin Benita Ferrero-Waldner - ganz im Gegensatz zu ihrem britischen Kollegen - auf die Seite der italienische
Exekutive: "Die Inhaftierten dürfen sich nicht wundern, daß sie von der Polizei festgenommen werden, sei es in Italien oder sonstwo." Harmlose Theaterleute, gewaltbereite Linksextremisten - oder liegt die Wahrheit in der Mitte: Haben sich Randalierer unter die engagierten Schauspieler gemischt? Die österreichischen Staatsschützer registrieren in den letzten Monaten jedenfalls ein Ansteigen linksextremer Straftaten - traditionelle Feindbilder wie der Faschismus wurden von der Globalisierung abgelöst. Seit den fatalen Ereignissen beim G-8-Gipfel und der Verhaftung der Karavane wird auch in der österreichischen Szene mobilisiert. "In der Nacht von Montag auf Dienstag haben wir das italienische Konsulat in der Ungargasse 43 angegriffen", heißt es in einem Bekennerschreiben auf der Homepage der linksextremen Zeitschrift "Tatblatt": "Einige Steine schmissen wir auf die im Konsulat stehenden Autos und auf das Konsulat. Zumindest eine Fensterscheibe ging zu Bruch."
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