In Sachen: Weiterentwicklung der Demokratie.
Szenen aus einem gar nicht so fernen Land, mit manch ähnlichen Problemen wie bei uns. Um nicht gleich zum Aufzusetzen der Parteibrillen zu verleiten, habe ich die Namen der Politiker durch A und B ersetzt und nenne auch das Land nicht, weil es um die Sache gehen soll. Wer am Ende doch neugierig ist und die richtigen Namen kennen will, findet am Ende die Herkunft des Artikels.
Die Kolumne: Wettstreit von A und B
Von D M
Ende der 80er Jahre haben einige Wirtschaftsanalytiker den Begriff "Wettlauf der Dekadenz" geprägt, um das selbstmörderische Wettrüsten zwischen den beiden Supermächten zu beschreiben, das weder den USA noch der Sowjetunion genützt hat. Mehr als ein Jahrzehnt später könnte man mit diesem Begriff die gegenwärtige Situation in (...) beschreiben, wo sich die führenden Politiker gerade auf den Beginn des Wahlkampfes um das Amt des Präsidenten vorbereiten. Wie das Ergebnis des Wettrüstens dadurch bestimmt wurde, welche Supermacht am längsten ausgehalten hat, wird auch der Ausgang der im kommenden April stattfindenden Wahl davon abhängen, welcher Kandidat am längsten überlebt. Der Grund dafür ist, dass die Macht der aussichtsreichsten Kandidaten bröckelt. Die Macht von A schwindet wegen der sich verschlechternden Wirtschaftslage. Außerdem muss er seinen Wahlkampf fast so führen, als sei er der Amtsinhaber. Er wurde, obwohl er offiziell der Herausforderer ist, seit seiner Amtsübernahme 1997 als derjenige gesehen, der die Verantwortung trägt. So wird das Abschneiden von A in Meinungsumfragen durch Faktoren beeinträchtigt, die in der unmittelbaren Zukunft liegen. Dagegen belastet die Vergangenheit von B seine Aussicht auf Wiederwahl: Ihm wird vorgeworfen, während seiner Zeit (vor der Amts-
übernahme) öffentliche Gelder benutzt zu haben, um Reisen mit seiner Familie zu bezahlen. Der Wahlkampf und sein Ausgang sind also ein perfekter Test dafür, was als die "Sonderrolle" bezeichnet wird - die Idee, dass dieses Land in irgendeiner Weise einzigartig ist. Ist es in einer Welt, die mehr Transparenz anstrebt, den Landsleuten gleichgültig, wie ihre Spitzenpolitiker ins Ausland reisen, wenn sie dabei anscheinend öffentliche und private Aufgaben vermischen und Gelder verwechseln? Die Reisen sind vielleicht unbedeutend, verglichen mit anderen, schwerwiegenderen politischen Skandalen, aber sie sind konkreter und leichter zu begreifen.
Neue Politiker braucht das Land
Trotz der schwindenden Macht von A und trotz der Affären von B sind die beiden immer noch sehr beliebt. Dennoch gibt es den Ruf nach unverbrauchten Führungskräften. Die Wähler sehnen sich nach einer neuen Art von Politikern - aber keiner der alternativen Kandidaten, ob links oder rechts, gibt ihnen, was sie wollen. Das ist günstig für A und B, aber ihre Rivalen können ihnen trotzdem gefährlich werden. Insbesondere die heterogene Mehrheit von A im Parlament scheint jeden Tag brüchiger zu werden. Um die Wahl zu gewinnen, braucht er nicht nur Unterstützung aus der Mitte, sondern auch von den extremen Richtungen seiner Partei. Er muss die einen an sich binden, ohne die anderen vor den Kopf zu stoßen. Dieses Problem hat B nicht. Der Aufstieg der extremen Linken ist gegenwärtig einer der wichtigsten politischen Faktoren im Land. Und dieser Faktor könnte der Rechten genau so in die Hände spielen, wie der Aufstieg der extremen Rechten vor mehr als zehn Jahren der Linken geholfen hat. Bei allen Unterschieden haben A und B eines gemeinsam: ihren starken Pragmatismus. Jeder von ihnen versucht schneller als der andere aktuelle Trends aufzugreifen. Beide Politiker folgen der öffentlichen Meinung nur, statt sie anzuführen oder sie zum Positiven zu verändern. Dieses Phänomen geht jedoch weit über dieses Land hinaus. In den westlichen Demokratien wird die Tagesordnung der wichtigen Themen immer mehr von nicht gewählten Vertretern der Zivilgesellschaft und in sehr viel geringerem Ausmaß von ihren gewählten Vertretern bestimmt.
Mangelware Diskussion
Der Opportunismus der Politiker hat zu einem auffälligen Mangel an Diskussionen und Ideen in der heimischen Politik geführt. Das Land bereitet sich auf die Ausgabe von Euro-Scheinen und -Münzen vor; eine Diskussion über die grundlegenden Ziele und die Form der Europäischen Union gibt es jedoch nicht. Die Politik - und das gilt für die meisten westlichen Demokratien - gleicht immer mehr einer Soap Opera im Fernsehen: eine Welt, die, abgetrennt von der Gesellschaft, ihren eigenen Regeln folgt; ein Spektakel, das bei seinen Zuschauern wenig mehr als Amüsement und gelegentliche Verlegenheit auslöst. Angesichts der heutigen Politik, in der nicht Sieger wird, wer die meisten neuen Ideen hat, sondern derjenige, der das Abbröckeln seiner Macht am wirksamsten begrenzt, ist es schwierig, den Gewinner auszumachen. Dagegen ist schon klar, wer die Verlierer sein werden. Schreitet die Entfremdung zwischen dem Land und seiner politischen Klasse fort, werden dies Land und die Demokratie die größten Opfer. _____________
© 2001 Financial Times Deutschland
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