S.g. Kollege Zwickl
ich finde es wirklich nett, dass Sie der Meinung sind, dass gerade ihr Beitrag "fernab von Ideologie und Parteipolemik" sein soll. Aber weil ich unterstelle, dass Sie nach subjektivem Empfinden das schreiben, was Sie denken, so möchte ich Sie auf einige ideologisch bedingte Vorurteile hinweisen.
* Sie behaupten: Amon hat nichts davon, wenn er Unfrieden stiftet ...
** Richtig ist vielmehr: Amon ist Bildungssprecher der ÖVP, er will der Ministerin helfen, ihr Bildungs-Sparpaket ohne nennenswerten Widerstand der Lehrer durchzubringen, und wenn er es hinbrächte, dass wir uns in die Haare kriegen, dann hätte er sein Ziel erreicht. Indem Sie die Einschränlung des AHS-Zuganges begrüßen, führen Sie die Bildungs- debatte so, wie sie dann in einer Sackgasse enden muss.
* Sie behaupten: Die Sozialisierungsarbeit dürfe keine Auswirkung auf das Erreichen der Lehrziele haben.
** Richtig ist vielmehr: Wenn wir auf Sozialisierungsarbeit verzichten oder verzichten müssen (weil die Bedingungen nicht gegeben sind, wir dafür nicht die nötige Hilfestellung bekommen), dann wird es im Grunde genommen nahezu unmöglich sein, dass wir die im Lehrplan vorgegebenen Ziele erreichen. Bitte lesen Sie den Beitrag in der "Neuen Zürcher" nach, damit Sie wissen, um welche neuen Herausforderungen es in Zukunft noch weit öfter gehen wird als bisher. Aber es freut mich, dass Sie in beiden Schultypen das Niveau heben möchten. Ich behaupte, dass dies nur dann erfolgversoprechend möglich sein wird, wenn Schüler in der Schule auch für ihre privaten, familiären oder außerschulischen Probleme oder auch nur Problemchen einen vertrauenswürdigen Ansprechpartner finden.
* Sie behaupten: Man sollte über die Frage reden, wie wir unsere Schüler noch besser auf ihre Zukunft in einer Wirtschaft, die sich nicht mit Sozialisierungsarbeit beschäftigt, sondern Leistung abverlangt.
** Richtig ist vielmehr: Die "Wirtschaft" wird sich ebenfalls daran
gewöhnen müssen, dass heutzutage die Menschen nicht mehr so funktionieren wie im Zeitalter der Fließbandarbeit. Es gilt in der Gesellschaft genauso wie in der Schule bestimmte Grundsatz- Entscheidungen zu treffen. Wenn Sie es für richtig empfinden, dass nur die Leute mit einem Gefühlsleben wie ein Eisblock etwas zählen sollen, wenn nur die eiskalten Rechner die Hebel in der Hand haben sollen, dann wird sich eine Gruppe herausbilden, die diesen Vor- stellungen sehr genau entspricht, aber ein beachtenswerter Teil wird dann einen Außenseiter-Status einnehmen. Indem Sie die Menschen, die nicht nach Norm funktionieren, ins gesellschaftliche Abseits drängen, schaffen Sie viele Randgruppen. Wenn sich die Leute erst einmal dort positionieren, dann wird es sicher bedeutend schwieriger werden, sie ins Zentrum der Gesellschaft zurück zu holen, sie wieder zu gleichwertigen Teilnehmern am politischen, kulturellen und sozialen Leben werden zu lassen.
Es tut mir leid, dass ich nicht mit einfachen und plakativen Lösungen aufwarten kann und Ihnen sagen kann, wie unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft wirklich ist. Wir können uns nur vornehmen, die Welt, in der wir leben, möglichst genau zu beob- achten. Und dabei ablaufende Entwicklungen erkennen. Es ist doch viel besser, wenn wir zu den aktuellen Ereignissen Bezug nehmen als auf die Herausforderungen von heute mit Rezepten von vorgestern zu reagieren.
Meinen Beobachtungen zufolge ist die Gesellschaft heute viel unterschiedlicher (pluralistischer) als früher, die Menschen haben ganz verschiedene Vorstellungen von Lebensplanung, von der Verwirklichung in der Arbeit oder in der Freizeit, von Wertig- keiten in ihrem Umfeld und so fort.
Wir haben unlängst im LF erörtert, dass zwar viele Leute das Schlagwort von der Globalisierung kennen, aber kaum die Hälfte verbindet damit auch nur eine einigermaßen konkrete Vor- stellung. Aus dieser Unwissenheit resultieren Haltungen und Einstellungen etwa zu den Ereignissen in Genua. Durch die oft mediale Lenkung der Aufmerksamkeit wird häufig eher von den tatsächlichen Problemen abgelenkt als Lösungsansätze aufgezeigt werden.
Deswegen wäre es wichtig, dass wir uns Kompetenzen
aneignen endlich einmal wirklich frei und unabhängig zu denken, anstatt die Sprechblasen der Mächtigen blind und gläubig nachzuplappern. Um das zu schaffen, braucht man nicht einmal "das Zeug für einen Nobelpreisträger" zu haben.
mkG
Günter Wittek
p.s.: Mit dem "Schülermaterial"-Sager waren Sie nicht gemeint, das hab ich weder geschrieben noch angedeutet. Aber Sie können mir vertrauen, dass es die Person tatsächlich gibt, dass ich hier
- wie Sie - Aussprüche aus dem tatsächlichen Schul-Leben angeführt habe. Allerdings wundert es mich, dass Sie auf die Fragen bzw. Vorwürfe, die Koll. Czernitc konkret an Sie gerichtet hat, nicht eingehen.
----- Original Message -----
From: Josef Zwickl
To: Günter Wittek ; Lehrerforum
Sent: Wednesday, August 15, 2001 7:29 PM
Subject: Re: Re ( x-te) bildungsdebatte
Lieber Kollege Wittek!
Zum einen kann ich mir den Nutzen für Amon nicht ganz vorstellen, wenn er, wie Sie behaupten, mit der Bildungsdebatte nur Unfrieden zwischen APS- und AHS-Lehrern schaffen wollte. Die Entwicklung der Klassenschülerzahlen in den letzten fünf Jahren ist Besorgnis erregend. Da haben Sie recht. Eine Umkehr dieses Weges ist höchst notwendig. ( ... )
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