Ergänzungen / Anmerkungen zu Koll. Herbert Tills Mail in Sachen Bildungspolitik "AK Tumpel verlangt Bildungs-Offensive statt Uni-Ausgliederung" vom 13. 8.2001:
Anbei ein Bericht aus Berlin (FU = Freie Universität) -
a) der zeigt, dass - bei allen Unterschieden im Detail - ähnliche Entwicklungen wie in Österreich in vielen Ländern laufen
b) und dass Widerstand gefragt ist, allerdings möglichst im internationalen Maßstab!
Mit solidarischen Grüßen
Walther Schütz (Bündnis für Eine Welt/ÖIE)
gefunden unter: http://euforthepeople.tripod.com/id28.htm
Privatisierung der FU? Nein Danke!
(Berlin 10.07.2001)
Schikane ohne Ende
Die Unilandschaft in Deutschland soll ihren Charakter grundlegend verändern. JedeR Studierende, DozentIn, ProfessorIn und im Mittelbau beschäftigte spürt schon jetzt die Auswirkungen der bisherigen Kürzungen ganz konkret. Jetzt wurden dem Studentenwerk aufgrund der Finanzlage des Senates auch noch 50 Prozent der Mittel gestrichen. Wiedermal sollen wir zahlen: 20 DM mehr Semesterbeitrag, das sind eigentlich schon Studiengebühren. Wo ist die Entlastung, die uns Studierenden ständig versprochen wird?! Der nächste Schock folgt auf den Fuss. Studierenden, welche die Zwischenprüfung nicht innerhalb von 6 Semestern schaffen, droht die Zwangsexmatrikulation. Dieser Beschluss soll in den kommenden Wochen in einer Sitzung des Akademischen Senates abgestimmt werden.
Doch eigentlich geht`s ums Ganze
Denn: Schon im letzten Semester hat die bildungspolitische Sprecherin der CDU Grütters vorgeschlagen, die FU in eine Stiftung zu verwandeln. Die Bemühungen rechtliche Voraussetzungen dafür zu schaffen, laufen derzeit auf verschiedenen Ebenen. So wurden in Niedersachsen gesetzliche Möglichkeiten geschaffen Hochschulen in Stiftungen zu verwandeln. Der dortige Wissenschaftsminister Oppermann: "Es müssen Anreize geschaffen werden, damit mehr privates Kapital in die Bildung fließt." Auch in Berlin legte Anfang diesen Jahres der Kultur- und Wissenschaftssenator Stölzl Eckpunkte für ein Neues Berliner Hochschulgesetz vor, der erste Schritt zur Privatisierung. Jetzt wird im Zuge der Berliner Haushaltskrise immer stärker die Privatisierung der FU gefordert. Gleichzeitig treffen Regierungen auf globaler Ebene Entscheidungen, die die weitgehende Privatisierung öffentlicher Dienste erzwingen sollen. Die G8 werden in Genua über eine Umsetzung des GATS verhandeln. Das GATS (General Agreement on Trade in
Services) soll Konzernen die Möglichkeit geben, gegen Regierungen die Privatisierung öffentlicher Dienste einzuklagen, wenn sie größere Effizienz nachweisen können. Globalisierung ein Schicksal? Wir glauben nicht.
Folgen von Privatisierung
1. Das Ende der Uni als Ort kritischer Wissenschaft
Seit Ende der 70er werden die Unis finanziell ausgetrocknet. Der Anteil der Hochschulausgaben am Bruttosozialprodukt von 1,3% Mitte der 70er Jahre auf 0,9% Anfang der 90er Jahre. Die Ausgaben sanken von 4,3 Mrd. DM 1970 auf 3,9 Mrd. DM 1994. Mit einem geringeren Etat mußten allerdings doppelt so viele Studierende und darüber hinaus durch die Wiedervereinigung insgesamt mehr Hochschulen finanziert werden. Seitdem wurde der Rückzug des Staates aus der Bildung weiter offensiv vorangetrieben. So sieht der Strukturplan 2003 für den FU Haushalt eine Mittelkürzung um ein Viertel (250 Mio.) vor. Bis 2005 sollen weiterhin 33 Mrd. vor allem bei der Hochschulmedizin eingespart werden. Die Uni wird so immer mehr in die Arme privater Geldgeber gezwungen. Dass wir mit der Werbung von Berliner Zeitung, Deutsche Bank, Siemens usw. zugeschüttet werden ist nur die Spitze des Eisberges. Die Geldgeber nehmen aktiven Einfluß auf die jetzt käufliche Forschung. Industrie gesponsorte Untersuchungen über Krebsmittel fallen in der USA zu 5% negativ aus, während unabhängige Untersuchungen zu 38% negativ ausfallen. Die Konkurrenz von Hochschulunternehmen auf einem Bildungsmarkt führt dazu, dass uneffizienter Ballast wie kritische Psychologie, Genderforschung oder Umweltpolitik schnell über Bord geworfen werden. Kritische Wissenschaft ist eben kein Aushängeschild für die Wirtschaft. Kritischen Veranstaltungen werden von der Unileitung die Räume verweigert. Letztes Bsp. Ist der Kongress "Freedom of thought - Geist gegen Gene". Statt dessen durfte der EX BDI Chef Hans Olaf Henkel sogar auf der zentralen Imatrikulationsfeier sprechen.
2. Eliten
Ein Verfechter der Privatisierung ist Günther Nooke (CDU). Er begründete in einem Interview der Berliner Zeitung, warum wir angeblich Eliten brauchen: "Wir sollten lernen positiv über Eliten zu sprechen. Es ist doch besser wir haben Eliten in der Stadt, die auch die anderen den Durchschnitt mit hochziehen, als dass wir Mittelmaß haben und es so immer schwieriger wird das internationale Niveau zu halten." Das ist eine Lüge. Die Züchtung von Eliten geht auf Kosten der Mehrheit. Um uns Studierende in Elite und Masse einzuteilen, werden die Studiengänge Bachelor und Master eingeführt. Was als größere Wahlmöglichkeit, schnelleres Studium und mehr Praxisorientierung daher kommt, bedeutet in Wirklichkeit die Entqualifizierung der Mehrheit. Der Kurzstudiengang Bachelor ist verschult und enthält keine Freiräume für eigenständiges wissenschaftliches Arbeiten. Gleichzeitig wird der Masterstudiengang nicht für alle zugänglich sein. Auslese durch Studiengebühren (Der Master gilt als Zweitstudium!) und NC soll sicherstellen, dass nur etwa 30 Prozent der Bachelorabsolventen den Master machen können.
3. Entdemokratisierung
Ein Hochschulrat sollte nach Wunsch Stölzls die wesentlichsten Entscheidungen der Uni treffen. Das schließt die Mittelvergabe an die Fachbereiche ein. Der Hochschulrat kann sämtliche Unistrukturen ändern. Er kann sogar die Verfasste Studierendenschaft auflösen. Der Skandal ist, dass in diesem Gremium kein Vertreter der Uni Mitspracherecht hat, sondern lediglich externe Vertreter aus Wissenschaft vor allem aber der Wirtschaft. In der Uni München besteht der neue Hochschulrat aus Vertretern des Burda Verlages usw. Bisher haben Studierende so gut wie kein Mitspracherecht. Diese Entwicklung würde die Uni vollständig entmündigen.
Veränderungen durch einen linken Senat?
Nicht nur viele Studierende haben aufgeatmet als die Große Koalition zerbrach und Stölzl endlich seinen Hut nahm. Das Neue Berliner Hochschulgesetz ist fürs erste vom Tisch. Leider bedeutet das für uns keine Entwarnung, denn in den wesentlichen Punkten dieser Gesetzesvorlage waren sich alle Parteien einig. Auch SPD, PDS und Grüne befürworteten Mittelvergabe nach Leistungskriterien und Hochschulräte, wie oben beschrieben. Drei den Senat beratende Unternehmensberatungen stellten im Focus übereinstimmend fest, dass eine Sanierung des Berliner Haushaltes nur mit der Umwandlung der FU in eine Stiftung zu machen sei. Auch wenn während des Wahlkampfes noch nicht über konkrete Sparmassnahmen gesprochen wird, können wir davon ausgehen, dass alle Parteien Schritte in diese Richtung wollen. Deswegen reicht es nicht auf einen linken Senat zu warten und zu hoffen, dass sich die Dinge von selbst klarstellen.
Wahlkampf von unten und welteiter Widerstand in Genua
Wir Studierenden sind ja nicht die einzigen, die ein Ende der Sparpolitik und ein Ende der Privatisierungen wollen. Am Wochenende [gemeint ist der 14. Juli] werden z.B. Kinder und BetreuerInnen aus Berliner Kindergärten auf die Straße gehen und eine Umverteilung der Mittel fordern. ... Wie oben erwähnt werden die Grundlagen neoliberaler Politik vor Ort auf globaler Ebene gelegt. Sachzwänge werden künstlich geschaffen um die Profitinteressen der Konzerne zu bedienen. Nur was verwertbar ist, was Profit bringt, hat demnach eine Existenzberechtigung. Alles andere, wie Umwelt und Menschenrechte werden mit Füssen getreten. Doch in den vergangenen Jahren ist eine weltweite Bewegung gegen die Übermacht der Konzerne entstanden. Studierende, Gewerkschafter politische AktivistInnen verbinden sich um für eine andere Zukunft zu kämpfen. Vom 20. bis 22. Juli werden sich Hunderttausende in Genua treffen um gegen die Politik der G8 zu protestieren. Die G8 sind die mächtigsten Industriestaaten der Welt. Sie dominieren Institutionen wie die WTO, den IWF und die WB und entscheiden über Millionen von Menschenleben. Trotzdem gelangt nicht einmal die genaue Tagesordnung dieser Gipfeltreffen an die Öffentlichkeit. ...
----- Original Message -----
From: Mag. Herbert Till
To:
Sent: Monday, August 13, 2001 1:50 AM
Subject: LF: Bildungspolitik
AK Tumpel verlangt Bildungs-Offensive statt Uni-Ausgliederung
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