Teil 2 der Anmerkungen zu Koll. Tills Mail in Sachen Bildungspolitik
Hier 2 Artikel aus der Süddeutschen Zeitung über GATS und Privatisierung von Bildung. Sie sind insofern erwähnenswert, weil hier das GATS (Dienstleistungsabkommen im Rahmen der WTO) überhaupt behandelt wird.
Mit freundlichen Grüßen
Walther Schütz (Bündnis für Eine Welt/ÖIE)
Süddeutsche Zeitung, Samstag, 7. Juli 2001, Bayern Seite V1/21
Die Welthandelsorganisation WTO plant den nächsten großen Schritt in eine Zukunft der schrankenlos freien Märkte. Eine Neufassung des Handelsabkommens GATS soll den Transfer von Bildungsangeboten liberalisieren. Mögliche Folge: Das Recht der einzelnen Staaten, Standards für Ausbildungsabschlüsse vorzuschreiben, könnte eingeschränkt werden. Kritiker warnen vor einer Kommerzialisierung des Bildungswesens. Im November 2001 soll ein Ministertreffen in Qatar die Verhandlungen eröffnen.
AUSBILDUNG ALS HANDELSWARE
Geht es nach der Welthandelsorganisation WTO, wird der Markt für alle Dienstleistungen liberalisiert - auch für Bildungsangebote
Wir befinden uns", sagt Philip Altbach, Lehrer im Dienst des Center for International Higher Education am Boston College, "inmitten einer echten Revolution. Einer Revolution, die das Potential hat, unser Verständnis von der Rolle der Universität tief greifend zu verändern." Über Revolutionen redet man schnell, vor allem im Zusammenhang mit der Informationstechnologie. Die "Rolle der Universitäten" allerdings scheint auf den ersten Blick ein eher akademisches Thema zu sein. Ist es aber nicht: Kritiker befürchten, dass die Bildungssysteme der europäischen Staaten durch vorgestanzte Produkte einer globalen Erziehungs- Industrie ersetzt und platt gemacht werden sollen.
Auf dem World Education Market 2001 in Vancouver wurde deutlich, dass Bildung ein Geschäft ist, riesig und milliardenschwer. Man redet von drei großen Zukunftsmärkten: Gesundheit, Wasser und Bildung - jeweils mit "Potentialen", die jenseits konventioneller Maßstäbe liegen. Die Unternehmensberatung Merrill Lynch bezifferte in einer Studie den weltweiten Bildungsmarkt der kommenden Jahre auf 2,2Billionen (2200 Milliarden) Dollar jährlich - was immer die Grundlagen für diese Berechnung gewesen sein mögen. Jeff Fromm, der Präsident von KnowledgeQuest Ventures (USA), erklärte im Trade Convention Center von Vancouver, dass für diese Industrie in den Vereinigten Staaten schon jetzt 815Milliarden Dollar jährlich ausgegeben werden. Ronald Perkinson von der Weltbank berichtete, dass allein die 1,5 Millionen Studenten, die im Ausland studieren, einen 27-Milliaden-Dollar Markt repräsentieren. Diesen Markt wollen und werden englischsprachige Produkte erobern.
Englisch als Schrittmacher
Der Langzeit-Trend zu Englisch als Unterrichtssprache der qualifizierten Bildungswege ist nicht das Problem, sondern dessen Rolle als Schrittmacher. Was die Kritiker schreckt, ist nicht die Vorlesung auf Englisch. Es ist die Kommerzialisierung der Bildung. Firmeneigene Universitäten und Online-Lernangebote setzen heute schon die öffentlichen Universitäten unter Konkurrenzdruck. Wenn erst die Ableger englischsprachiger Hochschulen mit Macht auf den europäischen Markt drängen, wird es möglicherweise vorbei sein mit der Universität, wie sie bislang verstanden wurde: als Ort des Lernens, Lehrens und Forschens. Ein irreales Szenario? Nein: Genau das könnte bald geschehen. Die Welthandelsorganisation (WTO) und das General Agreement on Trade and Services (GATS) wollen es jedenfalls so. Seit Februar 2000, insbesondere seit dem Abschluss der Bestandsaufnahmen 2001, sollen staatliche Barrieren für den internationalen Handel und den wirtschaftlichen Wettbewerb bei Dienstleistungen schrittweise abgeschafft werden. Und Bildungsangebote gelten als Dienstleistungen. Artikel VI des GATS soll durch einen "Notwendigkeitstest" ergänzt werden, der den Regierungen die Beweislast auferlegt, dass ihre Gesetze nicht handelsbeschränkend sein werden. Skeptiker befürchten, dass sich das auch auf die künftige Gesetzgebung zur "Dienstleistung" Hochschulbildung auswirken könnte.
In Europa glaubt die Kultusbürokratie, mit Hilfe von Qualitätskontrollen und Zulassungszertifizierungen das GATS unterlaufen zu können - so wie etwa die USA das Freihandelsabkommen Nafta unter Hinweis auf angebliche Umweltschutzverletzungen kanadischer Firmen relativieren. Aber bei den Regierungen scheint fiskalisches und nicht kulturelles Interesse zu dominieren. Die WTO jedenfalls hat jetzt einen Fahrplan vorgegeben. Schon im Juli und Oktober 2001 tagen die ersten Vorbereitungsgruppen, im November 2001 soll dann ein Ministertreffen der WTO-Mitgliedstaaten in Qatar die neue Verhandlungensrunde offiziell eröffnen. Die USA wollen bis zum Jahr 2002 Ergebnisse sehen.
Und die Universitäten? "Die Loyalität zu traditionellen akademischen Werten wird nicht leicht fallen", sagt Philip Altbach, "aber die Kosten einer wachsenden Kommerzialisierung wären viel höher." Wenn man die akademische Welt zum WTO-beherrschten Marktplatz mache, prophezeit er, "wird eine der wertvollsten Institutionen einer jeden Gesellschaft zerstört werden." Diese Sorge dürfe trotzdem nicht dazu führen, dass man gegen die Globalisierung Sturm laufe, warnt Altbach. Einige ihrer Folgen, etwa die erwähnte anglophone Zukunft der Hochschul- und Bildungswelt, sieht er sogar positiv: Englisch, vor allem in Verbindung mit dem Internet, mache die Kommunikation einfacher und schneller.
Sprache der Bauern
Nach dem Science Citation Index wurden etwa in Frankreich bereits 1990 rund 70 Prozent aller wissenschaftlichen Arbeiten auf Englisch veröffentlicht, 1999 waren es 84 Prozent. Doch nicht alle sind von der neuen "Lingua franca" der Wissenschaft angetan. Die Universität von Kopenhagen warnte bereits
1995: "Die Tatsache, dass Englisch die internationale Sprache des Bildungssystems werden wird, darf nicht dazu führen, dass Dänisch die Sprache der Bauern wird." Aber selbst bei guten Englisch-Kenntnissen werden Wissenschaftler mit anderen Muttersprachen Probleme haben. "Ich glaube, wir überschätzen unsere Möglichkeit, tief in einer anderen Sprache zu denken", sagt Tove Bull, Rektorin der Universität von Tromsö.
Hans-Herbert Holzamer
BILDUNG UND BERUF Samstag, 7. Juli 2001
Standpunkt (I)
"Die reichen Länder werden die Bildung kontrollieren wie den Burger-Markt."
Philip Altbach ist Lehrer am Center for International Higher Education des Boston Colleges. Die SZ befragte ihn zu den WTO-Plänen, das Bildungswesen zu liberalisieren.
SZ: Herr Altbach, die WTO bereitet eine Übereinkunft aller Staaten vor, die sämtliche Barrieren gegen den freien Handel von Dienstleistungen verbieten will. Da Bildung eine Dienstleistung ist, wäre sie betroffen. Was halten Sie davon?
Altbach: Die Nationen sollten in grundlegenden Dingen eine Kontrolle über ihr Bildungssystem behalten. Vor allem Entwicklungsländer müssen erst befähigt werden, ihre erzieherischen Bedürfnisse zu bestimmen. Wenn Bildung zu einem simplen Gebrauchsgut gemacht und normalem Handel unterworfen wird, dann werden die reichen Länder den Bildungsmarkt kontrollieren, so wie sie die Automobil-Industrie oder den Burger-Markt kontrollieren.
SZ: Welche Produkte werden denn auf diesem so genannten Bildungsmarkt gehandelt? E-Learning auf CD-ROM und im Internet? Kurse an Hochschulen?
Altbach: All das. Hier betätigen sich Verlage, Software- und IT-Firmen. Noch gehören die Universitäten nicht richtig dazu, aber es gibt Bestrebungen, sie zu einem Teil der Education-Industry zu machen. Schon jetzt kennt man etliche profitorientierte Institute, die versuchen, international zu sein.
SZ: Ist das so schlimm? Vielfalt und Konkurrenz können doch belebend wirken.
Altbach: Zum einen sind Bildungsgüter kein Fast Food. Sie sollten nicht unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet werden. Auch kann man nicht gerade von einem freien Spiel der Kräfte reden: In der Bildungsindustrie lässt sich eine immer stärkere Konzentration auf der Eigentümerseite feststellen - denken Sie nur an die Verlagslandschaft. Und schließlich wird die Souveränität der Regierungen berührt, wenn sie alles dem freien Markt überlassen sollen. Sie sollten auf jeden Fall das Recht der Anerkennung und Akkreditierung von Bildungsabschlüssen behalten. Und das heißt im konkreten Einzelfall auch: Exportversuche zurückweisen können.
SZ: Haben die Länder der Dritten Welt diese Chance überhaupt?
Altbach: Nicht wirklich. Und auf einem völlig liberalisierten Bildungsmarkt sicher noch viel weniger.
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