----- Original Message -----
Hans Adam schreibt:
To: Mag. Herbert Till ; Lehrerforum@ccc.at
Subject: LF: Re: Ziel des Wirtschaftens??

HA > Mit drigistischen Maßnahmen wird man das Problem nicht lösen HA > können, denn dann müßte die ganze Welt dirigiert werden. Dies HA > funktioniert nicht, wie der an der Realität gescheiterte Kommunismus HA > gezeigt hat. HA > Aber Sie haben sicher ein funktionierendes allumfassendes HA > Weltwirtschaftsmodell in der Tasche, oder träumen wir hier und HA > sind frustriert, wenn wir in die Realität zurückkehren müssen ........ HA > ;-)

S.g. Koll. Adam
Ich finde es schon recht amüsant, dass gerade Sie hier ein Opfer der Propaganda des "real existierenden Sozialismus" werden. Das Scheitern hängt nicht mit dem Staatsdirigismus der Wirtschaft zusammen, sondern
- davon konnte ich mich 1983 in der DDR in einigen Gesprächen mit FDJ- und SED-Ideologen / Funktionären überzeugen, dass die angeblich kommunistischen Länder immer mehr von ihrer Ideologie abgegangen sind und sich in Wirtschaftsfragen kapitalistischen Regeln unterworfen haben. Die These, dass im Osten eine "sozialistische Gesellschaft im Aufbau" sei, wurde durch die praktische Politik des Systemwettbewerbes, der in den 80er Jahren eben mit dem Rüstungswettlauf begründet wurde und den damit fehlenden Grundlagen für eine zivile Entwicklung, mehr als nur hintertrieben.

Für mich war es damals unverständlich, warum die Gewerkschafts- Funktionäre dort nicht zumindest ebenso vehemt für eine Senkung der Arbeitszeit kämpfen. Als wir in Österreich bereits längst die 40-Stunden Woche erreicht hatten und Gewerkschaftskongresse immer häufiger die Forderung nach der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich aufstellten, da gab es im Osten nach wie vor die 43-Stunden-Woche und keinerlei gewerkschaftliche Aktivitäten zur Senkung der Arbeits- zeit. Das Volk hat auf die Säumigkeit der Bürokraten reagiert und sich eine eigene Arbeits-Kultur geschaffen, am besten hat das die Ost-Berliner Kabarett-Gruppe "Die Distel" zum Ausdruck gebracht, als sie die "Volksmeinung" vertrat, dass es nicht auf 43 Stunden Arbeit ankäme, sondern eben nur auf ein "Arbeitsverhältnis" über 43 Stunden Arbeit. Das zeigt, dass die tatsächlichen Verhältnisse gänzlich anders waren als es dem Willen der "Dirigenten" entsprochen hätte.

Wie aus ihrem eigenen Beispiel (dem Arbeitsverhältnis ihrer Frau) zu ersehen ist, führt der nicht mehr auch nur einem fiktiven System- Wettbewerb unterliegende Kapitalismus zu immer härter werdenden Bedingungen für diejenigen Lohnabhängigen, die auf Gedeih und Verderb einem Brötchengeber ausgeliefert sind. Wir erleben in den letzten Jahrzehnten einen Abbau des Sozialstaates, der Staat entzieht sich immer mehr seiner Verantwortung, in die Arbeitsverhältnisse und in die Lebensbedingungen zugunsten der Lohnabhängigen ordnend einzugreifen.

Ich kann es nur schwer nachvollziehen, warum Sie darüber frohlocken, dass wir, die Kritiker dieses Systems, nicht alternativ "ein funktionierendes allumfassendes Wirtschaftsmodell in der Tasche" haben. Realisieren Sie denn nicht, dass diese Kritik an diesem zügellosen System inzwischen ein politisches Spektrum umfasst von Al Gore über Scharping bis hin zu Bayerns Stoiber? Erkennen Sie denn nicht, dass die politischen Ent- scheidungsträger drauf und dran sind ihre Chancen zu verspielen, Politik wieder als Auftrag zu verstehen, um soziale Gerechtigkeit (und damit auch ein ausreichendes Bildungsangebot für alle) herzustellen? Es fällt mir schwer vorzustellen, dass gerade Sie das Vermächtnis eines Otto Schulmeister ignorieren, der immer wieder vor wachsender Politik- verdrossenheit gewarnt hat, die ja letztlich daraus resultiert, dass die eigentlichen Anliegen der Menschen nicht entsprechend ernst genommen werden.

Wir haben die Möglichkeit, die Fragen als politische Herausforderungen zu verstehen. Das bedeutet, dass es uns nicht einerlei ist, ob wir ein umfassendes Bildungskonzept haben und umsetzen wollen, oder ob wir uns darauf reduzieren lassen, dass Bildung immer mehr zu einer simplen Ausbildung im Interesse privater Sponsoren verkommt, denn dies wäre die logische Folge, wenn sich der Staat aus seiner Verantwortung für das Schulwesen immer weiter zurückzieht. Ich warne davor zu meinen, dass es ohnehin weitgehend uninteressant sei, ob wir von einem öffentlichen oder einem privaten Dienstgeber besoldet werden. Es mag sogar sein, dass bei einer privaten Besoldung am Gehaltszettel vielleicht mehr herausschauen könnte, doch mit unserer relativen "Freiheit der Lehre" wäre es dann sehr schnell vorbei. - Darüber ein wenig ernsthaft nachzudenken, das erscheint mir viel lohnender als billige Polemik in starren Denkmustern.

mfG
Günter Wittek


----- Original Message -----
From: "Mag. Herbert Till"
To:
Subject: LF: Ziel des Wirtschaftens??

> Das ist, wenn ich den Lohnzettel meiner Frau ansehe (nicht im
> öffentlichen Dienst), auch nur eine Wunschvorstellung (oder
> Propaganda) , seit über 20 Jahren ist sie bei der selben Firma und
> arbeitet nun sogar mehr Stunden und hat auch seit 10 Jahren immer
> netto fast gleichbleibendes (wenn man von einigen Schillingen
> Differenz absieht) Gehalt. Die Firma hat zwar den Umsatz verdoppelt,
> aber der Personalstand wurde halbiert.
>
> Hans Adam




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