ZEIT 35 / 2001
Klassenfrage
Plötzlich sind Lehrer ganz toll - und das ohne Nachhilfe
Von Martin Spiewak
So kann man sich irren. Eigentlich dachten wir zusammen mit Gerhard Schröder, Lehrer seien "faule Säcke". Menschen mit zwölf Wochen Urlaub im Jahr, die "vor und nach den Ferien nichts mehr machen", wie der ehemalige nordrhein-westfälische Finanzminister Heinz Schleußer gesagt hat.
Stimmt alles gar nicht, stellt nun eine Aufklärungskampagne in Nordrhein-Westfalen richtig. Wenn andere Leute bereits vor dem Fernseher sitzen, mühen sich Lehrer "bei Nacht und Wind" noch am Schreibtisch. Computeranalphabeten im Lehrerzimmer? Auch nicht richtig. Vielmehr weisen Deutschlands Pädagogen "unseren Kindern den Link in die Zukunft". Und das mit den langen Ferien wurde ebenso falsch verstanden. Lehrer "arbeiten selbstständig" und schätzen "Gestaltungsfreiräume".
In neuer Eintracht verbreiten Lehrerverbände und das Düsseldorfer Kultusministerium die Gegendarstellung auf Plakatwänden und in TV-Spots. "Menschen mit Klasse" heißt das Motto der Imagekampagne für die diskriminierte Randgruppe; in Schleswig-Holstein lautete der Leitspruch einer ähnlichen Aktion Sorgenkind "Gute Leute machen Schule". Auch in den Medien hat sich das Lehrerbild in kürzester Zeit gewandelt. Aus beneideten Halbtagsarbeitern wurden bemitleidete Malocher mit "Höllenjob", ihr Notenschnitt stieg von "mangelhaft" auf "mehr als befriedigend" - und das ohne Nachhilfe.
Die Erklärung für den Stimmungswandel ist simpel: It's economy, stupid; Angebot und Nachfrage bestimmen den Ruf. Gibt es zu viele Lehrer, darf man sie mit Kritik, ja Verachtung strafen. Fehlen sie, muss man sie hofieren. Kaum einer kennt die Gesetze des Marktes so gut wie Gerhard Schröder. Wir warten auf ein neues Kanzlerwort.
(c) DIE ZEIT 35/2001