Zum Prinzip der Sozialstaatlichkeit im Bildungswesen
a) Vorbemerkung
b) Konsequenzen der derzeitigen Bildungspolitik
c) Forderungen an eine Bildungspolitik, die sich dem Gedanken der Sozialstaatlichkeit
verpflichtet fühlt
a) Bildungspolitik ist immer Teil der Gesamtpolitik eines Staates. Sie ist daher insbesondere nur auf dem Hintergrund der gesellschafts- und wirtschaftspolitischen Ausrichtung der jeweiligen Regierung zu beurteilen.
Andererseits haben bildungspolitische Weichenstellungen auch wesensbestimmende Auswirkungen auf die Qualität und den Stellenwert von gesellschafts-, sozial- und wirtschaftspolitischen Entscheidungen und bestimmen somit nicht nur die Zukunft eines gesamten Staatswesens entscheidend mit. Sie haben insbesondere Auswirkungen auf die Zukunftschancen der Menschen, auf deren Sicherung der materiellen Lebensgrundlagen, aber auch auf deren konkrete Lebensbedingungen.
b) In der derzeitigen österreichischen Bildungspolitik spielen vor allem strukturelle, organisatorische und wirtschaftspolitische Überlegungen eine Rolle, während ein umfassendes Bildungskonzept sowohl typendifferenziert als auch abgestimmt auf die Bedürfnisse und Zukunftschancen der Menschen in einer demokratischen Gesellschaft in den Hintergrund tritt.
Der Begriff Bildung entartet zunehmend zu einem reinen Ausbildungsbegriff, wo nur die rasche Verfügbarkeit und Verwertung des Wissens am „freien Markt“ zählt. Für Bildungsziele wie Wahrnehmung von Glück, Bereitschaft sowohl zur Selbstverantwortung als auch gegenüber dem Gemeinwesen, Abwehr von und Abscheu vor Unmenschlichkeit , das Bewusstsein von der Geschichtlichkeit der eigenen Existenz usw. ist kein Platz mehr . Damit ist die Gefahr verbunden, dass junge Menschen immer mehr in Abhängigkeiten von Wirtschaftskonzernen und privaten Institutionen, deren Einfluss auf die Ausbildungsinhalte steigt, geraten.
Die Schule wird zunehmend zu einem „Dienstleistungsbetrieb“ umgestaltet, wo nach den Gesetzen der freien Marktwirtschaft Leistungen für jene erbracht werden, die dafür auch eine entsprechende Gegenleistung bieten können. SchülerInnen mit erhöhtem Betreuungsbedarf laufen daher zunehmend Gefahr nicht mehr in den „Genuss“ dieser „Dienstleistungen“ zu gelangen.
Im Pflichtschulbereich, wo ein Einsparungsziel von ca. 1,5 Milliarden Schilling als Beitrag zum sogenannten Nulldefizit im Rahmen des Finanzausgleiches mit den Ländern hauptsächlich über den Abbau von Lehrerplanposten erfolgt, wird dadurch eine Kürzung von Zeitressourcen vorgenommen. Als Folge davon werden insbesondere die Integration von Migranten sowie von Kindern mit sonderpädagogischen Förderbedarf deutlich erschwert. Die Anhebung der Schülerzahlen in Integrationsklassen gefährdet zudem eine individuelle Betreuung aller SchülerInnen.
Insbesondere in Schulen, in denen Psychagogen und Beratungslehrer eine wichtige Funktion für die Unterstützung der persönlichen Entwicklung von SchülerInnen haben und eine Art Brückenfunktion zwischen Schule und Sozialarbeit erfüllen, bewirkt der Abbau von Personal mitunter die gesellschaftliche Isolation der Betroffenen und gefährdet den Prozess der sozialen Integration.
Kaum vorhandene Budgets im Bereich der Lehrerfortbildung wirken sich auf zahlreiche pädagogische Tätigkeitsbereiche wie z.B. Konfliktmanagement, Förderung von besonders begabten oder leistungsschwächeren Kindern, Förderung von Selbstkompetenz u.a.m. nachteilig aus.
Die sogenannte Autonomie der Schulen, welche in den letzten Jahren vor allem in den höheren Schulen massiv vorangetrieben wurde, entpuppt sich zunehmend als eine bildungspolitische Maßnahme, welche den finanziellen Rückzug des Staates aus dem Schul- und Bildungsbereich ermöglicht, denn sie bezieht sich in erster Linie auf den Etat der Schulen, welcher in vielen Bereichen gekürzt oder trotz steigendem Bedarf nicht erhöht worden ist. Trotz steigender Ansprüche, welche an die Schulen gestellt werden, sollen diese in Zukunft von weniger LehrerInnen bei hohen Klassenschülerzahlen sowie gekürzten Budgetmitteln erbracht werden.
Bereits seit Jahren können für den Unterricht unverzichtbare Lehrmittel wie beispielsweise die Schulbücher aus diesen Budgets nicht mehr gedeckt werden. Der Begriff „Gratisschulbuch“ ist somit ein ungerechtfertigter, weil die Eltern seit Jahren einen beträchtlichen Teil dieser Lehrmittel zu finanzieren haben, einerseits über Selbstbehalte, andererseits über Direktzahlungen. Ähnliches trifft auf die sogenannte „Schülerfreifahrt“ zu, die ebenfalls zum Teil über einen Selbstbehalt der Eltern finanziert wird.
Auch die Ausstattung vieler Schulen, insbesondere von Klassenräumen, wird zunehmend mittels Beiträgen aus der Elternschaft finanziert.
Die Fremdsprachenausbildung wird an vielen Schulen durch Sprachaufenthalte im Ausland ergänzt, eine an und für sich sinnvolle Bereicherung, welche jedoch nur für jene offen steht, die auch über die finanziellen Mittel dafür verfügen. Auch hier wäre es an der Zeit, wenn von staatlicher Seite gleiche Bedingungen und Möglichkeiten für alle SchülerInnen geschaffen würden.
Für einkommensschwächere Familien mit mehreren schulpflichtigen Kindern stellen diese Zahlungen bereits eine kaum mehr verkraftbare finanzielle Belastung dar.
Das schulische Angebot wurde in den letzten zwei Jahren insbesondere im Bereich der „unverbindlichen Übungen“ drastisch gekürzt. Kenntnisse und Fertigkeiten, welche die SchülerInnen bisher in diesen Übungen (z.B. Instrumentalmusik, Tennis,
...) vermittelt bekamen, müssen nun am „freien Markt“ gegen Bezahlung erworben werden oder man verzichtet darauf. Für viele SchülerInnen boten diese Übungen die einzige Gelegenheit auch aktiv am kulturellen Leben der Gesellschaft teilzunehmen.
Von diesen Kürzungen sind vor allem wieder all jene Bevölkerungsgruppen betroffen, deren materielle Lebensbedingungen es nicht erlauben, zusätzliche Geldmittel für die Ausbildung ihrer Kinder aufzubringen.
Die durch die Budgetbegleitgesetze erfolgte Überbewertung des Unterrichts auf Kosten von anderen pädagogischen Tätigkeiten der LehrerInnen, welche auch finanziell um die Hälfte entwertet wurden, wie beispielsweise die des Klassenvorstandes, führt zu einem mittelalterlich anmutenden pädagogischen Rückschritt, der wiederum zu Lasten all jener gehen wird, die besonderer Zuwendung und Betreuung bedürfen.
Nicht zuletzt wird darunter auch die Qualität der Schulpartnerschaft, die Interaktion zwischen Schülern, Eltern und Lehrern leiden.
Auch über Ausgliederung und Privatisierung des Bildungswesens wird seitens der Regierung bereits ernsthaft nachgedacht. Statt der Bezirks- und Landesschulinspektoren sollen Schulholdings (Raschauer-Bericht) eingeführt werden, deren Aufgabe vor allem darin bestehen soll, die Schulen weniger nach pädagogischen und mehr nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu führen.
Bereits jetzt zeichnet sich im österreichischen Schulwesen eine Entwicklung hin zu einem Zwei-Klassen-System ab, in welchem der Zugang zur Bildung nur mehr für jene gewährleistet sein wird, die auch über die notwendigen finanziellen Mittel verfügen. Auch die Einführung von Studiengebühren von S 5000.- pro Semester, der Rektor der Wirtschaftsuniversität Wien, Hans Robert Hansen, erwartet mittelfristig sogar eine Anhebung auf S 25.000.- pro Semester (Kurier, 28.3.2001), sowie die in letzter Zeit immer wieder erhobene Forderung, Zugangsbeschränkungen an den Universitäten einzuführen, stehen im Zeichen dieser unsozialen Entwicklung.
Für viele im Bildungswesen Tätige ist Bildung– vor allem die Chance auf Bildung
- jedoch ein zu kostbares Gut, als dass sie es einfach den Interessen des „freien Marktes“ unterordnen wollen.
c) Die Bildungspolitik ist ein Parameter dafür, wie sehr ein Staat am Gesamtwohl der Bevölkerung, der Zukunft des Landes sowie an den Chancen der jüngeren Generation Interesse zeigt. Zur Sicherung eines hohen Bildungsniveaus in einem Sozialstaat Österreich, in welchem der Zugang zur Bildung sowie die individuelle Förderung von Begabungen, aber auch die Kompensation von Mängeln für alle SchülerInnen gewährleistet ist, sind folgende Maßnahmen unumgänglich:
· Deutliche Erhöhung der finanziellen Mittel sowie der Personalressourcen
für ganztägige Schulformen sowie für Integrationsklassen
· Bereitstellung von finanziellen Ressourcen für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen
· Förderung und Bezahlung von Fortbildungsmöglichkeiten für LehrerInnen
· Anerkennung der pädagogischen Tätigkeitsbereiche der LehrerInnen (z.B.
Klassenvorstandstätigkeit) als Bestandteil der Lehrverpflichtung
· Senkung der Schülerzahlen in den Klassen
· Verringerung der Gruppenteilungszahlen in besonders lern- oder betreuungsintensiven
Fächern
· Anhebung des schulischen Angebotes im Bereich der Freifächer und unverbindlichen
Übungen sowie von Lehrangeboten wie beispielsweise soziales Lernen
· Verstärkte Aufnahme von individuellen Förderangeboten für SchülerInnen
ins Lehrangebot
· Ausbau von Schulversuchen
· Rücknahme sämtlicher finanzieller Zugangsbeschränkungen im Bildungswesen
Mag. Gerhard Kohlmaier Schottengymnasium Freyung 6 / 1010 WienE-Mail: gerkohl@yahoo.com
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