Ein Kommentar der PRESSE vom 23 09 01
 
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Nona? Naja

Quergeschrieben: Der "Presse"-Kommentar von außen VON EVA WEISSENBERGER

 Am Freitag lag das Kuvert des ÖGB im Postkasten. 1,4 Millionen Gewerkschaftsmitglieder sind aufgerufen, über 6 wirtschafts- und sozialpolitische Fragen und über "gewerkschaftliche Kampfmaßnahmen", also alles bis zum Generalstreik, abzustimmen. Die sieben Punkte wurden von fast allen Kommentatoren als Nona-Fragen abgetan. Und FP-Altobmann Jörg Haider schrieb in der "Presse" von "Forderungen, die inhaltlich bestenfalls den Charakter von Selbstverständlichkeiten haben". Wer wird schon etwas gegen eine "schulische und berufliche Bildungsoffensive" oder die "Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes" haben? Andere Haltungen der Gewerkschaft verstehen sich aber ganz und gar nicht von selbst. Mit dem Abfertigungsmodell des ÖGB ab dem ersten Tag, auch bei Selbstkündigung, mit freier Verfügbarkeit durch den Arbeitnehmer, hat die Wirtschaft verständlicherweise Probleme. Das Thema ist noch längst nicht ausdiskutiert. Anderes Beispiel: Die Gewerkschaften wollen auch weiterhin über die Kollektivverträge verhandeln. Das Regierungsprogramm vom Februar 2000 sieht jedoch eine Verlagerung der Kollektivvertragshoheit auf die betriebliche Ebene vor. FP-Vize Hubert Gorbach wiederholte erst Anfang September: "Man muß Stellenwert und Sinnhaftigkeit einer Gewerkschaft prüfen und hinterfragen, ob sie heute noch zeitgemäß ist." Die Versicherungspflicht anstelle der Pflichtversicherung, mit der Teile der ÖVP und der FPÖ sowie das verblichene LIF seit Jahren geliebäugelt hatten, ist für Sozialminister Herbert Haupt offiziell erst seit Anfang des Monats vom Tisch. Eine Studie hatte ihn darüber aufgeklärt, daß Arme, Kranke und Behinderte bei einem neuen System, das keine Pflichtversicherung mehr vorsieht, Gefahr liefen, von den Versicherungen abgelehnt zu werden. Die Gewerkschaft fordert den "Stop des unwiderruflichen Ausverkaufs öffentlichen Eigentums". Nona? Wald, Wiesen, Wasser, schon aus Sentimentalität würden die meisten Österreicher wahrscheinlich davor zurückschrecken, das zu verscherbeln. Trotzdem hat die Regierung die Bundesforste und sogar das Wasser schon zur Diskussion gestellt. Die ÖGB-Forderungen sind selbstverständlich, Herr Landeshauptmann Haider? Erst kürzlich verkaufte Kärnten 49 Prozent seines Energieversorgungsunternehmens Kelag an den deutschen Stromriesen RWE. Außerdem hat der ÖGB auf seinem Stimmzettel neben Strom, Wasser und Wald auch noch die "Betriebe" geschummelt. Daß der Verkauf von verstaatlichten Unternehmen schlecht sei, ist in Österreich nach den Erfahrungen mit der Voest in den Achtzigerjahren sicher nicht common sense. Ganz im Gegenteil: "Ich bin für den totalen Rückzug des Staates", lautet das Credo des zweiten Nationalratsratspräsidenten Thomas Prinzhorn, der die freiheitliche Wirtschaftspolitik dominiert. Und die Regierung zieht den Verkauf auch schleunigst durch. Auf dem ÖGB-Stimmzettel finden sich also nicht nur dumme Nona-Fragen, sondern auch ein paar sehr spannende Themen, die diskutiert gehören. Die Beantwortung könnte so manches Gewerkschaftsmitglied aber vor unlösbare Probleme stellen: Was kreuzt man an, wenn man gegen den Verkauf des Wienerwaldes, aber für den Verkauf der VA Stahl ist? Wenn man gegen eine Abfertigung ab dem ersten Tag, aber für die freie Verfügbarkeit durch den Arbeitnehmer ist? Und wo notiert man auf dem kleinen Stimmzettel die Antworten auf die Fragen, die der ÖGB leider gleich gar nicht stellt: nach dem passiven Wahlrecht für Ausländer bei Betriebsratswahlen, nach einer demokratischeren Struktur des ÖGB und nach einer durchschaubaren Gehaltspyramide für seine Spitzenfunktionäre?

Die Autorin ist innenpolitische Redakteurin beim "Falter".