Liebe Kollegin Lackenbauer,

Ich bin schon ein wenig überrascht nun zu lesen, dass die Durchführung des Boykotts unser Kampfziel sein soll. Das kann ja wohl so nicht sein. Unser Ziel ist die Rücknahme des Budgetbegleitgesetzes, des Helm-Modritzky-Paktes usw., und wir drücken unser Missfallen über diese "Budgetsanierung" auf unsere Kosten unter anderem durch Boykottmaßnahmen aus. Die konsequente Durchführung ist Ausdruck unseres Willens, die Politik des Drüberfahrens nicht zu akzeptieren, und dieser Vorgehensweise etwas entgegenzusetzen.
Ich kann nicht ganz nachvollziehen, dass manche Diskussions- teilnehmer nun so fassungslos reagieren, weil auch die Gegenseite sehr trickreich "arbeitet". Die Medien, zumal der regierungsabhängige ORF sind ein Kampfinstrument der Regierung, es kann weisungs- konform auch zur Desinformation eingesetzt werden.
Es ist völlig klar, dass in einer Situation, in der wir uns als Chartisten (radikale Demokraten) zu erkennen geben, alle Register gezogen werden, um entstehende neue Organisationsformen zu unterlaufen.
Die Gewerkschaftsbürokratie nimmt in dem jetzt eben beginnenden Kampf die Rolle der "fortschrittlichen Bourgeoisie" ein, sie verbündet sich lieber mit der Regierung zur Schein-Erhaltung einer noch so toten Sozialpartnerschaft, als die Interessen der Mitglieder auch nur annähernd zu vertreten. Real ist es doch so, dass von der Gewerk- schaftsführung die eigenen Mitglieder, die ihre Interessen selbst vertreten und sich nicht vertreten lassen wollen, als der "aufkommende Feind" betrachtet werden.
Es ist daher falsch, wenn wir mit dem ÖGB dieses mafiose System zu stützen versuchen. Sehe ich es denn völlig falsch, wenn ich die Bezahlung eines Gewerlschaftsbeitrages oder Wirtschaftskammerbeitrages als eine Art Schutzgeld-Zahlung empfinde, die aber durch tatsächliche Entwicklung (europäisches Recht) an einen völlig bedeutungslosen Schutzherrn geleistet wird, und daher wohl auch wirtschaftlich nicht mehr angebracht ist?
Ich kehre zurück zu einem Ausgangspunkt meiner Überlegungen, aus der Geschichte der Chartisten zu lernen. Wenn es uns gelingt, uns nicht in zahllose "Zielgruppen" zu zerbröseln, sondern gemäß unseren Interessen gewerkschaftlich zu handeln, die durchaus auch öffentlich ausgetragenen Tricks der Spaltung zu durchschauen und zu überwinden (historisch: "nomination day" und "declaration day" auf einen Nenner zu bringen), dann wird das gesamte System nicht mehr funktionieren, dass uns von außen Meinungen (als angeblich die unseren) aufgedrückt werden können.

mkG
Günter Wittek


----- Original Message -----
From: Irmgard
To: lehrerforum@ccc.at
Subject: LF: boykott

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen
1
Die Meldungen zum Boykott werden immer interessanter.
Da macht Kollege Schödl am eigenen Leib die Erfahrung, dass in den Medien nicht alles so verbreitet wird, wie es tatsächlich gesagt wurde. Weiters stelle ich fest, dass er sich in die Riege derer einreiht, die die Gewerkschaft als Feigenblatt dafür verwenden, dass nicht flächendeckend boykottiert wurde. Jeder, der sich näher mit der Sache beschäftigt, weiß recht gut, dass die Meinungen quer durch die Fraktionen gehen (ich kenne "rote" Schulen, die nicht boykottieren und "schwarze" die das doch tun, auch ÖLI-Schulen soll's da in OÖ geben, die gar nichts tun!). Wie würde sich Kollege Schödl eigentlich verhalten, wenn österreichweit Schulveranstaltungen boykottiert würden? Gegen das Diktat einer von der Basis abgehobenen Gewerkschaftsspitze gewettert, die ihn daran hindert, sein Projekt durchzuführen bzw. Schulen an den Rand der Existenzgefährdung bringt, weil sie ihnen verbieten, ihre typenbildenden Veranstaltungen durchzuführen? Dabei ist es relativ einfach: wer sich für Boykott entscheidet, kann ihn durchführen. Wer nicht, wird - so wie er - gute Gründe haben, und soll sich nicht hinter "der Gewerkschaft" verstecken Irmi Lackenbauer



--
Diese Liste wird vom Computer Communications Club (http://www.ccc.at) betrieben. Um sich aus der Liste austragen zu lassen, senden Sie ein e-mail an majordomo@ccc.at mit dem Befehl "unsubscribe lehrerforum" im Nachrichtentext.