S.g. Koll. Wallner

Ich schließe mich ihrer Vorgangsweise an und gehe auf einige Argumente an der betreffenden Stelle ein. Vorweg an die möglicherweise "diskussionsmüden" LF-Teilnehmer. Ich halte es für wichtig, über mehr oder weniger Staat auch in unserem Forum nachzudenken. Daher entscheide ich mich für die Antwort via LF anstatt einem privaten Re.


----- Original Message -----
From: Erich Wallner
To: Lehrerforum
Sent: Sunday, October 14, 2001 7:33 AM
Subject: Re: LF: Re: Wienerberger - und kein Hahn kräht?

S.g. Kollege Wittek!

Meine Anmerkungen zu Ihren (gekürzten) Ausführungen:

GW> Das Problem besteht darin, dass viele Leute blind der "freien
GW> Markt- wirtschaft" vertrauen und nicht erkennen wollen, dass diese
GW> notwendiger- weise ihre eigenen Krisen produziert.

E.W.: Dazu wäre noch zu sagen, daß die Leute deswegen der "freien Marktwirtschaft" vertrauen, weil die bisher praktizierten Alternativen (verstaatlichte Wirtschaft in Österreich und "Realer Sozialismus") für jedermann nachvollziehbar spektakulär gescheitert sind.

G.W.: Die bisher praktizierten Alternativen sind nicht die einzig denkbaren Alternativen. Das "spektakuläre Scheitern" sollte nicht in falsche Denkmuster umgewandelt werden. Die Verstaatlichte in Österreich ist gescheitert, weil die Verantwortlichen es für richtig befunden haben, in diesen Betrieben fast nur Halbfertigprodukte herzustellen. Daher haben die Gewinne andere Unternehmen eingefahren, der Staat hat indirekt den privaten Sektor subventioniert und dort stolze Gewinne erst ermöglicht. Dieser Fehler soll natürlich nicht wiederholt werden. -- Zum "Realen Sozialismus" merke ich nur an, dass dies ein extrem bürokratisches System war, in die Position eines Verantwortungsträgers konnte nur jemand kommen, der sich durch kritiklose Unterwürfigkeit "ausgezeichnet" hat. Es versteht sich von selbst, dass ich als Demokrat nicht wünsche, dass ein derartiges System in der Form wie einst wieder eingeführt werden soll. - Aber dies ändert nichts an der Kritik der freien Marktwirtschaft, denn sie bewirkt, dass eine kleine Gruppe - nahezu unverhofft und "unverschuldet" - extreme Gewinne ein- fahren kann, während die große Zahl der Lohnabhängigen diesem System relativ ohnmächtig ausgeliefert ist. Der Staat hat daher wenigsten die Schuldigkeit, die Zahl der Arbeitslosen möglichst gering zu halten durch ausgleichende konjunkturpolitische Maßnahmen, Unterstützung bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze, Umschulungen und durch eine anständige Versorgung der Arbeitslosen. In der liberalen "freien Markwirtschaft" sieht es aber bekanntlich so aus, dass Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mit Bekämpfung der Arbeitslosen gleichgesetzt wird. Es ist absehbar, dass gerade in der augenblicklichen Lage (beginnende Rezession, abwartendes Käuferverhalten) die Zahl der Arbeitslosen dramatisch ansteigen wird. Die Regierungen sind in dieser Situation eben nicht aus der Verantwortung zu entlassen, sie können nicht nur passive Zuschauer sein und abwarten, wie "der Markt" darauf reagiert.


> Denn in Zeiten steigender Kurse besteht keine Notwendigkeit zu einer
> Korrektur des Wirtschaftsverhaltens, denn der Erfolg gibt den
> Verantwortlichen ja recht. In Zeiten der Stagnation oder der Krise
> fehlen aber oft die notwendigen Ressourcen, um einen neuen Weg
> einzuschlagen. Gesundschrumpfen wird dann zum Allheilmittel, fast
> genauso wie vor einigen Jahrhunderten das "zur Ader lassen" in der
> Medizin als Allheilmittel gegolten hat.
>
> Das tatsächlich wirksame Gegenmittel ist mehr Verantwortung des
> Staates für die Wirtschaft: "mehr Staat, weniger privat!" - Der
> Staat müsste die Verantwortung übernehmen für eine echt antizyklische
> Wirtschaftspolitik und so die Volatilität der Märkte ausgleichen. In
> Zeiten einer überhitzten Konjunktur einen nennens- werten Anteil von
> den Gewinnen einbehalten, um ihn dann in Zeiten der Stagnation oder
> der Rezession für Investitionen und für Innovation einsetzen zu
> können.

E.W.: Und wenn wir einen patscherten Finanzminister haben, dann geht bei diesem System nicht bloß eine Firma krachen, sondern gleich das ganze Land! Schauen Sie sich doch bitte die aktuelle Situation in Österreich an: Ein in Ihrem Sinne kompetenter Finanzminister hätte die gegenwärtige wirtschaftliche Rezension bereits vor einem Jahr heraufziehen sehen müssen - stattdessen "investiert" unser (im internationalen Vergleich eh schon familienpolitisch luxuriös dotiertes) Land nochmals jährlich Milliardenbeträge neu in den Kinderscheck, um ein Wahlversprechen einzulösen, welches zu einem Zeitpunkt gegeben wurde, als die Wirtschaft tatsächlich noch boomte - und da rede ich noch gar nicht von den Abfangjägern. Das 11. Gebot "Nulldefizit" ist auch so ein Beispiel dafür, wie sich ein Finanzminister von der Realität abkoppeln kann - Nulldefizit um jeden Preis.
Fazit: Der Politiker muß erst noch geboren werden, der den Sachverstand vor die Parteiräson stellt. - Ein Wirtschaftskapitän tut sich da schon viel leichter, und wenn er einmal jährlich einer Aktionärsversammlung Rede und Antwort stehen muß, dann schadet das auch nicht. Aktionäre sind übrigens nicht lauter kurzfristige Spekulanten - gerade die Großaktionäre halten ihre Beteiligungen oft viele Jahre und sind daran interessiert, daß eine Firma auch schlechte Zeiten gut durchsteht - MIT dem Wind segeln ist sowieso keine große Kunst.

G.W.: Wir sind in Sachen "patscherter Finanzminister" und seine Fehlinvestitionen bzw. seine Unterlassungen vermutlich ziemlich einer Meinung. Um ein gut funktionierendes Gemeinwesen zu haben, müssen wir in "Politischer Bildung" den Schülern klar zeigen, dass der Stimmzettel bei einer Wahl nicht ein Denkzettel sein kann, um Frust abzuladen, sondern dass hier "Aufträge" für künftiges Handeln erteilt werden. Wir stimmen überein, dass noch eine ganz andere Politikergeneration "gebacken" werden muss, aber warum sollen wir damit nicht schon jetzt anfangen?

Zu den Aktionären: Manche halten ihrem Unternehmen die Treue, schauen auf die Finger. Aber das von da nach dort hin fluktuierende Kapital, das jener Anleger, die kurzfristig den größtmöglichen Gewinn haben wollen, wird immer größer. Und hier sollte ein Gegensteuern möglichst bald einsetzen, zum Wohle von uns allen.

meint
Günter Wittek





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