SN vom 03 11 01
http://www.salzburg.com/sn/01/11/03/wochenende-23169.html
"Was wertvoll ist"
Mehr als 3000 Jugendliche haben im Schuljahr 2000/01 in Österreich bereits am Ethikunterricht teilgenommen. Jetzt liegt die erste Studie über diese Alternative zum Religionsunterricht vor. Die Schüler nehmen viel neues Wissen auf. Wie weit das ihre späteren Entscheidungen beeinflusst, ist ungewiss.
JOSEF BRUCKMOSER
Im Schuljahr 1997/98 gab es in Österreich an acht Standorten die ersten Schulversuche für den Ethikunterricht. Im vergangenen Schuljahr hatten die Jugendlichen bereits an 76 Schulen die Wahl zwischen dem konfessionellen Religionsunterricht und dem "Ersatzfach" Ethik. "Zuerst konnte ich mir nicht viel unter Ethik vorstellen, aber dann infomierte ich mich darüber und es interessierte mich brennend. Die Themen, die wir erarbeiten, sind sehr interessant und bringen mir viel für das Alltagsleben", sagte eine 15-jährige Schülerin aus Salzburg zu ihren Motiven. Ähnliche Gründe nannte ein Drittel der Jugendlichen bei einer groß angelegten Studie, die der Salzburger Religionspädagoge Anton Bucher im Auftrag des Bildungsministeriums durchführte. Dass der Ethikunterricht "besser und moderner" sei sagte ein Viertel derer, die dieses Fach gewählt haben. Beinahe ebenso viele sahen sich aber zum Ethikunterricht "gezwungen". Dieser "Zwang" beschreibt die neue Situation, die an Schulen mit Ethikunterricht sowohl für die Jugendlichen als auch für den konfessionellen Religionsunterricht entstanden ist. Denn wo es kein Fach Ethik gibt, haben diejenigen, die sich von Religion abmelden, frei. Wird dagegen Ethikunterricht angeboten, müssen alle Schülerinnen und Schüler entweder an Religion oder an Ethik teilnehmen. Damit entfällt die verlockende Möglichkeit, sich durch die Abmeldung von Religion eine oder zwei Schulstunden pro Woche zu sparen. Entsprechend positiv wirkt sich die Einführung eines Ethikunterrichtes für den Religionsunterricht aus: "Ethikunterricht verringerte die Abmeldequote vom Religionsunterricht im Schnitt um 20 Prozent", heißt es in der Studie von Professor Bucher. Religionslehrerinnen und Religionslehrer würden den Ethikunterricht daher sogar "als erleichternd" empfinden, "weil er keine so massive Konkurrenz ist wie zwei Freistunden". Der Religionspädagoge warnt die Kirchen allerdings davor, von sich aus die flächendeckende Einführung des Ethikunterrichtes zu fördern, um dadurch die Abmeldequoten vom Religionsunterricht niedrig zu halten. "Ethikunterricht ist nicht als Mittel zu einem ihm sachfremden Zweck zu rechtfertigen", also dafür, den Religionsunterricht indirekt abzusichern. Im Gegenteil: Bucher tritt ausdrücklich dafür ein, den Religionsunterricht und den Ethikunterricht auf dieselbe Stufe zu stellen. Ethik sollte nicht als "Ersatzfach" verstanden und bezeichnet werden, sondern als "ordentlicher Pflichtgegenstand für alle, die an keinem Religionsunterricht teilnehmen". Ohnehin sitzen die beiden Unterrichtsgegenstände vom Ergebnis her im selben Boot. Der Ethikunterricht verzeichnet gute Erfolge, was das Wissen und die Auseinandersetzung mit ethischen Fragen betrifft; der nachhaltige Einfluss auf das Verhalten lässt sich aber ebenso wenig direkt nachweisen wie beim Religionsunterricht. Wie "tief" Ethik oder Religion gehen, hängt besonders damit zusammen, welche Einstellung und Verhaltensweisen im Elternhaus erworben wurden. "Im Ethikunterricht habe ich gelernt, zu ethischen Problemen eine eigene Meinung zu entwickeln und Klarheit darüber zu finden, was mir persönlich wertvoll ist." Dieser Feststellung haben rund 60 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler zugestimmt. Eine 16-jährige Vorarlbergerin sagte
ausdrücklich: "Manchmal habe ich von Sachen erfahren, von denen ich gar nichts wusste, und habe gelernt, mir eine eigene Meinung zu bilden." Ein Jugendlicher an einer Wiener Schule sagte über den Lerneffekt im
Ethikunterricht: "Eine eigene Meinung bilden über verschiedenste Themen, Toleranz zu zeigen, zum Beispiel, was tun, wenn die Freundin schwanger ist, oder, wie kann man sich von Drogen fernhalten."
Einstellung zu Ausländern deutlich verändert
Insgesamt könne von zwei Stunden Ethik pro Woche ebenso wie vom Religionsunterricht "nicht erwartet werden, die Lebensgestaltung nachhaltig zu verändern", schloss Bucher aus den Ergebnissen der Befragung. "Der stärkste Nutzen des Faches besteht in der Förderung ethischer Reflexion." Ein Beispiel ist die Einstellung gegenüber Ausländern. Am Ende der fünften Klasse hatten 38 Prozent der Jugendlichen an einer Salzburger Schule der Aussage zugestimmt, "dass Asylanten nur auf Wohlstand aus sind". Am Ende der sechsten Klasse, nach einem Jahr Ethikunterricht, war diese negative Haltung gegenüber Asylbewerbern auf 19 Prozent zurückgegangen.
Anton Bucher: "Ethikunterricht in Österreich", Verlag Tyrolia, 2001.
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