Ein Österreich-Beitrag aus dem Rheinischen Merkur, der mir interessant erscheint. Aufgrund der Länge zweigeteilt, abrufbar aber auch unter

http://www.merkur.de/aktuell/mp/bi_014301.html

Grüße sendet
Timo Davogg

ÖSTERREICH
Wien macht sich daran, wirtschaftsfreundliche Bildungsstrukturen umzusetzen

Business ist große Mode

Schule und Hochschule sollen effizienter werden. Schlagworte der Reform sind Profilbildung, moderne Abschlüsse, Evaluation, Gebühren.

Autor: PETER MEIER-BERGFELD, Graz
"Tötet Gehrer!", stand auf den Flugblättern, die man vor einigen Tagen im österreichischen Ministerium für Bildung und Wissenschaft fand. Die Drohung gegen die Ministerin Elisabeth Gehrer von der ÖVP war wohl - gottlob - nur ein besonders übler (Studenten-)Ulk. Aber es gärt an Österreichs hohen und höchsten Schulen. Lautstarke Demos im ruhigen Wien schrecken die braven Bürger im gerade angelaufenen Wintersemester auf.
Die seit zwei Jahren regierende ÖVP-FPÖ-Koalition hat nämlich die größte Umwälzung der Bildungsstrukturen seit dreißig Jahren vorgenommen, ganz wirtschaftsfreundlich und neoliberal. Motto: Der Magister der sieben freien Künste geht, der Master of Business Administration kommt.
Neu ist: Das Land - ohne Numerus clausus - führt erstmals Studiengebühren ein, 5000 Schilling (363 Euro) pro Semester, 10000 für Studierende aus Nicht-EWR-Staaten, die auch umgerechnet rund 6000 Euro (12000 Mark) hinterlegen müssen als Kaution für die Aufenthaltsgenehmigung. Arbeiten dürfen sie nicht. Wer nicht zahlt, wird zwangsexmatrikuliert, Ausländer müssen Österreich verlassen. Etliche Albaner oder Bulgaren haben ihr Studium abgebrochen. Auch zirka ein Drittel der 210000 heimischen Studenten hat sich nicht zurückgemeldet - die Existenz als Karteileiche und "Nur-Sozialstudent" lohnt sich offenbar nicht mehr.


Starke Rektoren

Im OECD-Ranking, das unter anderem die Ausgaben pro Student ausweist, schnellt Österreich nach oben. Auch die durchschnittliche Studiendauer, derzeit mit 14 Semestern sehr hoch im internationalen Vergleich, wird sinken. Die höchste Abbrecher-Rate in Europa wird fallen.
Neu ist auch die innere Organisation der Universitäten, die im Durchschnitt bis jetzt rund 200 Gremien hatten, zum Teil drittelparitätisch besetzt. Der Weg geht weg von der "Basisdemokratie", hin zur
Hierarchisierung: Rektor, Senat und ein neu geschaffener Universitätsrat führen die Hochschule. Der Uni-Rat wird zwei vom Senat gewählte Mitglieder haben, zwei vom Staat bestellte und ein kooptiertes Mitglied von außerhalb der Hohen Schule.
Im Senat werden zwölf bis 24 Menschen sitzen; nur noch ein Viertel sind Studenten, mehr als die Hälfte Professoren. Endgültig wird das - nach öffentlicher Diskussion - Ende dieses Jahres vom Ministerium festgelegt. Effizienz kommt, Dauerpalaver geht. SPÖ und Grüne sind dagegen.
Ende 2002 werden die achtzehn Universitäten in Österreich Vollrechtsfähigkeit ("Anstalten des öffentlichen Rechts") und Autonomie haben. Sie werden selber Schwerpunkte bilden müssen, ein Globalbudget für drei Jahre bekommen und - wie die Schweizer Hochschulen - Leistungsverträge mit dem Staat abschließen. "Orchideenfächer" haben es da schwer. Wie viel "marktgerechte" Leistungen können die Assyriologie, die Altamerikanistik, die Byzantologie erbringen? Die Universität muss zukünftig Einnahmen erwirtschaften - im nächsten Jahr schon eine Milliarde Schilling -, der Homo oeconomicus ist das Leitbild, nicht mehr der Gelehrte in "hülfreich Einsamkeit" (Humboldt). Hinter allem steht der Kampf um das Nulldefizit im Bundeshaushalt.
Sensation im josephinisch-bürokratisch-paternalistisch verwalteten
Österreich: Die Habilitation fällt weg. Damit ist auch der schöne Brauch (bisher die Norm), dass jeder Habilitierte automatisch außerordentlicher Professor wurde, dahin. Und ärger noch: Ab sofort gibt's mit dem ersten Ruf nicht mehr die Verbeamtung auf Lebenszeit. Zusammen mit der Computerisierung der Lehre und der Einführung des Bakkalaureats ist alles eine veritable Reform, die den neuen Zeitgeist aufnimmt und in Gesetze und Verordnungen gießt.


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