Nur noch Angestellte

Es ist ja wahr, Österreichs Universitäten waren - trotz aller formalen Mitbestimmungsgremien - teilweise noch immer der Hort der professoralen Tradition. Über dem Examensraum der Karl-Franzens-Universität zu Graz steht noch immer: "K. u. k. Prüfungscommission", die Absolventen schwören bei der Abschlussfeier auf das vom Pedell hingehaltene Universitätsszepter, der Wissenschaft lebenslang zu dienen, die Chargierten grüßen, der Rektor und alle Professoren singen im Talar das "Gaudeamus igitur". Hausberufungen, Freunderlwirtschaft, Mini-Institute als "Austragshäuserl" für Altgelehrte waren nicht selten. Die "Sitzkarriere" war möglich, die "Pragmatisierten"
(Lebenszeitbeamte) waren die Regel, auch bei Assistenten. Da Österreich keine Akademischen Räte, Oberräte, Direktoren kannte, konnte man lebenslang Assistent bleiben.
Das neue Dienstrecht kennt nur noch Angestellte, die sich um jede Karrierestufe neu bewerben müssen. Die ersten drei Dienstposten sind zeitlich begrenzt: Der akademische Mitarbeiter (Magister, Diplomierter) kann maximal vier Jahre bleiben, um promoviert zu werden, der Universitätsassistent vier bis sechs Jahre, der befristete Professor sieben Jahre, dann erst kommt die unbefristete Professur.
Sprachlich ist das schick und anglizistisch gemacht: "staff scientists" haben keine "tenure", radebrecht das zur Moderne aufbrechende Österreich. Übergangsfristen (sechs Jahre) sichern den Vertrauensschutz für Leute, die noch nach altem Recht eingestellt werden. Gegenwärtig wird sich habilitiert "auf Teufel komm raus".
Die Kritik ist massiv. Die Studenten sehen die Demokratie in Gefahr, die Assistenten fürchten existenzielle Katastrophen ("Junge Leute werden als billige Arbeitskräfte ausgebeutet, um sie dann wegzuwerfen"), und auch die Professoren haben nicht wirklich "a Freud" damit. Nur siebzig Prozent der österreichischen Rektoren waren für die "Uni neu". Befürworter, meist aus den Reihen der Industriellenvereinigung, sehen mehr Flexibilität, Mobilität, Effizienz und "Durchlüftung".
Eine echte Bildungsdebatte wird allerdings nicht geführt, es geht allein um Ausbildung. Einst sollte auch an den Hohen Schulen noch Charakterbildung geschehen im Suchen nach der Wahrheit; der gebildete Mensch sollte ein anderer sein am Ende seines Bildungsganges als am Anfang. Das zählt heute - auch in Österreich - höchstens noch als Kompensation für den Primat der Durchökonomisierung.
So auch an den Schulen, die ebenfalls reformiert werden. Alle Gymnasien sollen ein eigenes Schulentwicklungsprogramm konzipieren, der Staat zieht sich zurück. Dafür ist das Werbeverbot gefallen; allerdings ist Bandenwerbung für Alkohol und Tabak an den Turnhallenwänden (noch) verboten. Auch die Schulen sollen Einnahmen erwirtschaften. Statt des "Zöglings" erscheint der "Kunde", als ob das Verhältnis des Lehrers zum Schüler das der "nackten, baren Zahlung" (Karl Marx) wäre. Wenn Österreich - selten genug - einmal ändert, dann richtig. "Verhaltensverträge" werden überall an den Schulen geschlossen, der Lehrer als Autorität dankt ab, wobei vergessen wird, dass "auctoritas" etymologisch mit "augmentere" ("fördern") zusammenhängt. Computerunterricht fordert die Ministerin ("Anwenden, anwenden, anwenden! Und lernen, wie man alles zusammensteckt!").
Allerdings sind grundsätzlichen Änderungen in Österreich verfassungsrechtliche Grenzen gezogen. Der Bund, nicht die Länder, hat die Schulhoheit, prinzipielle Änderungen sind von einem Zweidrittelvotum des Parlaments abhängig. Immerhin, die Einführung der - bisher fast unbekannten - Realschule wird diskutiert: in einem "Think-Tank", sagt Frau Gehrer. Die Wirtschaft hat schon ihr dringendes Interesse an den praktisch verwertbaren Absolventen angemeldet. Das richtet sich vor allem gegen die Hauptschule, die eine Restschule sei. Doch das stimmt nur für Wien und Graz, allenfalls noch für Linz. In Tirol gehen noch 81 Prozent der Kinder in die Hauptschule, nicht ins Gymnasium, in Kärnten, Steiermark, Niederösterreich, Salzburg, Oberösterreich, Burgenland sind es zwischen 73 und 78 Prozent.
Im Zuge des "Los von den siebziger Jahren!" fordern die Bildungssprecher von ÖVP und FPÖ die Wiedereinführung der Aufnahmeprüfung für das Gymnasium, was die SPÖ mit "Zurück ins Mittelalter?" kontert.
Dort, wo die SPÖ - im Rahmen der verfassungsrechtlichen Restriktionen - handeln kann, vor allem also in Wien, werden allerhand Verschleierungsversuche gemacht: Die Kooperative Schule (Hauptschule plus gymnasialer Anteile) wird ausprobiert, ein Etikettenschwindel, der vor bald 30 Jahren in Nordrhein-Westfalen an einem Volksbegehren gescheitert ist.
Vorsichtiger geht es die ÖVP an. Sie fördert bilinguale Schulen und quält sich mit der Frage herum, ob Lehrer Beamte sein müssen, wenn man den Hochschullehrern den Beamtenstatus nimmt. Dabei müsste jeder wissen, dass Unsicherheit nicht zwingend die Effizienz steigert. Im Gegenteil: Nichtkündbarkeit ist als motivierende Größe auch Teil eines kompetitiven Marktes.
Natürlich soll auch die Oberstufe reformiert werden. Doch es ist zu hoffen, dass die Ministerin den deutschen Übertreibungen (seit 1973) nicht folgt, sondern sieht, wie sehr diese in Deutschland zurückgenommen worden sind. Im österreichischen Gymnasium sollen ab 2003 in der siebten und achten Klasse Fächer abgewählt werden können. Bisher gibt es ja noch das "volle Programm" für alle Gymnasiasten in der zum Teil noch humanistisch ausgerichteten (achtjährigen) Oberschule. Doch Vorsicht! Wenn alles kombinierbar, austauschbar, kompensierbar ist, kommt am Ende nur die große Beliebigkeit heraus. Das will die ÖVP insgesamt nicht, obwohl ihr Wirtschaftsflügel allem ökonomisch schnell Nutzbaren das Wort redet. Die Stichworte sind: "Standortkonkurrenz", "Globalisierung", "das rechnet sich nicht", "Latein ist Zeitverschwendung".
Die Ministerin versucht es mit Elite und Qualität. Sie fördert die erste österreichische Schule für Hochbegabte, die Karl-Popper-Schule am Wiedner Gürtel in Wien. Dort werden ab der neunten Klasse Hochbegabte zusammengefasst, im Frühjahr 2001 gab es die ersten Maturanten. Popper ist ja 1902 in Wien geboren; er wurde nach Tischlerlehre und Erlaubnis zum "außerordentlichen Studium" zum Philosophen und Soziologen der offenen Gesellschaft.


Hochbegabte fördern

Seit einiger Zeit gibt es überall in Österreich Vereine zur Förderung hochbegabter Kinder. In Salzburg existiert seit zwei Jahren das "Zentrum für Begabtenförderung und Begabtenforschung", das auch Lehrer schult. Der "European Council for High Ability" (ECHA) von Professor Franz J.Mönks (Universität Nijmwegen/Niederlande) veranstaltet in Österreich, in Zusammenarbeit mit der EU, dreisemestrige Lehrgänge für diese Lehrer. Diese ECHA-Ausbildung haben beispielsweise in der Steiermark bereits 400 Lehrkräfte absolviert.
Österreichs Schulbild schwankt derzeit zwischen einer Schule mit Werbetrommel statt Pausenklingeln und dem Ort der Elitebildung. Auch die Hochschulen bekommen ein Gesicht, das zuweilen eher dem einer Ausbildungsfabrik ähnelt, aber eben doch auch mehr Chancen für Quereinsteiger, Quicke, Vife, Innovative bietet.
Das (noch) katholische Österreich sollte nicht vergessen, was Papst Johannes Paul II. in "Centesimus Annus" sagt: "Es gibt unzählige Bedürfnisse, die gar keinen Zugang zum Markt haben." Selbst Adam Smith
warnte: "Die rein kommerzielle Gesinnung engt den Geist des Menschen ein."


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