Frankfurter Rundschau 01 12 01
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Lernschwächen
Die Krise des Bildungssystems und die Gründe dafür sind altbekannt - sie betreffen im Kern die Lehrkräfte
Von Jörg Feuck
Wie grausam und beschämend wird das Zeugnis ausfallen? Wie tief wird Deutschland in der Rangtabelle der 32 OECD-Staaten noch sinken? In bildungspolitischen Zirkeln jagt ein düsteres Orakel das nächste. Das mächtige Wort der "Bildungskatastrophe" macht schaudern. Wer sich so fürchtet, muss sich schlechter Noten sicher sein: Die Ergebnisse der internationalen Schulleistungsstudie PISA, die das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin nächste Woche veröffentlicht, lässt Deutschland höchstens mittelprächtig dastehen - wahrscheinlich ähnlich schwach wie vor einigen Jahren in der TIMSS-Studie, die endgültig klar machte, dass das deutsche Schulsystem ziemlich viele grundsätzliche Fehler macht und Nachhilfe bitter nötig hat. PISA deckt wissenschaftlich sehr anspruchsvoll auf, ob Jugendliche aus sozial schwächeren wie auch reicheren Verhältnissen mit 15 Jahren genügend Fähigkeiten und Fertigkeiten besitzen, um später im Alltag und in mehreren Berufen zu bestehen. Die Studie ermittelt, ob ihnen die Schule solide Grundlagen für lebenslanges Lernen mitgegeben hat. Fatal, wenn die Bundesrepublik sich bei dieser Reifeprüfung mit Ach und Krach durchmogelt. Die Entrüstung über das Attest, dass unser Schulsystem seine Hauptaufgabe ungenügend erledigt, wird enorm sein. Die ideologischen Lager werden die gepflegten Urteile und Forderungen abrufen. Obgleich die Daten für den innerdeutschen Ländervergleich, für die abstoßenden Rangeleien, ob Gesamtschule oder Gymnasium, ob der Norden oder Süden besser ist, erst nächstes Jahr sortiert werden. Aber die ganze Aufregung ist heuchlerisch: Die Krise und ihre Gründe sind altbekannt, und sie betreffen im Kern die Lehrkräfte. Seit Jahren wird ohne Widerspruch angemahnt, die Lehrerausbildung müsse dringend verbessert werden. Doch die Politik sitzt das Problem aus. Die von der Kultusministerkonferenz eingesetzte Terhart-Kommission hat die Lage nochmals klar und deutlich umrissen: Ein zerfleddertes und an den falschen Stellen detailverliebtes Universitäts-Studium, ein beliebiger und loser Flickenteppich aus Fachdidaktik, Erziehungswissenschaften und Schulpraktika, ein brüchiger Übergang ins mies bezahlte Referendariat, in dem zu viele schlecht qualifizierte Ausbilder den Praxis-Schock beim Nachwuchs auskosten und folgenreiche Lektionen erteilen: Das (ruck, zuck verstaubende) Fachwissen wird zum höchsten Gut erhoben, Praxisbezüge und ein robustes didaktisch-methodisches Repertoire stehen hintan. Junge Lehrerinnen und Lehrer steigen in einen Beruf ohne große Karrierechancen ein, mutieren noch viel zu oft zu Einzelkämpfern und vernachlässigen die Pflicht zum kontinuierlichen Weiterlernen im Beruf. Gute Schule, so definieren es Kinder, Eltern und Lehrkäfte, zeichnet sich durch möglichst viele starke Persönlichkeiten im Kollegium aus. Die authentisch und selbstkritisch, selbst wiss- und lernbegierig sind, die sich klar ausdrücken, anschaulich erklären, einen roten Faden im Unterricht spinnen und Aufgaben auf den Alltag beziehen und "problemlösend" angehen. Die mit Eltern vorurteilsfrei, also professionell umgehen und ein Ethos pflegen, der Identifikation mit und gegenseitigen Respekt in der Schule einschließt. Doch der schulische Alltag verläuft trostlos: Zu viel Buchkapitel für Buchkapitel durchgenommener Stoff wie schon vor dreißig Jahren und zu viele Lehrkräfte, die von der Routine zehren. Nur ein Bruchteil aller Schulen hat sich ernsthaft auf den Weg gemacht, um die Ergebnisse der geleisteten
Bildungs- und Erziehungsarbeit kritisch zu beurteilen, Lehrpläne zwischen Fächern und Jahrgangstufen abzustimmen, Lehrer-Teams zu bilden, Schülern moderne Lerntechniken, Rhetorik und das Einmaleins des Präsentierens von Kurzreferaten beizubringen. Aber die Abwehr funktioniert leider noch zu gut. Gern werden die blamablen Statistiken der OECD zitiert: Deutschland hat den zweithöchsten Anteil älterer Lehrer an Grund- und weiterführenden Schulen. Mehr als 40 Prozent sind älter als 50 Jahre. Deutschland gehört zu den drei Ländern, die weniger als zehn Prozent der öffentlichen Ausgaben in Bildungseinrichtungen investieren. Nur: Mehr Geld wirkt keine Wunder. Es braucht einen grundsätzlichen Wechsel der Mentalität. Solange Schulpädagogen, wie Bildungsforscher aktuell feststellen, aus dem schlechten Abschneiden bei Schulleistungsstudien weiter falsche Lehren ziehen und sich aus Selbstschutz in noch mehr verschärfte Auslese und Beschränkung des Zugangs zu mittlerer und höherer Bildung retten, solange wird sich Qualität von Schule nicht bessern. Es wäre niederschmetternd, verlangten jetzt die Lobbyisten wohlfeil kleinere Klassen oder weniger Unterrichtsverpflichtung. Dies würde das Zerrbild vom larmoyanten und weltfremden Berufsstand festigen. Um ihres Ansehens, ihres Anspruchs und ihrer Schüler willen müssen sich Lehrer unbequeme, populistisch klingende Ansprüche gefallen lassen und zu eigen machen: Dazu zählen mehr Fortbildung in den Ferien und Präsenzzeiten in der Schule. Und die Kultusminister sollten ein reformiertes Lehrer-Studium mit Master-Examen wenigstens ausprobieren.
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