PRESSE 11 12 01

Wir sind noch einmal davongekommen

Österreichs Schulsystem ist hervorragend. Aber: Es geht immer noch ein bißchen besser

GASTKOMMENTAR VON KURT SCHOLZ
Der Autor ist Bereichsleiter im Wiener Rathaus für die Restitution und war langjähriger Amtsführender Präsident des Stadtschulrates für Wien.

Zwei Jahre lang wurde die vergleichende PISA-Bildungsstudie gehandelt wie ein geheimer Nato-Aufmarschplan. Nun steht fest: Österreich schneidet international gut ab - nach dem Urteil des "Programme for International Student Assessment ("Die Presse" berichtete am 5. und am 6. Dezember: 31 Staaten wurden da verglichen, Österreich liegt auf Platz 10). Dennoch ist das Ergebnis eine Kopfnuß für Bildungsideologen. Daß österreichische Jugendliche ein überdurchschnittliches Niveau erreichen, ist angesichts unserer hohen Bildungsausgaben eigentlich eine
Selbstverständlichkeit: Alles andere wäre blamabel. Und so sollten wir uns über das gute Abschneiden der österreichischen Schulen ehrlich freuen - und sei es nur mit einem boshaften Seitenblick auf unsere pädagogisch so experimentierfreudigen wie notorisch selbstbewußten bundesdeutschen Nachbarn. Die haben - nicht zum ersten Mal - katastrophal abgeschnitten. Im Fußball sind sie besser, bei der Bildung nicht. Als gelernte Österreicher haben wir es ja immer schon geahnt . . . Für alle Lordsiegelbewahrer pädagogischer Halbwahrheiten stellt die PISA-Studie aber auch ein Ärgernis dar: Es gibt keine Gewißheiten mehr. Länder mit rigiden Unterrichtsformen liegen vor oder hinter uns, solche mit Gesamtschulen sind erfolgreicher oder schlechter, Schulsysteme mit hohen Klassenschülerzahlen produzieren niedrigere - aber auch eklatant bessere Schülerleistungen. Wie soll man sich da noch auskennen? Die Studie liefert keine Munition für den ideologischen Simpel. Weder die progressive noch die konservative Pädagogik können mit diesen Ergebnissen ihr politisches Süppchen kochen. Entscheidend für die Schülerleistung ist nicht die Organisationsform des Schulwesens - hie Gesamtschule, dort Elitegymnasium -, nicht die Menge der Unterrichtsstunden oder die Dauer des Unterrichtstages, nicht einmal die Klassenschülerzahl, sondern - die Qualität des Unterrichts. Weder Schuldrill noch Kuschelpädagogik sind ein Patentrezept. Guter Unterricht und gute Schulen kennen andere Regeln, wie etwa: Ohne Anstrengung geht nichts. Nicht bei den Schülern, nicht bei den Lehrerinnen und Lehrern. Bei ihnen gehören die Guten befördert - nach oben. Auch die Schlechten gehören befördert - weg von den Kindern. So gesehen könnten die Studienergebnisse die gute, alte Schulaufsicht wachküssen. Auch sie sollte sich von der leidigen Systemdiskussion weg und wieder zu ihrer ureigenen Aufgabe - Qualitätssicherung, externe Kontrolle, Vergleiche zwischen guten und schlechten Schulen, inklusive aller personeller Konsequenzen - hin bewegen. Der internationale Vergleich ist für unsere Schulen gut ausgegangen, aber wir dürfen uns nicht auf dem Bärenfell ausruhen. Exzellenz heißt das Rezept, nicht Selbstzufriedenheit. Wir wollen doch nicht jener neugegründeten Schwimmannschaft gleichen, von der die Anekdote weiß: Beim ersten internationalen Vergleichskampf landeten die Schwimmerinnen und Schwimmer im guten Mittelfeld, aber weitab aller Spitzenplätze. Der Trainer spendete Trost: "Fest steht: Wir haben keine Medaille gemacht, aber anderseits: Es ist auch niemand von uns ertrunken!" Ertrunken ist unser Schulwesen in der PISA-Studie nicht. Wir können schwimmen. Aber solange andere schneller sind als wir, muß unser Ehrgeiz wach bleiben. Es geht immer noch besser, beim Schwimmen und bei den Schulen.


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