Frankfurter Rundschau 15 12 01
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Deppen-Dogma
Von Franco Zotta
Deutschland, das Land der Dichter und Denker? Ein Märchen aus uralten Zeiten, nicht viel mehr. Kant und Einstein, das war einmal. Heute steht Deutschland im Zeichen von Pastor Fliege und Naddel, ist die Showbühne für den Samen-inkontinenten Boris Becker und die blubbsblöde Verona Feldbusch, ist die Heimat der Teppichluder und Girls-Camps.
Das ist zwar alles nicht schwul, aber ist es trotzdem gut so?
Nö, sagt "Pisa", die kürzlich veröffentlichte internationale Schulvergleichsstudie, und bescheinigt den Deutschen offiziell, was man spätestens seit der Übergabe des Abiturzeugnisses an Dieter Bohlen im Grunde wissen konnte: Die deutschen Schulen taugen wenig. Unter 32 getesteten Nationen findet sich das reiche Deutschland auf Platz 25 wieder, knapp vor wirtschaftlich dauergebeutelten Ländern wie Mexiko und Brasilien. "Wir sind die größten Deppen der Welt", reklamierte großbuchstabig die Dresdener Morgenpost wenigstens im weltweiten Deppen-Wettbewerb einen Spitzenplatz für die Bundesrepublik - und muss befürchten, dass diese Titelambition von den Lesern nicht mal verstanden wird. Ein Fünftel der getesteten Kids konnte laut "Pisa" nämlich nicht einmal "abc" vorlesen, ohne dabei drei Fehler zu machen.
"Faktischen Analphabetismus" machte da Arbeitgeberpräsident Hundt bei den künftigen abhängig Beschäftigten aus. Und so manchem Ex-Schüler, der es inzwischen bis zum Mitglied der Kultusministerkonferenz gebracht hat, schwante, dass die Qualität eines Schulsystems nicht nur daran gemessen wird, dass es musikalisch talentierte Metzger hervorbringt, die "Wadde hadde dudde da" trällern und damit Millionen verdienen.
Nach "Pisa" ist die Welt auch für die Redaktion der gleichnamigen Tageszeitung nicht mehr so, wie sie sein sollte. Deutschland oben, der Rest dahinter - diese Reihenfolge war man im Wirtschaftswunderland jahrzehntelang gewohnt. Nun reiht man sich in Leistungstests selbst hinter verschlafenen südeuropäischen Siesta-Ländern ein. Das schmerzt.
Aber die Welt weiß, wie die "Pisa"-Tabelle wirklich zu lesen ist. Schaut man sich nämlich genauer an, wer den Schnitt versaut hat, sieht die Sache schon ganz anders aus. "In Deutschland", analysiert die feinsinnige Welt-Redakteurin, "drückt der Anteil der frisch eingewanderten Ausländer das Pisa-Ergebnis." Der "arme, ausländische Junge" ist's, der das deutsche Bildungssystem blamiert. Arme, ausländische Jungs gibt es zwar auch bei den "Pisa"-Siegern Kanada und Neuseeland. Aber diese Länder, schulmeistert die Welt-Redakteurin, "sieben extrem bei der Auswahl ihrer Einwanderer und betreiben so von vorn herein eine klare soziale Auslese".
Die Botschaft hat der ausländische Junge verstanden. Eine Frage hat er aber noch: Die Kunst der größten Deppen der Welt, in ihrer Mitte noch immer ein paar Dumme zu finden, denen man die Schuld für das eigene Deppsein in die Schuhe schieben kann - lernt man das hierzulande eigentlich auch in der Schule?
Der Italiener Franco Zotta arbeitet in Deutschland als freier Journalist.