Die Presse 12 01 02 http://www.diepresse.at/detail/default.asp?channel=sp&ressort=S102&id=268086

Das Schummeln per Internet

Wie erledigt der gewitzte Schüler heute seine Hausaufgaben? Mit ein paar Mausklicks! Für die Pädagogen ist es deshalb hoch an der Zeit, das Kulturwerkzeug Internet ebensogut beherrschen zu lernen wie ihre Zöglinge.

Von Jakob Steuerer

Die Elterngeneration macht sich zunehmend Sorgen um ihre Kinder: Es häufen sich die Bedenken betreffend die "Denk- und Handlungsweise der Jugend", wie das US-Meinungsforschungsinstitut Roper Starch herausfand. 1991 konstatierten erst knappe elf Prozent der Erwachsenen diese Besorgnis, ein knappes Jahrzehnt später hatte sich diese Zahl bereits verdreifacht. Diese klimatische Veränderung der Atmosphäre des Vertrauens zwischen den Generationen geht einher mit einem auffälligen Megatrend: Im selben Zeitraum stieg nämlich die Zahl der Internet-Benutzer explosionsartig an.

Benutzten Anfang der Neunziger erst einige hunderttausend Auserwählte das Internet als Kommunikationsmittel, so waren dies zu Anfang des neuen Jahrtausends bereits Hunderte Millionen Menschen in den unterschiedlichsten Gesellschaften. Zudem wächst die Schar der Internet-User vor allem unter den Jugendlichen rapide an. Laut dem "Austrian Internet Monitor" von 2001 surfen bereits 86 Prozent der 14- bis 19jährigen Österreicher im Netz, die 20- bis 29jährigen zu 61 Prozent und die 30- bis 39jährigen zu 52 Prozent. Danach fällt die Kurve steil ab: Halten die Vierziger sich noch halbwegs wacker bei 46 Prozent, beginnt knapp danach eine deutliche Reserviertheit gegenüber dem Netz. Nur mehr 25 Prozent der Fünfziger finden sich mit dem Internet zurecht.

Warum diese Zahlenklauberei? Nun: Sie illustriert ein Problem, das sich zwischen der Welt der Erwachsenen und der "Generation N", der Netz-Generation, auftut. Hie die Jugend, die sich technologisch kundig in den schier unüberschaubaren Informationsangeboten des Internet bewegt - da die Erwachsenen, die sich mit zunehmendem Alter mit der Recherche in ebendiesen Wissenswelten des World Wide Web schon deutlich schwerer tun. Woraus sich eine bedeutsame Konsequenz ergibt: Schüler und Studenten nutzen das "Netz der Netze" eben nicht nur aus purer Neugier oder gar aus Wissensdurst, sondern auch zum Schummeln. Und zwar ebenso massiv wie wohlorganisiert, wie ein erster Blick auf die aktuellen deutschsprachigen Zonen des Internet offenbart.

So kann der gewitzte Schüler, der etwa ein Referat möglichst komfortabel erstellen will, unter www.referate.de aus Themen aller Art wählen - und im Idealfall mit ein paar Mausklicks in einigen Minuten erledigt haben. Unter www.hausarbeiten.de wiederum kann er unter fast 18.000 thematisch vielfältigen Lösungen wählen. Und unter www. spickzettel.de findet er rund 4000 Referate nebst einer reichhaltigen Sammlung von Schwindelzetteln, die er sich inhaltlich passend herunterladen und der Natur der Sache entsprechend in winzig kleiner Schrift ausdrucken kann.

Einige der Betreiber solcher Sites versuchen in jüngster Zeit sogar, aus der gewaltigen Nachfrage auch ein Geschäft zu machen: So kommt man unter www.young.de jedesmal unverzüglich zu einer Werbeseite, die den Erwerb einer umfangreichen Hausaufgaben-CD-Rom suggeriert. Und bei www.referate.com bekommt man ab einem halben Euro - bequem per Kreditkarte abzubuchen - Zugang zu den extensiven Schummelarchiven.

Unbedingt nötig ist der Griff in die Geldtasche jedoch keineswegs, weil sich inzwischen auch im deutschsprachigen Raum bereits einige Dutzend selbstorganisierte Schüler- und Studenten-Initiativen im Internet tummeln, die nach dem Prinzip "Gib von deinen Hausübungen was her, und auch dir wird dann gegeben" inzwischen ein breites Spektrum an Themen kostenlos abzudecken imstande sind. Und selbst die Suche wird dem Schwindel-Novizen leicht
gemacht: Integrierte "Search Engines" liefern mit hoher Präzision etwas Brauchbares, mit dem man den Lehrer am nächsten Tag zufriedenstellen kann. Letzteres vor allem dann, wenn der Pädagoge selber nicht gerade am medialen Puls der Zeit ist.

Die Professorin für Medieninformatik an der FHTW Berlin, Debora Weber-Wulff, kennt und benennt die aktuelle Dimension des bequemen Netz-Schwindelns, nachzulesen in ihrem Beitrag in der jüngsten Ausgabe des deutschen Computermagazins "c't": "Die Zeiten, wo Schummelei mit Hilfe des Internet lediglich Einzelfälle waren, sind lange vorbei. Ich habe im Sommersemester 2001 34 Hausarbeiten gehabt. Inzwischen sind zwölf Autoren ,überführt' beziehungsweise haben ihre Tat gestanden. Bei den Gesprächen mit den Plagiaristen habe ich erfahren, daß es gang und gäbe ist, in der Schule Texte aus dem Internet als eigene auszugeben. Ein Student meinte sogar recht hämisch, daß die Lehrer ,zu doof sind', um im Internet zu suchen." Die Professorin nahm ihn daraufhin beim Wort: "Ich habe die Herausforderung angenommen und bei seiner Hausarbeit drei Stichproben vorgenommen. Nach nur zwei Recherchen hatte ich fünf Zeilen, die er wörtlich von einer anderen Hausarbeit einer anderen Fachhochschule übernommen hatte."

Während die Medienexpertin Weber-Wulff die Häme nicht persönlich, sondern zum Anlaß nahm, den wildwuchernden Plagiarismus via Internet wissenschaftlich zu untersuchen, trifft der Vorwurf eine erkleckliche Anzahl von Mittel- und Hochschullehrern mit Recht. Denn wie erwähnt, ist die Erwachsenengruppe der 30- bis 60jährigen durchschnittlich nicht einmal zur Hälfte mit dem Internet vertraut. Ein fatales Ungleichgewicht, das den Betroffenen zu denken geben sollte: Lehrer sollten das unverzichtbare Kulturwerkzeug mindestens ebenso blendend wie manche ihrer Zöglinge beherrschen. Andernfalls dürfen sie sich eben nicht wundern, wenn ihre Schüler oder Studenten das Netz zu ihrem Vorteil auszunützen versuchen.

Dabei könnte die detektivische Überführung der jugendlichen Schwindler - bei entsprechender Medienkenntnis - nicht nur leicht sadistisch veranlagten Pädagogen zum Vergnügen werden. Der Schlüssel dazu ist jedoch die profunde Sachkenntnis der Mechanismen und Werkzeuge des Internet: Indem man etwa mit der Suchmaschine www.google.com fragliche Text- stellen und Quellen einkreist und auffindet. Indem man auch die deutsche Suchmaschine www.fireball.de bemüht, welche durch einen eingebauten Ranking-Algorithmus der meistgefundenen Treffer gleichzeitig oft auch die Hits aus den Hausaufgaben-Sammlungen auf das erste Hinsehen preisgibt. Indem man speziell für englischsprachige Verdachtstexte diese via www.turnitin.com mit einer Datenbank 800 Millionen anderer Texte vergleicht.

Auch der spontane Griff zu verbreiteten Wissens-CD-Roms sorgt oft für sofortige Klarheit: Microsoft Encarta ist eine beliebte Quelle für digital kopierte Schülerarbeiten jedweder Art und Thematik. Oder indem man sich mit Hilfe des aktuellen Buches von Lea Susemichel "www. Schule leicht gemacht" (Tosa Verlag, Wien), welches 3000 Internet-Links zu Lernthemen auflistet, der virtuellen Plätze von jeweiligem Quellmaterial kundig macht - und gezielt nachforscht.

In Grunde sollten wir uns - Erwachsene wie Kids -, was den Wissenserwerb per Internet anbelangt, nicht in gegenseitigem Mißtrauen, in Täuschen und Entlarven blockieren. Sondern eher dem Resümee der Expertin Weber-Wulff
folgen: "Das Internet ist eine interessante Quelle für wissenschaftliche Arbeiten. Man muß nicht betrügen, um sie intensiv zu nutzen." Zudem sind der produktiven Ideen für nachhaltig attraktive Lern- und Kommunikationsformen per Computer genug vorhanden.

So arbeitet der US-Computer-Guru Alan Kay seit langem gemeinsam mit Jugendlichen an Projekten, welche dazu geeignet wären, die merkliche Kluft zwischen den Generationen nach und nach durch eine neue Form der kreativ-lernenden Kooperation wieder zu schließen. In einem bereits im Herbst 1991 im "Scientific American" publizierten Artikel argumentiert Alan Kay für einige radikal neue Möglichkeiten einer Anreicherung des Lernens durch vernetzte Computer - und dies lange vor dem späteren Siegeszug des Internet. Die grundsätzlichsten - und von unseren Lernsoftware-Designern noch lange nicht eingelösten - Optionen:

Attraktives Potential für verstärkte und reichhaltige Interaktivität beim
Lernen: Der Computer reagiert prompt und wird dereinst wie ein "persönlicher Assistent" agieren.

Information kann via Computer aus sehr verschiedenen Perspektiven gezeigt und erfaßt werden. Dazu MIT-Forscher Marvin Minsky: "You do not understand anything until you understand it in more than one way."

Nach Kay besteht das wahre Herz des Computing jedoch im Erzeugen dynamischer Modelle einer Idee durch Simulation. Der Computer fungiert in Zukunft als mächtige Test-Maschine von diversen Ideen, Hypothesen und Theorien unserer jugendlichen Wißbegierigen.

Und vor allem: Das Internet können wir als eine Art universaler, reichhaltiger Mediathek des Wissens vor allem dann nutzen, wenn wir (Erwachsene wie Jugendliche) mit den inhärenten Strukturen des Wissens kundig umzugehen gelernt haben.

Hier schließt sich der Kreis: Alan Kays Vision von einer technologisch gestützten Renaissance des Wissens wird nur dann Realität, wenn Erwachsene wie Jugendliche bereit sind, den Teufelskreis des Mißtrauens zu durchbrechen. Got it, kids? Got it, oldies? Don't be shy!

Jakob Steuerer ist unter der Internet-Adresse js@hightech.presse.co.at erreichbar.

12.01.2002



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