S.g. Kollege Davogg!

Im hier diskutierten sprachlichen Thema ging es mir darum, einen Aspekt aufzuzeigen: Wenn es um (zumindestens karrieremäßig) positiv besetzte Begriffe geht, dann verwenden bestimmte AutorInnen stets das Binnen-I, also: PolitikerInnen, ÄrztInnen, ProfessorInnen, SchriftstellerInnen etc.

Wenn es dagegen um negativ besetzte Begriffe geht, dann sind dieselben Leute interessanterweise durchaus bereit, dem ansonsten als reaktionär verfemten Argument zu folgen, daß die weibliche Form ohnehin in der männlichen mit-enthalten sei - daher der erste Teil meiner Liste. Ich habe ihn nach formalen Gesichtspunkten aufgestellt (= grammatische Möglichkeit einer weiblichen Endung), und in einigen Fällen haben Sie sicher Recht, wenn Sie sagen, daß es sich um eher männliche Untugenden handelt - aus diesem Grund habe ich auch "Kinderschänder" nicht aufgenommen, obwohl ich glaube gelesen zu haben, daß etwa im Fall Dutroux auch Frauen beteiligt waren. Daß die weit verbreiteten Klitorisbeschneidungen an jungen Mädchen in der Dritten Welt ausschließlich von Frauen vorgenommen werden, setzte ich als bekannt voraus.
(Andererseits - wenn "männliche Domäne", um Ihren Ausdruck zu zitieren, als Rechtfertigung für die Unterdrückung der weiblichen Form herangezogen wird - woher dann die Berechtigung von "UniversitätsprofessorInnen"? Gerade aus der Ecke des Binnen-I ertönt doch am lautesten die Klage darüber, daß die Ordinariate an den Unis nach wie vor fest in männlicher Hand sind!)

Sie bleiben mir allerdings einen Kommentar zu den anderen Beispielen schuldig. Schon Ihr Beispiel von "Geisterfahrer" (und auch "Schmuggler") als typisch männliche Domänen kann ich nicht nachvollziehen. Und was ist mit "Erbschleicher / Faulenzer / Säufer / Prolet / Streber / Wappler / Blödmann / Schleimer / Giftler / Fixer / Schnorrer / Schleimscheißer / Verräter / Hintermann / Nichtstuer / Tschusch / Alkoholiker / Tachinierer / Umweltverschmutzer / Arschkriecher / Ehrabschneider / Jasager / Spielverderber / Untertanenmentalität ..." ?? Wollen Sie da wirklich noch eine soziologische Rechtfertigung für die Dominanz der männlichen Endungen finden?
Würden Sie mir weiters widersprechen, wenn ich behaupte, daß dieselben Leute, die ganz selbstverständlich von "PolitikerInnen" schreiben, sicher nicht "PolitikerInnenprivilegien" in ihrem Wortschatz führen?

MfG Erich Wallner



Timo Davogg schrieb:
>
> Lieber Kollege Wallner,
>
> Im hier diskutierten sprachlichen Thema geht es wohl 1) darum, wer
> jemandem welche Attribute zuteilt bzw. 2) um die Frage, warum
> bestimmte Attribute schichtspezivisch und geschlechtsspezivisch
> zugeteilt werden.
>
> zu 1) Die von Ihnen aprostophierten Epitheta verweisen in ihrer
> vielfältigen Inhaltlichkeit doch immer nur auf männliche
> Negativ-Attribute, die die Männer verdient haben mögen oder auch
> nicht. Parallel dazu gibt es aber - und diese erwähnen Sie nicht -
> eine Vielzahl an Benennungen, die einzig weiblich sind und von denen
> niemand erwartet, dass sie durch Endungs-Änderung vermännlicht würden.
> zu 2) Warum wohl gibt es keine verbreitet verwendete weibliche Form
> von Begriffen wie " Privilegienritter / Ämterkumulierer /
> Drogenhändler / Kümmeltürk" und die anderen von Ihnen angeführten? Na
> ganz einfach: Weil es kaum Frauen gibt, die in die Verlegenheit
> kämen, Ämter zu kumulieren, Privilegien zu reiten, Sessel zu kleben -
> bzw. weil viele der von Ihnen angeführten Professionen (vom Mafioso
> über den Schmuggler, Vandalen, Geisterfahrer und Feuerteufel)
> wirklich männliche Domänen sind. Wenn Frauen die gleichen
> wirtschaftlichen und politischen Positionen innehaben werden wie die
> Männer, dann werden sie auch gleiche Möglichkeiten für politisches und
> wirtschaftliches Fehlverhalten haben; die Bezeichnung dieses
> Negativ-Verhaltens werden dann unter Garantie ihre weibliche
> Entsprechung finden.
>
> Generell: Die Sprache als Spiegel der gesellschaftlichen Verhältnisse
> verweist deutlich (manchmal mit zeitlichen Verzögerungen) auf die
> Machtverhältnisse in der Gesellschaft. Das, lieber Kollege Wallner,
> haben Sie - wenn auch vom Hafer gestochen - mit Ihren Beispielen
> deutlich gezeigt.
>
> Grüße sendet
> Timo Davogg
>
>
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