Sg. Kollege Wallner,

mit einem haben Sie Recht: diejenigen, die sich Gedanken über die Auswirkungen von Sprache machen und daher geschlechtsneutral formulieren wollen, sind per se inkonsequenter als diejenigen, die sich von vorn herein auf die männliche Form der Bezeichnungen zurückziehen. Auch überzeugte KritikerInnen der männlichen Ausdrucksweise schreiben höchst selten etwa "LehrerInnenzimmer" oder "SchülerInnenvertreterInnen". Sich auf eine fragwürdige Position des "War immer schon so und stört eh niemand" zurückzuziehen und auf diejenigen Häme zu gießen, die Problembewusstsein zeigen und im Versuch, neue Wege zu beschreiten, manchmal straucheln, scheint mir allerdings wenig redlich zu sein.

Wir sind uns, glaube ich, einig, dass wir uns hier um den Bereich des schriftlichen Ausdrucks bzw. der direkten Face-to-Face-Kommunikation bewegen. Wenn dem so ist, fallen eine Menge der von Ihnen gesammelten Ausdrücke aus meinem Blickfeld. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, mich schriftlich über männliche oder auch weibliche "Säufer / Prolet / Wappler / Blödmann / Schleimer / Giftler / Fixer / Schnorrer / Schleimscheißer / Tschusch / Alkoholiker / Arschkriecher " zu verbreitern. Schimpforgien im persönlich ausgetragenen Konflikt, die ein derartiges Vokabular verwenden, tragen sich, so meine ich jedenfalls, ohnehin jenseits der hier besprochenen Gender-Problematik zu.

Bleiben für mich aus Ihrer langen, jetzt schon kürzeren Liste, Begriffe wie "Erbschleicher / Faulenzer / Streber /Schnorrer / Verräter / Nichtstuer / Tachinierer / Umweltverschmutzer / Ehrabschneider / Jasager / Spielverderber ". Hier sehe ich, um ein Beispiel zu nennen, eher ein Problem des Chefs, der Chefin, wenn sie sich in einem Appell an die Arbeitsmoral etwa nur an die Faulenzer, Nichtstuer und Tachinierer, nicht aber an die -Innen oder -/innen wenden.

Ziemlich problematisch wird's, wenn es um Begriffe wie "Mannschaft" oder "Landeshauptmann", aber auch "Krankenschwester" oder "Hebamme" geht. Hier hilft wohl nur eine neue Begrifflichkeit, die den geänderten Verhältnissen auf dieser Welt Rechnung trägt.

Sprache ist kein statisches, sondern ein dynamisches Mittel, sich die Welt anzueignen, über sie nachzudenken, zu kommunizieren. Wenn sich die Welt ändert, muss sich auch die Sprache ändern. Schauen Sie doch auf die Entwicklung der Dialekte: man mag es bedauern, aber mit dem Wegfall von Gerätschaft und Arbeitsweise gingen auch die jeweiligen Bezeichnungen unter. Neue Begriffe müssen gefunden werden für etwa neue Technologien. Und auch sozialer Wandel findet seine Entsprechung in der Sprache: das "von" wurde mit der Machtlosigkeit des österreichischen Adels abgeschafft, das "-Innen" existiert durch die Macht des Faktischen als Folge der Emanzipation der Frauen. Man kann das begrüßen oder bedauern: es ist so.

Grüße sendet
Timo Davogg




> S.g. Kollege Davogg!
>
> Im hier diskutierten sprachlichen Thema ging es mir darum, einen
> Aspekt
aufzuzeigen: Wenn
> es um (zumindestens karrieremäßig) positiv besetzte Begriffe geht,
> dann
verwenden
> bestimmte AutorInnen stets das Binnen-I, also: PolitikerInnen,
> ÄrztInnen,
ProfessorInnen,
> SchriftstellerInnen etc.
>
> Wenn es dagegen um negativ besetzte Begriffe geht, dann sind dieselben
Leute
> interessanterweise durchaus bereit, dem ansonsten als reaktionär
> verfemten
Argument zu
> folgen, daß die weibliche Form ohnehin in der männlichen mit-enthalten
sei - daher der
> erste Teil meiner Liste. Ich habe ihn nach formalen Gesichtspunkten
aufgestellt (=
> grammatische Möglichkeit einer weiblichen Endung), und in einigen
> Fällen
haben Sie sicher
> Recht, wenn Sie sagen, daß es sich um eher männliche Untugenden
> handelt -
aus diesem Grund
> habe ich auch "Kinderschänder" nicht aufgenommen, obwohl ich glaube
gelesen zu haben, daß
> etwa im Fall Dutroux auch Frauen beteiligt waren. Daß die weit
verbreiteten
> Klitorisbeschneidungen an jungen Mädchen in der Dritten Welt
ausschließlich von Frauen
> vorgenommen werden, setzte ich als bekannt voraus. (Andererseits -
> wenn "männliche Domäne", um Ihren Ausdruck zu zitieren,
als
> Rechtfertigung für die Unterdrückung der weiblichen Form herangezogen
wird - woher dann
> die Berechtigung von "UniversitätsprofessorInnen"? Gerade aus der Ecke
> des
Binnen-I ertönt
> doch am lautesten die Klage darüber, daß die Ordinariate an den Unis
> nach
wie vor fest in
> männlicher Hand sind!)
>
> Sie bleiben mir allerdings einen Kommentar zu den anderen Beispielen
schuldig. Schon Ihr
> Beispiel von "Geisterfahrer" (und auch "Schmuggler") als typisch
> männliche
Domänen kann
> ich nicht nachvollziehen. Und was ist mit "Erbschleicher / Faulenzer /
Säufer / Prolet /
> Streber / Wappler / Blödmann / Schleimer / Giftler / Fixer / Schnorrer
> /
Schleimscheißer /
> Verräter / Hintermann / Nichtstuer / Tschusch / Alkoholiker /
> Tachinierer
/
> Umweltverschmutzer / Arschkriecher / Ehrabschneider / Jasager /
Spielverderber /
> Untertanenmentalität ..." ??
> Wollen Sie da wirklich noch eine soziologische Rechtfertigung für die
Dominanz der
> männlichen Endungen finden?
> Würden Sie mir weiters widersprechen, wenn ich behaupte, daß dieselben
Leute, die ganz
> selbstverständlich von "PolitikerInnen" schreiben, sicher nicht
> "PolitikerInnenprivilegien" in ihrem Wortschatz führen?
>
> MfG Erich Wallner
>
>
>
> Timo Davogg schrieb:
> >
> > Lieber Kollege Wallner,
> >
> > Im hier diskutierten sprachlichen Thema geht es wohl 1) darum, wer
jemandem
> > welche Attribute zuteilt bzw. 2) um die Frage, warum bestimmte
> > Attribute schichtspezivisch und geschlechtsspezivisch zugeteilt
> > werden.
> >
> > zu 1) Die von Ihnen aprostophierten Epitheta verweisen in ihrer
vielfältigen
> > Inhaltlichkeit doch immer nur auf männliche Negativ-Attribute, die
> > die Männer verdient haben mögen oder auch nicht. Parallel dazu gibt
> > es
aber -
> > und diese erwähnen Sie nicht - eine Vielzahl an Benennungen, die
> > einzig weiblich sind und von denen niemand erwartet, dass sie durch
> > Endungs-Änderung vermännlicht würden. zu 2) Warum wohl gibt es keine
> > verbreitet verwendete weibliche Form von Begriffen wie "
> > Privilegienritter / Ämterkumulierer / Drogenhändler / Kümmeltürk"
> > und die anderen von Ihnen angeführten? Na ganz einfach:
Weil es
> > kaum Frauen gibt, die in die Verlegenheit kämen, Ämter zu
> > kumulieren, Privilegien zu reiten, Sessel zu kleben - bzw. weil
> > viele der von Ihnen angeführten Professionen (vom Mafioso über den
> > Schmuggler, Vandalen, Geisterfahrer und Feuerteufel) wirklich
> > männliche Domänen sind. Wenn Frauen die gleichen wirtschaftlichen
> > und politischen Positionen innehaben werden wie die Männer, dann
> > werden sie auch gleiche
Möglichkeiten
> > für politisches und wirtschaftliches Fehlverhalten haben; die
Bezeichnung
> > dieses Negativ-Verhaltens werden dann unter Garantie ihre weibliche
> > Entsprechung finden.
> >
> > Generell: Die Sprache als Spiegel der gesellschaftlichen
> > Verhältnisse verweist deutlich (manchmal mit zeitlichen
> > Verzögerungen) auf die Machtverhältnisse in der Gesellschaft. Das,
> > lieber Kollege Wallner,
haben
> > Sie - wenn auch vom Hafer gestochen - mit Ihren Beispielen deutlich
gezeigt.
> >
> > Grüße sendet
> > Timo Davogg
> >
> >
> --
> Diese Liste wird vom Computer Communications Club (http://www.ccc.at)
> betrieben. Um sich aus der Liste austragen zu lassen, senden Sie ein
e-mail
> an majordomo@ccc.at mit dem Befehl "unsubscribe lehrerforum" im
> Nachrichtentext.
>
>


--
Diese Liste wird vom Computer Communications Club (http://www.ccc.at) betrieben. Um sich aus der Liste austragen zu lassen, senden Sie ein e-mail an majordomo@ccc.at mit dem Befehl "unsubscribe lehrerforum" im Nachrichtentext.