S.g. Kollege Davogg!
(Diesmal zwänge ich mich dazwischen, damit der Bezug klarer wird.)
Timo Davogg schrieb:
>
> Sg. Kollege Wallner,
>
> mit einem haben Sie Recht: diejenigen, die sich Gedanken über die
> Auswirkungen von Sprache machen und daher geschlechtsneutral
> formulieren wollen, sind per se inkonsequenter als diejenigen, die
> sich von vorn herein auf die männliche Form der Bezeichnungen
> zurückziehen. Auch überzeugte KritikerInnen der männlichen
> Ausdrucksweise schreiben höchst selten etwa "LehrerInnenzimmer" oder
> "SchülerInnenvertreterInnen". Sich auf eine fragwürdige Position des
> "War immer schon so und stört eh niemand" zurückzuziehen und auf
> diejenigen Häme zu gießen, die Problembewusstsein zeigen und im
> Versuch, neue Wege zu beschreiten, manchmal straucheln, scheint mir
> allerdings wenig redlich zu sein.
E.W.: Was Sie als Häme bezeichnen, sehe ich als Ironie, und die ist mir lieb und wert als Stilmittel. (Nebenbei trennt sie auch noch die Böcke von den Schafen unter den Diskussionsteilnehmern - z.B. Koll. Koller am Do. 00:48.) Entscheidend ist doch wohl, ob der Vorwurf in der Sache gerechtfertigt ist - und da haben Sie mir mit "per se inkonsequenter" ja Recht gegeben, obwohl ich das "per se" nicht verstehe - warum soll man in dieser Sache nicht auch als FeministIn konsequent sein können?
> Wir sind uns, glaube ich, einig, dass wir uns hier um den Bereich des
> schriftlichen Ausdrucks bzw. der direkten Face-to-Face-Kommunikation
> bewegen. Wenn dem so ist, fallen eine Menge der von Ihnen gesammelten
> Ausdrücke aus meinem Blickfeld. Ich kann mir jedenfalls nicht
> vorstellen, mich schriftlich über männliche oder auch weibliche
> "Säufer / Prolet / Wappler / Blödmann / Schleimer / Giftler / Fixer /
> Schnorrer / Schleimscheißer / Tschusch / Alkoholiker / Arschkriecher
> " zu verbreitern. Schimpforgien im persönlich ausgetragenen Konflikt,
> die ein derartiges Vokabular verwenden, tragen sich, so meine ich
> jedenfalls, ohnehin jenseits der hier besprochenen Gender-Problematik
> zu.
E.W.: Einverstanden.
>
> Bleiben für mich aus Ihrer langen, jetzt schon kürzeren Liste,
> Begriffe wie "Erbschleicher / Faulenzer / Streber /Schnorrer /
> Verräter / Nichtstuer / Tachinierer / Umweltverschmutzer /
> Ehrabschneider / Jasager / Spielverderber ". Hier sehe ich, um ein
> Beispiel zu nennen, eher ein Problem des Chefs, der Chefin, wenn sie
> sich in einem Appell an die Arbeitsmoral etwa nur an die Faulenzer,
> Nichtstuer und Tachinierer, nicht aber an die -Innen oder -/innen
> wenden.
E.W.: Ausgangspunkt dieser Diskussion war ein Literaturverweis von Koll. Fuchsbauer vom Mittwoch. Es ging darin um den mangelnden "gedanklichen Einbezug von Frauen" bei Verwendung der männlichen Form, und zwar offenbar bei schriftlicher Kommunikation. Mag schon sein, daß der Chef / die Chefin ein Problem hat (oder heißt es hier dann "haben"?), der von mir angesprochenen Aspekt ist jedoch ein anderer, nämlich die Inkonsequenz der meisten Binnen-I-BenützerInnen. Dabei stört mich weniger die Abwesenheit etwa der von Ihnen oben angesprochen Form "SchülerInnenvertreterInnen" (obwohl es mir als Beispiel für Sprachverhunzung sehr gut gefällt!), sondern das geflissentliche Übersehen von negativ besetzten Begriffen im Rahmen der sprachlichen Emanzipation. Man kann sich doch nicht immer nur die Rosinen heraussuchen - wenn schon "PolitikerInnen", dann bitte auch "PolitikerInnenprivilegien"!
>
> Ziemlich problematisch wird's, wenn es um Begriffe wie "Mannschaft"
> oder "Landeshauptmann", aber auch "Krankenschwester" oder "Hebamme"
> geht. Hier hilft wohl nur eine neue Begrifflichkeit, die den
> geänderten Verhältnissen auf dieser Welt Rechnung trägt.
E.W.: Meine Mutter berichtet mir, daß es in der Nazizeit eine "NS - Frauenschaft" gegeben hat - allerdings war das keine sportliche Organisation. DER Begriff ist also schon besetzt. Ist es nicht eine Ironie des Schicksals, daß ausgerechnet die FeministInnen auf die Nazis bei der Begriffswahl Rücksicht nehmen müssen?
>
> Sprache ist kein statisches, sondern ein dynamisches Mittel, sich die
> Welt anzueignen, über sie nachzudenken, zu kommunizieren. Wenn sich
> die Welt ändert, muss sich auch die Sprache ändern. Schauen Sie doch
> auf die Entwicklung der Dialekte: man mag es bedauern, aber mit dem
> Wegfall von Gerätschaft und Arbeitsweise gingen auch die jeweiligen
> Bezeichnungen unter. Neue Begriffe müssen gefunden werden für etwa
> neue Technologien. Und auch sozialer Wandel findet seine Entsprechung
> in der Sprache: das "von" wurde mit der Machtlosigkeit des
> österreichischen Adels abgeschafft, das "-Innen" existiert durch die
> Macht des Faktischen als Folge der Emanzipation der Frauen. Man kann
> das begrüßen oder bedauern: es ist so.
E.W.: Man kann es aber auch kritisieren. Newspeak gibt es nicht nur bei George Orwell. Den Versuch, die Sprache zu kapern, haben bekanntlich schon die Nazis (krampfhafte Eindeutschung von Fremdwörtern) und die Kommunisten (DDR-Vokabular) gemacht - von den ubiquitären Versuchen zur Begriffsbesetzung (auch "Themenführerschaft" genannt) einmal ganz zu schweigen.
MfG Erich Wallner
>
> Grüße sendet
> Timo Davogg
>
>
--
Diese Liste wird vom Computer Communications Club (http://www.ccc.at) betrieben. Um sich aus der Liste austragen zu lassen, senden Sie ein e-mail an majordomo@ccc.at mit dem Befehl "unsubscribe lehrerforum" im Nachrichtentext.