SN 07 02 02
http://www.salzburg.com/sn/02/02/07/artikel/237024.html
Studiengebühren: Die Schamgrenze ist gefallen
HELMUT SCHLIESSELBERGER
Bei einer Unireform-Tagung im vergangenen Dezember in Wien erklärte der deutsche Hochschulentwicklungsexperte Detlef Müller-Bö-ling in mitfühlendem Sarkasmus, auch in Deutschland habe in der Diskussion zwischen Politik und Universitäten ein Grundsatz gegolten: "Es gilt das gebrochene Wort."
Noch im Jahr 2000 hat sich die Bildungsministerin dezidiert gegen die Einführung der Studiengebühren ausgesprochen. Es sollte anders kommen. Nicht zuletzt auf Druck von Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer zahlen Österreichs Studenten seit dem Wintersemester Studiengebühren. Die Gegenleistung stimmt vielfach (noch) nicht. Studenten, die nächtelang um Lehrveranstaltungsplätze anstehen, die monatelang auf Zeugnisse warten oder denen im schlimmsten Fall die marode Hörsaaldecke auf den Kopf fällt, fragen zu Recht, wofür sie zahlen.
Die mit der Studiengebühr ausgesiebten "Scheinstudenten" und "Karteileichen" sind noch nicht kalt, da fällt nun auch schon die nächste Schamgrenze auf dem Weg von der Bildungsstätte Universität zur Uni als Wirtschaftsbetrieb und Power-Ausbildungsstätte für den (Arbeits-)Markt. Der mächtige Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl sprach sich am Mittwoch für eine Freigabe der Höhe der Studiengebühren im Zuge der Ausgliederung der Unis aus. Es sei eine Frage von Angebot und Nachfrage und stelle auch einen Gradmesser für die Qualität einer Universität dar, heißt das in der (rein) wirtschaftlichen Betrachtungsweise des Oberkämmerers.
Damit schleicht sich bereits Jahre vor Umsetzung der Reform die "Klassenuniversität" an. Der Markt soll den Wert und die Kosten einer Ausbildung bestimmen. Wer sich die Elite-Ausbildung nicht wird leisten können, kann immer noch an der schlecht ausgestatteten Billig-Uni 200 Kilometer weiter bummeln.
Die Familien, die - Stipendienmilliarde hin oder her - die Hauptlast der Ausbildung tragen, werden damit künftig noch stärker belastet. Das marktorientiertere US-Bildungssystem kann wohl kein Vorbild sein, wenn der
bildungs- und sozialpolitische Grundsatz, dass junge Menschen auch aus ärmeren Schichten nicht vom Studium abgehalten werden dürfen, nur annähernd aufrechterhalten werden soll.
Die Universitäten bleiben öffentlich rechtliche Institutionen und werden auch mit der Selbstständigkeit nicht zu Privatuniversitäten. "Mit der Autonomie der Universitäten werden weder der Staat noch die Politik aus der Verantwortung entlassen", steht im Autonomiepapier von Elisabeth Gehrers "Zukunftsministerium". Wenn nicht wieder das "gebrochene Wort" gelten soll, wird man im Sinn eines übergeordneten politischen Interesses diese Verantwortung bei den Studiengebühren wahrnehmen müssen. Privatwirtschaftlicher Wildwuchs kann nicht das Ziel sein.
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