SZ 19 02 02

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Der Schule wahrer König

Wer hat an einer Schule das Sagen? Der Schulleiter? Wie naiv! Die wirkliche Macht und Kontrolle übt ein anderer aus. Darüber sollte uns sein äußeres Understatement (grauer Kittel, blaue Latzhose) nicht hinwegtäuschen. Diese Tarnung soll nur von den wahren Insignien seiner Amtsgewalt ablenken, von dem riesigen Schlüsselbund, das ihn mit seinem Gewicht zu Boden zieht. Mag sein, dass der Schulleiter über Verbleib des pädagogischen Inventars entscheiden darf, aber dem Schulhausmeister obliegt es, ob, wann und wie alle übrigen Anordnungen ausgeführt werden.

Ohne seine Zustimmung finden keine Elternabende und Abiturfeste statt. Bei Konferenzen, die sich ungebührlich um zehn Minuten verlängern, schreitet er drohend die Reihen ab, bevor er das Licht aus- und einschaltet und den Parkplatz verbarrikadiert. Selber schuld, wer dann noch seinen Wagen da stehen hat. Auch die weinende Kollegin hat Pech. Sie hat ihre Schultasche samt Hausschlüssel vor der Konferenz im oberen Stockwerk deponiert. Das ist längst verriegelt und an die Alarmanlage angeschlossen. Muss sie halt woanders übernachten. Es sei denn, sie schafft es durch kleinmädchenhaftes Betteln und Bitten, dass ihr noch einmal großmütig aufgetan wird.

Der Hausmeister verteilt mit Fingerspitzengefühl die nötigen Schulschlüssel an die Lehrer. Wer anmaßend meint, für ihn habe der Hausmeister devot zu spuren, wird lange Zeit ohne den wichtigen Toilettenschlüssel bleiben und muss sich in dreckigen Schülerpissoirs herumdrücken. Auch wird sein Schreibtisch auf ewig unverschließbar sein. Schade, schade – manche Schlüssel müssen eben sehr aufwendig nachgefertigt werden... Diesen Prozess kann auch der Schulleiter nicht durch höfliches Nachfragen beschleunigen. Braucht eine Kollegin zusätzliches Mobiliar (gar eine kleine Luxusstelltafel, ein Schränklein oder einen Bilderrahmen für den Klassenraum), muss sie beim Hausmeister einen ausführlich begründeten Antrag in dreifacher Ausfertigung einreichen. Wenn sie bescheiden abwartet, wird ihr Wunsch vielleicht eines fernen Tages erfüllt. Geht sie petzen und beschwert sich, wird sich im riesigen Kellertrakt nirgends auch nur ein einziges Holzbrett finden lassen.

Die Lehrer fluchen leise über den Hausmeister, sie spicken kleine Woodoo-Puppen mit Nadeln, um ihn zu beschwören, aber es nützt nichts. Manchmal wirken sich dezente Weihnachtsgratifikationen in flüssiger Form förderlich auf die Zusammenarbeit aus. Gut fahren vor allem Kollegen, die sich nicht qua Amt und Würde für etwas Besseres halten. Letztendlich eint alle Lehrer eines: Wenn es Ärger mit schulfremden Jugendlichen gibt, die sich verdächtig im Gebäude herumdrücken, dann rufen alle vereint nach dem kräftigen Hausmeister, damit er die Widersacher und Unruhestifter mit seinem großen Besen aus der Schule fegt

Gabriele Frydrych

Die Autorin unterrichtet als Studienrätin in Berlin.



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