Weshalb der folgende Kommentar von Kurt Scholz aus der PRESSE vom 27 02 02 unter der Rubrik QUERGESCHRIEBEN erscheint, bleibt mir rätselhaft. T.D.
http://www.diepresse.com/detail/?id=275858&channel=m&ressort=q
Gekrümmte Rücken
Quergeschrieben: VON KURT SCHOLZ
Zu berichten ist von einem Skandal. Er ereignet sich tagtäglich und wird ausschließlich auf dem Rücken der Kinder ausgetragen. Handelte es sich um Erwachsene, die Arbeitsinspektorate wären längst eingeschritten. Unsere Kinder schleppen sich krumm. Die Schultaschen sind zu schwer.
Maximal 10, vielleicht noch 12 Prozent des Körpergewichts dürften sie haben. Bei einem Volksschulkind mit 25 Kilo wären das 3 Kilo als Obergrenze. In der Realität sind aber doppelt so schwere Ranzen keine Seltenheit. Erwachsene müßten dazu im Vergleich tagtäglich 15 bis 20 Kilo mit sich schleppen - eine Vorstellung, bei der selbst fitneßgestählte Mütter und Väter erblassen.
Dennoch ist die Liste jener, die tagtäglich die gekrümmten Schülerrücken übersehen, endlos: Schulaufsicht, Schulleiter, Klassenvorstände - sie alle wären zum Einschreiten aufgerufen. Die Schulärztinnen und Schulärzte müßten täglich vor den Klassenzimmern protestieren. Statt dessen produzieren sie Statistiken über Haltungsschäden für Datenfriedhöfe. An Prophylaxe denkt niemand.
Wer, wie der Autor dieser Zeilen, jahrelang und nur mit Teilerfolgen für leichtere Schultaschen gekämpft hat, kennt alle damit verbundenen
Ohnmachtsgefühle: Federwaagen, zu Hunderten gratis an die Schulen verteilt, verschwanden spurlos - nur, um wenig später in den absurdesten Zusammenhängen wieder aufzutauchen: Etwa bei einem Arbeiterfischereiverein zur Messung des Gewichts der Weihnachtskarpfen. Schultaschen waren damit offenbar nur vorübergehend gewogen worden.
Schulärzte verwiesen auf die Direktoren, jene auf die Eltern, diese auf die Lehrer, alle auf die Kinder. Ein Kompetenzwirrwarr, der im wahrsten Sinn des Wortes auf dem Rücken der Schüler ausgetragen wird: Die Gesundheitsverwaltung bezichtigt die Schule, die Schulverwaltung hat andere Sorgen, die Ärztekammern und die Lehrerverbände machen Standes- oder Schulpolitik. Und in der gibt es keine Schülerrücken.
Dafür wuchs die Liste der Gegenstände, die angeblich an den schweren Schultaschen schuld sind, ins Endlose. Zuerst waren es die Gameboys. Sie sind mittlerweile verschwunden - und die Schultaschen sind um nichts leichter. Dann die schweren Akkus der ersten Handys - nun sind die Handys federleicht, nicht aber die Schultaschen. Oder die fehlenden Aufbewahrungsschränke für Schulbücher in den Schulen. Mittlerweile haben viele Schulen Spinde, ohne daß dort die Schultaschen leichter geworden wären.
Eigentlich müßten diese Unzulänglichkeiten schon längst die Lehrergewerkschaft auf den Plan rufen. Welch reiche Forderungschancen werden hier leichtfertig vergeben! Man könnte eine Ausweitung der Lehrerfortbildung verlangen, mehr Budget für Schulungskurse im Schultaschenwiegen, einen Schultaschengewichtsbestimmungskoordinator, Abschlagsstunden, Kustodiate und, als Patentrezept: einfach längere Ferien für alle, um den Kindern die notwendige Wirbelsäulengymnastik zu ermöglichen!
Wagen wir doch endlich einmal einen mutigen Schulversuch, ausnahmsweise für
Erwachsene: Alle Bildungsverantwortlichen schleppen jenes Gewicht mit sich herum, das österreichische Kinder tagein tagaus tragen. Von der tapferen Frau Bundesminister über die wortgewaltigen Klubobleute bis zu den drahtigen Bildungssprechern, alle selbstverständlich ohne Dienstwagen und jeweils fünf oder sechs Tage pro Woche. Der Sonntag wäre frei. Vielleicht würden dann die erschöpften Erwachsenen ihr Herz für den Rücken der Schüler entdecken. Und dann stünden endlich jene im Mittelpunkt, für die die Schule rhetorisch ja da ist: die Kinder.
Der Autor ist Bereichsleiter im Wiener Rathaus für die Restitution und war Präsident des Stadtschulrates für Wien. Die Meinung eines Gastautors muß sich nicht mit jener der "Presse" decken.
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