Lieber Koll. Koller
Danke für den ausführlichen Bericht. Ich entnehme diesem, dass für den ÖGB insgesamt die Formel gilt "Gesamtproduktivität plus Inflationsrate", aber für die GÖD gilt die Formel "einen Reallohnverlust möglichst vermeiden". (eine Entschädigung für die in der Vergangenheit erlittenen Lohnverluste wurde demnach gar nicht einmal angedacht, oder?)
Stellt sich damit nicht die GÖD bewußt und provokativ außerhalb des ÖGB? Kann es sein, dass die Gesamtorganisation ein derart schwaches, lahmes Glied in ihrer starken Kette dulden kann? Gab es nicht endlich von den ÖGB-Oberen die notwendige Kopfwäsche für diese die Gewerkschaftsbewegung schädliche und feige Politik? Bei einem Zukunftskongreß soll doch auch angesprochen werden, was in Zukunft anders werden soll, aber auch nach nochmaliger Lektüre habe ich das in dieser bizarren Erlebniswelt leider nicht gefunden.
Vermutlich deswegen, weil hier - Kollege Koller, bitte nicht persönlich
nehmen - zu viele "Spitzenfunktionäre" diskutieren, denen der Bezug zur Basis fehlt, weil sie nicht willens sind, unsere Interessen gegen den Willen der Regierung durchzusetzen. Und damit ist der Karren verfahren.
Wenn die Gewerkschaftsbewegung Zukunft haben will, dann müssen die Betroffenen sich selber organisieren und dürfen nicht zulassen, dass ihnen von den Funktionären der "eigenen Organisation" aus Gefälligkeit zur Obrigkeit immer wieder Prügel vor die Füße geworfen werden. Das wäre eben meine Zukunfts-Perspektive. Aber mir scheint es, als wären wir von dieser Zukunft noch sehr weit entfernt.
mkG
Günter Wittek
----- Original Message -----
From: Dr. Richard Koller
To: 'Günter Wittek'
Cc: lehrerforum@ccc.at
Sent: Sunday, March 03, 2002 3:40 PM
Subject: AW: Konferenz in Wattens
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich war in Wattens als Delegierter der UG dabei und habe dazu einen kurzen, sehr subjektiven Bericht geschrieben, den ich Euch gerne (etwas gekürzt) zur Verfügung stelle (einen ausführlicheren Text mit Zusammenfassung der Referate gibt es wahrscheinlich in der nächsten "Alternative" (zu finden unter www.ug-oegb.at ):
Am 1. März 2002 fand in Wattens in Tirol im Rahmen der Reihe "Konferenzen zur Zukunft der Arbeitswelt" des ÖGB eine Konferenz über "Einkommens-, Kollektivvertrags- und Lohnpolitik statt. Koll. Willi Traxler und ich nahmen als Vertreter der UG daran teil.
Es waren schätzungsweise hundert GewerkschafterInnen aller Fachgewerkschaften anwesend. Fritz Verzentnitsch begrüßte die Teilnehmer, unter denen sich viele Mitglieder des Präsidiums und Spitzenvertreter der einzelnen Gewerkschaften fanden. Auffällig für mich war die starke Präsenz der GÖD, es waren sicher mehr als zehn Vertreter anwesend. Ein deutliches Anzeichen, dass das Thema gerade im öffentlichen Dienst derzeit sehr ernst genommen wird.
Der Tag begann mit zwei Referaten. Mag. Alois Guger (WIFO) und Dr. Günther Chaloupek (AK) sollten das Thema des Tages aufbereiten, das grundlegende Referat von Mag. Ernst Tüchler lag schriftlich vor.
Nach einigen ergänzenden Fragen zu den Referaten ging es in die Mittagspause, die dank hervorragender Organisation mit ausgezeichnetem Essen ohne Wartezeit in der großzügig angelegten Kantine noch die Gelegenheit zu einem Spaziergang zur Swarovski-Erlebniswelt gab.
Am Nachmittag wurde in Gruppen über Forderungen zur Kollektivvertrags- und Einkommenspolitik diskutiert. Die Ergebnisse wurden im Plenum präsentiert und sollen im ÖGB zusammengefasst und in die Abschlussveranstaltung eingebracht werden.
Inhaltlich wurden die Referenten des Vormittags bestätigt: Die KV-Zuständigkeit muss beim ÖGB bleiben, solidarische Lohnpolitik als Leitprinzip, die Formel Produktivitätszuwachs (Gesamtproduktivität, nicht die jeweilige in der Branche) plus Inflationsrate soll weiterhin die Leitlinie darstellen. Eine Gruppe betonte als gewerkschaftliches Ziel eine Reallohnsteigerung, Hauptgewicht soll nach wie vor die Lohnfrage haben, Arbeitszeitverkürzung, Sozialleistungen usw. kommen erst an zweiter Stelle.
Bei den GÖD-Vertretern drückte sich der bestehende Druck dagegen schon in der Formulierung "Vermeidung von Reallohnverlust" aus. Ob diese Erfahrung auch dazu dienen kann, unseren Verhandlern wieder eine Motivation zu offensiverem Vorgehen zu schaffen, bleibt abzuwarten.
Es wurden auch eine Reihe von Einzelproblemen angesprochen, die in nächster Zeit wichtig werden. Präsident Fritz Verzetnitsch präsentierte die Ergebnisse einer Umfrage zum Thema, bei der unter Anderem höhere Anfangsgehälter massiv befürwortet wurden.
Die sich daraus ergebende Forderung nach flacheren Gehaltskurven wurde mit dem Hinweis verbunden, dass für die älteren ArbeitnehmerInnen hier Sicherheiten geschaffen werden müssen, damit sie nicht nach dem Nachteil der niedrigen Einstiegsgehälter nun auch noch den Nachteil gesenkter Endgehälter in Kauf nehmen müssen, eine Diskussion, die sicher gerade im öffentlichen Dienst angebracht ist.
Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit insbesondere für Frauen, Arbeitsplatzbewertungen als Grundlage für eine objektivere Lohneinstufung, bessere Koordinierung von KV-Verhandlungsrunden, Verankerung der beruflichen Weiterbildung in KVs, europäische Koordination und eine bessere Informationspolitik rund um die erfolgreichen KV-Abschlüsse waren weitere Forderungen.
Erstaunlich für mich: Die heiklen Themen, zu denen die Referate Anlass gegeben hätten, wurden großteils ausgespart: Kein Wort über den "Standortwettbewerb", den Koll. Guger als schädlich deklarierte und den wir nach wie vor als Begründung für schlechte Abschlüsse hören, kaum etwas zu den Themen "neue Selbständige", "prekäre Arbeitsverhältnisse", "Bedeutungsverlust der Großindustrie".
Kontroverse Aussagen etwa zum Thema Arbeitszeitverkürzung (Tüchler: Variante zur Produktivitätsaufteilung, dagegen Guger: Produktivität muss als Lohn verlangt werden, weil sonst Kaufkraft sinkt) fanden sich nur ganz vereinzelt und verklausuliert in den Forderungen ("Grundlage der KV-Verhandlungen ist das Thema Lohn, alles andere ist zweitrangig").
Nachdem im Plenum noch einmal die Experten zu Wort gekommen waren, fassten Koll Tüchler und der Moderator, ÖGB-Sekretär Karl Klein, die Ergebnisse zusammen. Die offenbar gewünschte Einheit hat Folgen: Zwar deutlich offensive, aber wenig neue Ansprüche an die zukünftige KV- und Lohnpolitik. Zahlreiche neue Aspekte zum Thema, die es zu verarbeiten gilt, gingen dabei unter. Wichtige Themen wurden praktisch nicht aufgenommen oder kamen nur am Rande einer Forderung vor. Es wird interessant sein, zu sehen, was in das "Zukunftsprogramm" des ÖGB übernommen wird und ob in der Praxis diese Linie ausreicht, um die angesprochenen neuen Probleme zu bewältigen.
Mit gewerkschaftlichen Grüßen
rk
Richard Koller
Dianagasse 1/3
A-1030 Wien
Tel: +431-7109972
Mobil: 0664-4105491
Email: richard@rkoller.info
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: owner-lehrerforum@ccc.at [mailto:owner-lehrerforum@ccc.at] Im Auftrag von Günter Wittek
Gesendet: Donnerstag, 28. Februar 2002 15:30
An: Lehrerforum
Betreff: LF: Konferenz in Wattens
Gefunden auf der ÖGB-Seite:
http://www.startschuss-zukunft.at/
Die nächste Konferenz zum Thema Einkommens- und Lohnpolitik findet am 1. März 2002 in Wattens (Tirol) statt.
Wer wird uns dort vertreten und darüber im LF berichten? (hoffentlich nicht die drei anonymen Fragezeichen...)
Neugierig
Günter Wittek
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