Rheinischer Merkur 08 03 02
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GLOBALE KOMPETENZ / Es fehlt nicht an Ideen, sondern an schlüssigen Unterrichtskonzepten
Der Ton muss stimmen
Auf Sprach- und Ferienreisen kommen Schüler in der Welt herum. Den Umgang mit anderen Kulturen sollten sie schon zu Hause lernen.
Autor: MONIKA HOEGEN
Der Rhythmus geht sofort in die Beine. Juliana von den Konrad-Konga-Kannibalinnen schlägt einen Trommelwirbel. Die 18-Jährige gehört zur Samba-Truppe des Konrad-Adenauer-Gymnasiums in Kleve. Die Mädchen, die im orange-gelbem Karibik-Outfit auftreten, kennen exotische Rhythmen und haben viel über den Alltag in Südamerika gelernt - dank der Partnerschaft ihres Gymnasiums mit einer Schule in El Salvador. Doch wenn Juliana und ihre Freundinnen Begriffe wie "globales Lernen" oder "interkulturelle Kompetenz" erklären sollen, müssen sie passen.
Da geht es ihnen wie vielen deutschen Schülern. Auch Lehrer und Pädagogen tun sich schwer, denn die Konzepte für erfolgreiches globales Lernen sind diffus. Dennoch wird derzeit heftig über sie diskutiert. Im Mittelpunkt steht die Frage: "Was haben Schüler mit der weiten Welt zu tun?"
Eine Frage, die zunächst leicht zu beantworten scheint. Längst hat die weite Welt auf deutschen Schulhöfen Einzug gehalten. Fast alle Klassen sind ethnisch und kulturell bunt gemischt. Vielerorts müssen Kinder aus bis zu vierzig Nationen miteinander auskommen. Auch in anderen Lebensbereichen, in der Nachbarschaft, im Freundeskreis, in der Disko, werden Jugendliche mit anderen Ländern, Kulturen und Lebensweisen konfrontiert. Für die Bewältigung des multikulturellen Alltags reichen Algebra und Grammatik nicht aus.
Keine Frage also: Schule muss verstärkt Wissen über fremde Kulturen und Lebensweisen vermitteln. Schon um Fremdenhass entgegenzuwirken sowie Feindbilder und Vorurteile abzubauen. Schulpartnerschaften und Schüleraustausch sind die eher klassischen Formen interkultureller Begegnung. Rund 3000 der 6800 Schulen in Nordrhein-Westfalen unterhalten eine solche Partnerschaft.
Gemeinsames Ökoprojekt
Und es werden allein schon deshalb mehr, weil Entfernungen kaum noch eine Rolle spielen. Führte früher die erste Auslandsreise nach England oder Frankreich, so geht's heute selbstverständlich auch in ferne Länder. Ein Briefaustausch mit Neuseeland ist fast schon normal. Dagegen zählt die Begegnung mit afrikanischen Musikern oder ein gemeinsames Ökoprojekt mit einer Schule in Georgien eher zu den Raritäten. Karina aus Kleve zum Beispiel macht mit bei der Namibia-AG an ihrer Schule. Wenn alles klappt und das Geld reicht, fährt sie im nächsten Jahr nach Afrika: "Darauf freue ich mich riesig. Ich finde es toll, Menschen kennen zu lernen, die anders aussehen und anders leben als wir."
Doch Schüleraustausch allein bewirkt noch kein globales Lernen. Neue Unterrichtsformen müssen her, meint Christiana Lütkes vom Verein Ethnologie in Schule und Erwachsenenbildung (ESE) in Münster. Sie unterrichtet im Rahmen eines Modellprojekts an der Geschwister-Scholl-Realschule in Münster und kann dabei ganz persönliche Erfahrungen von ihrem mehrjährigen Aufenthalt in Papua-Neuguinea vermitteln. "Wenn es zum Beispiel um unterschiedliche kulturelle Werte geht," so Christiana Lütkes, "erzähle ich den Jugendlichen die Geschichte vom Brautpreis. Wir denken ja oft, Geld für eine Braut zu bezahlen würde die Frau herabsetzen, weil man sie praktisch kauft. Doch als ich in Papua-Neuguinea berichtete, dass mein Mann nichts für mich bezahlt hatte, hatten meine Nachbarinnen Mitleid mit mir. ,Sind Frauen bei euch so wenig wert?', fragten sie erstaunt."
Zwar ist das Modellprojekt in Münster noch eine Ausnahme, aber das Thema globales Lernen beschäftigt Schulen in der ganzen Bundesrepublik. Im Internet gibt es eine Fülle von Info- und Beratungsangeboten (siehe Kasten). So hat beispielsweise das Hessische Landesinstitut für Pädagogik eine spezielle Beratungsstelle eingerichtet. Das Kultusministerium in Niedersachsen hat "Sichtwechsel", ein Handbuch zu interkulturellem Lernen, herausgegeben. Auf der Homepage von Ewik (Eine Welt Internet Konferenz) wird die Vermittlung von internationalen Partnerschaften und Lernprojekten
angeboten; bei Ewik engagieren sich Organisationen wie die Welthungerhilfe, das Deutsche Aussätzigen Hilfswerk, Brot für die Welt, Misereor und das Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit (BMZ).
Das nordrhein-westfälische Kultusministerium hält seit November vergangenen Jahres ein neues Angebot parat: LOG, "Lernen ohne Grenzen". Das Landesinstitut für Schule und Weiterbildung in Soest berät Lehrer in Fragen des interkulturellen Unterrichts. Im Welthaus Bielefeld gibt es eine Fachstelle für globales Lernen.
Bereits im Geografie-Unterricht müsse anders als früher gelehrt und gelernt werden, verlangen alle Konzepte. Begriffe wie Dritte Welt und Entwicklungsländer im Gegensatz zu Industrienationen haben ausgedient; heute geht es darum, die weltweiten Verflechtungen, sei es in der Politik, in der Wirtschaft, in der Umwelt oder auch in den Medien, deutlich zu machen. Doch es gibt auch strittige Bereiche. Umstritten bleibt etwa, wie sehr die kulturellen Unterschiede innerhalb einer Klasse angesprochen werden sollen. Zu fragen ist, ob beispielsweise ein Mädchen aus der Türkei, das seine Heimat selbst nicht mehr kennt, als Exempel für anatolische Kultur herhalten kann. Oder wird es erneut ausgegrenzt? Die Kritiker warnen davor, globales Lernen immer nur im Kontext von Themen wie Ausländerproblematik oder Fremdenhass zu behandeln.
Erfahrung zählt
Heinz Schirp, beim Soester Schulinstitut zuständig für die Lehrplanentwicklung, ist überdies mit dem rein ethnologischen Ansatz im interkulturellen Unterricht nicht einverstanden. "Es darf nicht immer nur um das andere, das Fremde gehen. Interkulturelles Lernen muss vor allem heißen: ,Wie können wir alle gemeinsam unseren Alltag gestalten?' Ich wünsche mir weniger Ethnologie und Kulturgeschichte und stattdessen mehr Zukunftswerkstätten."
Derweil machen die Schüler ihre ganz eigenen Erfahrungen. Das wurde in einer Debatte mit Christian Wilmsen vom Bundesministerium für Entwicklungszusammenarbeit auf der Sonderschau "Globales Lernen" im Rahmen der Bildungsmesse Köln deutlich. Wie, bitte schön, sollten sie denn Globalisierung und Interkulturalität lernen, wenn die Gesellschaft um sie herum kaum dafür bereit ist, fragten die Jugendlichen. "Viele meiner Altersgenossen haben keine Lust, sich mit dem Thema zu beschäftigen", erklärte Stefan von der Gesamtschule Dortmund. Der 19-Jährige hatte Geld für die Hochwasseropfer in Mosambik eingesammelt und dabei immer wieder gehört: "Die ganzen Hilfsprojekte bringen doch eh nichts."
"Über das Thema Globalisierung wissen unsere Eltern wenig", klagte Melanie aus Hilden, die sich in ihrer Stadt im Jugendparlament engagiert. "Die sagten höchstens: ,Ach ja, in der Dritten Welt, da hungern die Leute' - und das ist dann alles." BMZ-Mann Wilmsen bestätigte die Erfahrungen der
Jugendlichen: "Viele Deutsche empfinden Globalisierung und Entwicklung als Fernthematik."
Nur persönliche Erfahrungen können daran etwas ändern. Darin sind sich die Pädagogen einig. "Belehrungen und Bekehrungen oder Schulbuchwissen nutzen gar nichts", meint Lehrplan-Experte Schirp. Und: Interkulturelles Lernen soll nicht nur die Auseinandersetzung mit Armut und Problemen sein, sondern darf auch Genuss und Spaß bedeuten. Deshalb gehören auch Trommelkurse oder Kochstunden mit exotischen Spezialitäten in den etwas anderen Lehrplan.
Das ist ohnehin eher nach dem Geschmack vieler Schüler. Elena von der Gesamtschule in Lünen hält wie ihre Freunde wenig von langen theoretischen Erörterungen über Globalisierung und Interkulturalität. Was sie zu jemandem sagen würde, der Vorurteile gegenüber Fremden hat? "Wahrscheinlich gar nichts", reagiert sie sofort. "Ich würde ihn auf irgendein Konzert mitnehmen. Und dann würde er schon selbst die Lebensfreude mitkriegen, die bei den Leuten immer dann entsteht, wenn verschiedene Kulturen aufeinander treffen."
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