* Doch weitaus schwerwiegender als die Langzeitfolgen sind laut Volker Krumms Repräsentativumfrage die unmittelbaren Auswirkungen der pädagogischen
Wortgewitter: 89 Prozent der gemobbten Eleven reagierten mit Zorn und Wut gegen den betreffenden Lehrer, siebzig Prozent hingegen mit Niedergeschlagenheit und Trauer sowie sechzig Prozent mit Angst. Sogar psychosomatische Beschwerden wie Konzentrationsprobleme (53 Prozent der Gekränkten), Schlafstörungen (22 Prozent), Übelkeit (achtzehn Prozent) oder Kopfschmerzen (zwölf Prozent) verleihen dem von Behördenseite bislang stets wortreich heruntergespielten Klassenkampf im Klassenzimmer eine ungeahnte neue Dramatik.


* Überaus bemerkenswert ist auch die Reaktion der meisten Schüler, die mit den althergebrachten Klischees von den kleinen, kaum kontrollierbaren Revoluzzern gründlich aufräumt. Erziehungswissenschaftler Volker Krumm: "Von der vielzitierten Aufmüpfigkeit der sogenannten Problemschüler kann überhaupt keine Rede sein." Die überwältigende Mehrheit der Kränkungsopfer würde ganz einfach resignieren. "Ich habe nichts unternommen, weil es ohnedies nichts genützt hätte", lautet der Grundtenor von 63 Prozent der beleidigten Schüler. Gymnasiastin Julia, die nach Kritik an den Unterrichtsmethoden ihrer Französischlehrerin die Schule wechseln mußte: "Ich war die Ausnahme, die aufgemuckt hat. Von da an wurde ich von ihr wegen jeder Kleinigkeit zum Direktor zitiert." - "Ich bin einsachtzig groß und kann dich aufspießen wie einen Schmetterling", habe die Sprachpädagogin Julia gedroht. Mit Erfolg: Wenige Tage darauf nämlich ist der Schmetterling von den Eltern in eine andere Schule transferiert worden.


* Hoffnungslos übertreibende ehemalige Schüler, die sich nach der Matura mit aufgebauschten Erlebnissen brüsten wollen? Wohl kaum: Was der Krumm-Studie nämlich zusätzliche Brisanz verleiht, ist eine Umfrage unter 340 österreichischen Lehrern aller Schultypen, die im Rahmen von Einzelgesprächen mit den Auswertungen des Schülerreports konfrontiert wurden. Die überraschendsten Ergebnisse: 89 Prozent halten die vorgelegten Fallbeispiele für "fast immer" oder zumindest "eher wahrMerkwürdige Reaktion. Ja mehr noch: 61 Prozent halten die gebündelten Vorwürfe der Schüler für durchaus berechtigt – ihnen erscheint das angeprangerte Verhalten der Kollegen als "unannehmbar" oder sogar "völlig unannehmbar". Universitätsprofessor Krumm: "Das zeigt, daß unter den Lehrern im Prinzip Einigkeit über ihr pädagogisch inakzeptables Verhalten herrscht." Österreichs Pädagogen, so Krumm, seien jedoch leider wie Lungenkranke, die bedenkenlos weiterrauchen: "Es fehlt ihnen jegliche Motivation und jegliches Korrektiv. Deshalb rechtfertigt ein Gutteil seine Injurien vor dem eigenen Gewissen als Kavaliersdelikt."


Sandra Sturmberger, Hauptschullehrerin in Wien-Simmering, bestätigt: "Man hat eben oft keinen Ansporn und bekommt außerdem zuwenig Anerkennung - natürlich sind vor diesem Hintergrund viele Kollegen gründlich frustriert und resignieren."


Was aber macht lethargische Pädagogen im Unterricht mitunter zu verbalen Amokläufern? Wie Experten einhellig bestätigen, verschärft sich auch hinter den schalldichten Türen der österreichischen Konferenzzimmer der Umgangston - eine Klimaverschärfung, die teils unbewußt in die Klassenzimmer parallelverschoben wird. Volksschullehrerin Camilla Siuda: "Pragmatisierung hin oder her – auf den Lehrern lastet ein immer größerer Konkurrenzdruck, weil von Jahr zu Jahr weniger gebraucht werden."


Die Pädagogin wiegt noch jedes Wort sorgfältig ab. In der Wiener Volksanwaltschaft jedoch formuliert man die Frustverschiebung vieler heimischer Lehrer längst um eine Spur drastischer. "Die Konferenzzimmer entwickeln sich immer mehr zum Hort der Intrige" (FP-Volksanwalt Ewald Stadler, für Schulbeschwerden zuständig).


Intrigenschmiede konferenzzimmer. Auf dem Schreibtisch von Stadler landeten allein in den letzten sieben Monaten nicht weniger als dreihundert Beschwerden von Lehrern und über Lehrer: "Ich habe den Eindruck gewonnen, daß in Österreichs Lehrerschaft noch viel mehr und viel intensiver als in den erfolgsorientiertesten Wirtschaftsbetrieben gemobbt wird."


Die Fälle sind vielschichtig: Von der erfolgreichen Wiener Volksschuldirektorin, der die lieben Kollegen die Veruntreuung der Schulgemeinschaftskasse unterstellen, vom Linzer Philosophieprofessor, der vom Direktor geschnitten wird, weil er den Schulleiter nicht ordnungsgemäß grüßt, bis hin zu einer Salzburger Mathematiklehrerin, deren Unterricht mit Erlaubnis von Direktion und Landesschulrat bestreikt wird.


Der wachsende Konkurrenzkampf untern den Paukern habe primär damit zu tun, daß Direktoren nur noch auf einen Zeitraum von fünf Jahren bestellt würden, wodurch sich ein Gutteil aller aufstiegswilligen Pädagogen in permanentem Wahlkampf befinde, analysiert Volksanwalt Stadler. Wer im Konferenzzimmer erfolgreich intrigiere, für den sei Mobbing im Klassenzimmer nicht mehr als eine Aufwärmübung, meint Stadler.


Das Fazit von Erziehungswissenschaftler und Studienautor Krumm:

"Wenn das alles nicht so furchtbar traurig wäre, dann könnte man wenigstens sagen, die Schüler lernen durch das Verhalten ihrer Leitfiguren endlich was fürs Leben."


Die Liste der Schülerleiden


78 Prozent aller Schüler wurden mindestens einmal von Lehrern gekränkt.

81 Prozent der Gekränkten empfanden das Fehlverhalten als mittel- bis äußerst schwer.

61 Prozent bedrückt die Kränkung sogar noch nach Abschluß der Schullaufbahn.

22 Prozent litten infolge der Kränkung an Schlafstörungen, 18 Prozent an Übelkeit.

63 Prozent haben trotz Kränkung nichts unternommen, "weil es nichts genützt hätte".


Bild: Lehrerin Camilla Siuda: "Unter den Pädagogen entsteht enormer

Konkurrenzdruck."

Bild: Studienautor Krumm: "Inakzeptables Verhalten von Lehrern ist

genauso schlimm wie Mobbing in der Arbeitswelt."

Bild: Lehrerin Sandra Sturmberger: "Man hat keinen Ansporn und

bekommt zuwenig Anerkennung viele Kollegen sind frustriert

und resignieren."

Bild: Julia, 17, Wien: "Meine Französischlehrerin wollte durch

Einschüchterungen Autorität aufbauen das hat mich so

aggressiv gemacht, daß ich vor ihren Augen mein Heft zerrissen

habe."

Bild: Marko, 17, Salzburg: "Unsere Musikprofessorin bezeichnete

Schüler als Nervensägen, Nußbäume oder italienische Esel als

schließlich der Landesschulrat kam, hielt sie eine

Musterstunde."

Bild: Rebecca, 18, Linz: "Der Deutschprofessor hat ausländische

Schülerinnen beschimpft und mit seinem Schlüsselbund beworfen.

Andere hat er ganz einfach im Turnkabinett eingesperrt."


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