Frankfurter Rundschau 28 03 02

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Immer nur lächeln - der Inspektor kommt

Von Elke Per

Seit mehren Jahren arbeitet in Großbritannien die Institution OFSTED, eine staatliche Einrichtung zur Inspektion von Schulen und Universitäten. Die Ergebnisse dieser Inspektionen werden in Form von Ranglisten im Internet und in Zeitungen veröffentlicht. Taugt diese Bewertung für Deutschland? Persönliche Eindrücke einer Mathematiklehrerin.

OFSTED kam in diesem Jahr auch an unsere Schule, einer Einrichtung im Norden Englands. Weil seit der letzten Inspektion sechs Jahre vergangen waren, wusste unser Rektor schon zu Beginn dieses Schuljahres, dass seine Schule diesmal "dran" sein würde. Genügend Zeit also, die Lehrkräfte gründlich auf die Inspektion vorzubereiten.

Schon im vorigen Herbst war der Kontrollbesuch bei den zahlreichen Meetings in unseren Köpfen. Im testwütigsten Land Europas weiß man genau, worauf es ankommt. In diesem Jahr mussten die Bilanzbücher gleich von Anfang an stimmen, der erste Eindruck war wichtig. Deshalb mussten die Lehrer unserer Schule jede Woche auflisten, welche Hausaufgaben gegeben wurden. Die Assistenten des Rektors prüften stichprobenweise, dass ja auch die Hefte regelmäßig korrigiert wurden. Dazu reichte es nicht mehr aus, Aufgaben mit Haken zu markieren. Jede Korrektur musste pädagogisch kommentiert werden - die Arbeit wurde gelobt und mit einem pädagogischen "Ziel" verbunden. Ein solches Ziel konnte es sein, die Überschrift künftig zu unterstreichen.

In der Mathematikstunde reichte es auch nicht mehr, Titel und Datum vor der Stunde fertig auf die Tafel geschrieben zu haben. Auf der rechten Seite musste nun die pädagogische Zielvorstellung der gesamten Stunde stehen. Dies wurde den Schülern gleich zu Beginn des Unterrichts erklärt.

Dann erst begann die Stunde, nach den Richtlinien der "Numeracy Strategy", einer Bildungstheorie, die von der britischen Regierung allgemein vorgeschrieben wird. Man fängt mit einem zehnminütigen "Mental Starter" an, um sich auf den Unterricht einzustimmen - etwa mit mathematischen Spielen. Dann kommen "Hauptaktivitäten": wechselnde Übungen, Gruppenarbeiten oder gestaltende Tätigkeiten. Am Ende der Stunde dann die "Plenarsitzung", eine pädagogische Zusammenfassung des Lehrstoffes.

Kurz vor Weihnachten war es so weit. "OFSTED kommt am 21. Januar", erklärte uns der Rektor. Zu den alltäglichen Absurditäten im britischen Königreich gehört es nicht nur, dass die Schule genau wusste, wann sie inspiziert wird, sie wusste sogar für wie lange. Die Inspekteure würden freitags die Schule verlassen, um erst in sechs Jahren wiederzukehren. Damit waren knapp fünf Tage einer eingehenden Prüfung zu bestehen, in der sich die Schule ganz naturgemäß nur von der glänzenden Seite zeigen würde.

Nach den Weihnachtsferien gab es jede Woche ungefähr zwei Meetings, von denen wir nur mit einem Papierberg von zu erledigender Arbeit entlassen wurden. Plötzlich wurde jeder Beschwerde der Eltern nachgegangen und auch gleich mit einem freundlichen Brief beantwortet. Sogar den Schülern gegenüber hatte man sich verändert. Es gab keine Verweise von der Schule mehr und sobald es regnete, durften die Schüler in den Klassenräumen bleiben. Die Anwesenheitsregister wurden auf Vordermann gebracht, und teilweise schummelte man schlicht.

Meine Planung des Unterrichts wurde noch akribischer als bisher. Der vollständige und pädagogisch durchdachte Unterrichtsplan wurde an unseren vormals freien Wochenenden fertig gestellt und musste in zweifacher Ausfertigung unserem Boss übergeben werden. Natürlich war der Unterricht vorher in den Meetings abgesprochen worden. So wurde sichergestellt, dass in der Inspektionswoche keiner mehr Stunden lehrte, in denen nur langweilige Aufgaben gerechnet wurden. In der Freizeit bastelten wir Lehrer mit bunter Pappe und Schere an umwerfenden pädagogischen Ideen.

Am Wochenende vor der Inspektion kamen wir sogar am Sonntag in die Schule, reinigten die Klassenräume und dekorierten sie mit bunten Bildern. Sogar der Fotokopierer funktionierte nun. Der Rektor wollte vor dem OFSTED-Ausschuss als guter Arbeitgeber glänzen und war im Schulgebäude allgegenwärtig. Er lächelte seinen Lehrern freundlich zu und ließ sich sogar zum Pausendienst herab.

Freitagabend war der Spuk vorbei. Zwei meiner Stunden waren als "zufriedenstellend" bewertet worden. Glücklicherweise haben meine Schüler mitgespielt. Die Inspekteure sind weg - bis in sechs Jahren! Aber bis dahin habe ich sicher meinen Beruf gewechselt.



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