Aus gegebenem Anlass (hingehen & unterschreiben!): wie sieht der Nachbar das Sozialstaats-Volksbegehren?

T.D

http://www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/artikel137502.php

Überparteiliche Initiative startet Volksbegehren

Österreicher wollen Sozialstaat retten

Verankerung sozialer Traditionen in der Verfassung angestrebt

Von Michael Frank
Wien – Eine überparteiliche Initiative will die Verankerung des Sozialstaates in Österreichs Verfassung erreichen. Angesichts radikaler Veränderungen in der Gesellschaft solle so abgesichert werden, dass die sozialen Traditionen im Gesetzesrahmen des Landes festgeschrieben würden, die für große Teile der österreichischen Gesellschaft den Rang einer Identitätsfrage haben. Durch Veränderungen im Wirtschaftleben, aber auch durch gesetzliche Neuerungen der FPÖ/ÖVP-Koalition in Wien sehen zahlreiche Gruppen diese Grundlage gefährdet. Vom heutigen Mittwoch an liegt eine Woche lang das Volksbegehren „Sozialstaat Österreich“ zur Unterschrift aus. Neben dem Sozialstaat als Verfassungsziel soll auch durchgesetzt werden, dass jedes Gesetz vor seiner Verabschiedung einer Sozialverträglichkeitsprüfung unterzogen wird. Eine Gruppe von Einzelpersonen ist der Motor, unter ihnen sind die Sozialwissenschaftler Emmerich Talos und Stephan Schulmeister, die in Österreich bekannten Ärzte Werner Vogt und Ernst Berger sowie die frühere Frauenministerin Johanna Dohnal. Die SPÖ, die Grünen, die Gewerkschaften, die evangelischen Kirchen, die Israelitische Kultusgemeinde sowie 400 kleinere Gruppen haben sich vorbehaltlos hinter das Volksbegehren gestellt. Keine eindeutige Stellungnahme gibt es von Seiten der katholischen Kirche. Während sich einzelne Laienorganisationen wie die Katholische Aktion an der Kampagne beteiligen, wollten die Caritas wie auch die Amtskirche keine offizielle Empfehlung geben. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) betonte ein „Ja zum Sozialstaat“, kritisierte aber an der Initiative, dass „eine abstrakte Verfassungsbestimmung“ konkret nichts bringe. Die ÖVP wollte keine Empfehlung abgeben. FPÖ-Chefin Susanne Riess-Passer sprach von einer „rein parteipolitischen Aktion“, die Opposition nutze dieses Thema im politischen Meinungskampf. Namentlich die SPÖ instrumentalisiere das Volksbegehren für Parteiinteressen. Die Initiatoren des Volksbegehrens weisen dies zurück. Das Volksbegehren „Sozialstaat Österreich“ sei streng überparteilich und überkonfessionell, sagte Vogt. Man habe alle vier Parlamentsparteien eingeladen, ÖVP und FPÖ hätten aber nicht geantwortet. Vogt ist dennoch optimistisch, eine Million Unterschriften zu erreichen. Umfragen gehen von 600000 bis 800000 Unterzeichnern aus. Als Messlatte gelten die mehr als 900000 Stimmen beim Volksbegehren gegen das böhmische Kernkraftwerk Temelin. Parallel zur europaweiten Offensive gegen den Sozialstaat verschärft sich nach Ansicht der Antragsteller diese Politik auch in Österreich. Besonders seine vier Hauptsäulen, die Kranken- und Unfallversicherung, die Altersvorsorge, die Arbeitslosenversicherung und das öffentliche Bildungswesen, würden geschwächt. Mit der Devise „Sozialstaat schlank“ werde die Gesellschaft polarisiert, würden Ausgrenzung und Verarmung provoziert. Alarmierend sei auch in Österreich das Anwachsen der Gruppe der „Working Poor“, also jener, die trotz Arbeit in Armut lebten. Gerade für Frauen in „sensiblen Lebenssituationen“ sei die Verankerung des Sozialstaates in der Verfassung entscheidend. Unter allen EU-Staaten sei dies nur in Österreich und in Großbritannien nicht der Fall. Erfahrungen in anderen Staaten zeigen jedoch nach Ansicht von Kritikern, dass die Verankerung des Sozialstaates als Verfassungsziel noch nichts bewirke. Karl Korinek, Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofes, pflichtet dem bei. Als wirkungsvoll sähe er aber die Prüfung aller Gesetze auf ihre sozialen Auswirkungen hin.


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