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POLITIK: Streik gegen die Regierung

Eine fast gespenstische Ruhe lag am Dienstag über Italiens Bahnhöfen und Flughäfen, gähnende Leere herrschte statt des sonst so lebhaften Trubels auf Bahnsteigen und Abflugschaltern. "Das Land steht still", sagte Sergio Cofferati, Chef der größten italienischen Gewerkschaft CIGL, lächelnd. Grund zur Freude hat er genug: Dem Aufruf zum ersten Generalstreik seit 20 Jahren waren am Dienstag Millionen gefolgt. Einige Gewerkschaften sprachen gar von einer fast 100-prozentigen Beteiligung.

In Großstädten wie Mailand, Turin oder Rom stellten die meisten Busse pünktlich um 9 Uhr morgens die Fahrt ein. U-Bahnen fuhren höchstens noch einmal in der Stunde. Banken, Postämtern, Schulen und Universitäten blieben geschlossen.

Selbst in einem Land wie Italien, das an Ausstände gewöhnt ist, ist ein Generalstreik eine außergewöhnliche Aktion. Achtstündige und damit praktisch ganztägige Arbeitsniederlegungen wie am Dienstag gab es zuletzt am 25. Juni 1982. Damals hatten die Italiener gegen ein Ende der an die Inflation gekoppelten automatischen Gehaltsanpassungen protestiert.

Am Dienstag demonstrierten sie gegen die von der Mitte-Rechts- Regierung geplante Aufweichung des Kündigungsschutzes. Der umstrittene Artikel 18 des "Statuts der Arbeitnehmer" stammt aus den 70er-Jahren und räumt den Arbeitnehmern bisher weit gehende Rechte ein. Durch die vorgesehene Änderung könnten in Zukunft Firmen mit mehr als 15 Beschäftigten Kündigungen aussprechen, ohne dass ein schwer wiegender Grund, wie etwa eine Verfehlung des Arbeitnehmers, vorliegt. Die Gewerkschaften fürchten als Folge Massenentlassungen und kündigten schon vor Wochen an: "Wir werden solange streiken, bis die Regierung nachgibt."

Bei dem Streik ging es jedoch nicht nur um den Kündigungsschutz. "Das ist kein normaler Protest gegen die Arbeitgeber, sondern fast schon ein Streik gegen die italienische Regierung", meinte ein Beobachter.

Beim Protest in Rom hält Ruggero Curatolo, ein 65jähriger Rentner, ein Schild mit der Aufschrift "Berlusconi, imitiere nicht Nero!" in der Hand. Er habe zwar bei den letzten Parlamentswahlen für Premier Silvio Berlusconi gestimmt, seine Entscheidung aber bereut. "Ich hatte gehofft, dass er die Rechte der Rentner verteidigen würde, aber statt dessen denkt er nur an seine eigenen Interessen." Andere Demonstranten trugen riesige Berlusconi-Puppen, die den Regierungschef als Napoleon oder Papst darstellten.

Die Gewerkschaften werteten den Generalstreik als Erfolg. "Allein in Florenz sind wir 400 000", rief ein CIGL-Sprecher dem gigantischen Protestzug in der toskanischen Metropole zu. Auch in Mailand, Neapel, Palermo und Rom zogen Hunderttausende mit Gewerkschafts-Fahnen und Anti-Regierungs-Spruchbändern durch die Straßen. "Fast 20 Mill. Beschäftigte sind heute der Arbeit ferngeblieben, Millionen sind zu den Demonstrationen gekommen", verkündete ein Gewerkschaftssprecher.

"Wenn die Regierung jetzt den Dialog wieder aufnehmen will, dann sind die Gewerkschaften dazu bereit", ließ Savino Pezzotta von der Gewerkschaft CISL wissen. Vizeministerpräsident Gianfranco Fini machte den Streikenden hingegen keine großen Hoffnungen. Ein Ausstand sei zwar ein legitimes Recht, "aber die Regierung hat keinerlei Absichten, hinsichtlich der Änderung des Artikels 18 nachzugeben".

16.04.02, 14:40 Uhr
(Quelle: dpa)




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