Folgender Kommentar aus dem heutigen STANDARD erscheint mir brauchbar als aktuelles Beispiel für politische Bildung und als Illustration für das bekannte Sinowatz-Diktum "Es
ist alles so kompliziert":
Unappetitliche Vermischungen
Antisemitismus spielt beim Zulauf zu den Rechtsparteien
eine untergeordnete Rolle - Ein Kommentar von Gudrun
Harrer
Szene bei einer Nahost-Diskussionsveranstaltung in Wien,
als Moderatorin miterlebt: Der mühsam erhaltene
nüchterne Ton wird gestört von einer Gruppe eher älterer
Österreicher im Publikum, die jede israelkritische
Äußerung mit begeistertem Applaus quittieren. Ein
moralischer Erfolg für den Vertreter Israels, ganz
unabhängig von dem, was er sagt: Die Diskussion ist
gelaufen, wer will schon riskieren, sich mit Altnazis auf
dieselbe Stufe stellen?
Nun ja, manchen Palästinensern ist es egal, sie haben
andere Sorgen - und die für Europa typische Art von
Antisemitismus, die zu den identitätsstiftenden
Elementen des Rechtsradikalismus gehört, ist ihnen
ohnehin fremd.
Trotzdem sind, vereinfacht gesagt, "Araber" rein
prozentuell gesehen für das verantwortlich, was
momentan mit zahlreichen Attacken auf Synagogen
unter dem Namen "Anstieg des Antisemitismus" in
Europa läuft, mit Blick auf die Täter besser "antijüdisch"
genannt würde (auch wenn die meisten Menschen aus
dem Maghreb keine Semiten, sondern Berber sind) und
hauptsächlich antiisraelische, bestimmt auch
antizionistische Gründe hat.
Österreich ist davon nicht wirklich betroffen, weil uns
die Masse an arbeitslosen frustrierten Jugendlichen aus
arabischen Ländern fehlt, mit denen etwa Frankreich
konfrontiert ist - und die dort wiederum dem
rechtsextremen Le Pen Zulauf beschert hat. Seine
Wähler mögen, auch wenn es im Wahlkampf keine
Rolle gespielt hat, traditionell gegen "die Juden" sein,
heute konzentriert sich ihr Rassismus auf die
Zuwanderer aus arabischen und islamischen Ländern,
also ausgerechnet auf jene, die Synagogen angreifen
und sich dabei vielleicht im Gleichklang mit dem alten
europäischen Antisemitismus fühlen.
Gleichzeitig können sich manche Rechtsextreme die
Bewunderung für den israelischen Militarismus kaum
verkneifen, setzen sich gleichzeitig aber laut für die
armen Palästinenser ein (die ihnen in Wirklichkeit schon
als altes Anliegen der europäischen Linken widerlich
sind), aus reiner Freude, dass - endlich wieder - das
Tabu der offensiven Kritik an "den Juden" gefallen ist.
Dass wegen der israelischen Palästinenserpolitik der
antisemitischen Rechten die Wähler zuströmen, wäre
jedoch eine fantastische Annahme. Der jüdische Siedler
im Westjordanland nimmt dem französischen
Modernisierungsverlierer nichts weg. Das gilt mehr oder
weniger für ganz Europa.
Österreich ist insofern ein Sonderfall, als die hiesige
Rechtspartei parallel zur Mobilisierung gegen
"Umvolkung" und die islamischen Schlachtvorschriften
(das betrifft dann automatisch auch die jüdischen) ganz
aktiv ihre Kontakte zur arabischen Welt forciert, und da
hauptsächlich zu den Outcasts.
Die Gründe dafür mögen vor allem pragmatische sein -
Geschäfte und wieder Geschäfte -, ohne kleine
ideologische und politische Verbeugungen kommt man
jedoch nicht aus. Manche in der Partei vollziehen diese
Rituale auch bestimmt allzu gerne, natürlich nicht aus
Hochachtung für die arabische Welt, sondern aus
Missachtung für das, was ihnen all die Jahre als politisch
korrekt oktroyiert worden ist und was sie jetzt über den
Katalysator Israelkritik abzuschütteln wagen.
Und wie äußert man diese Kritik? Bevorzugt in der
Terminologie des Dritten Reichs, man spricht von
"Vernichtungskrieg" und "Völkermord". Das tut Opas
Andenken gut. Aber das gilt beileibe nicht nur für die
Rechten und nicht nur für Österreicher.
Was Wunder, wenn viele Juden daraus schließen, dass,
ganz allgemein, wer "Israel" sagt, "Juden" meint. Diese
Ängste sind hierzulande begründet, sie sind so real wie
der antisemitische Bodensatz. Gleichzeitig werden sie
aber - um es noch komplizierter zu machen - wiederum
von der israelischen Politik schamlos instrumentalisiert.
Akiva Eldar, Kommentator von Ha'aretz, schreibt dazu
am Donnerstag: "Wenn die ganze Welt gegen uns (die
Juden) ist, warum sollten wir (die Israelis) die
Siedlungen auflösen?"
(Der STANDARD,Print-Ausgabe 3.5.2002)
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