Lieber Erich!
Ich schicke meine Antwort auch noch ans Lehrerforum, obwohl unsere Diskussion offenbar nicht auf unheimliches Interesse stößt. Allerdings muss ich zugeben, dass es momentan
(LehrerInnenstreik) unmittelbar brennendere Probleme gibt.
......dann bewirbt sich der angehende student an mehreren unis und legt schriftliches material ueber sich selbst bei, und ausserdem befuerwortungen von leuten, von denen er glaubt, dass das hilft. beispielsweise von dem fachlehrer jenes fachs, das er studieren moechte.
Da befällt mich schon ein gewisses Unbehagen, weniger weil so Befürwortungen ein bisserl nach Protektionismus riechen, sondern vor allem deshalb, weil da ja offenbar die Besten genommen werden sollen. Könnte mensch sagen: "Na und? Wen denn?" In Wien (zumindest) gibt es ja auch den (illegalen?) Brauch an den
AHSn: Die Schulen, die kein Problem mit den Anmeldungen haben, erklären den Eltern der SchülerInnen, die ein schlechteres Volksschulabschlusszeugnis haben, dass es leider keinen Platz mehr gibt und nehmen die Besten. Die anderen müssen dann leider einen längeren Anfahrtsweg in die Schulen schülerschwachen Bezirke in Kauf nehmen, die eben jeden und jede nehmen, die sie kriegen können. Die Konsequenzen sind
bekannt: Die VolksschullehrerInnen geben eben dann nur mehr "Sehr Gut" und die Kinder derer, die sich da weigern, bei diesem Betrug mitzumachen, haben halt Pech gehabt. Natürlich sind auch wir in der AHS davor nicht gefeit. Jede und jeder von uns bewegt sich im großen Spannungsbereich zwischen trennscharf und standardisiert mehr oder weniger geschickt, mehr oder weniger extrem...... Dass es auch aus der Sicht der Wirtschaft, die "die Besten" möchte, schwachsinnig ist, die erste Selektion mit 10 Jahren vorzunehmen, wissen ja nun bereits fast alle europäischen Länder. Tja, fast...... Ich bin nun aber der Meinung, dass das Recht auf Bildung auch für die "Zweitbesten" gelten muss, dass wir uns also den "Luxus" leisten müssen, allen Menschen, die ein Bedürfnis nach Bildung haben, diese zu ermöglichen. Und ich bin noch so unverschämt, dies nicht nur für die 10- bis 18 jähringen, sondern lebenslang zu fordern. Natürlich kann ich keine Kosten- Nutzenrechnung vorlegen, was wir uns dabei an Häfenkosten, politischen Kosten, wie eine Haider-Partei in der Regierung usw. sparen könnten, aber dass die dumpf verzeifelten Aggressiven, nach einfachen Lösungen Suchenden eher in den eher ungebildeten Schichten zu finden sind, scheint mir schon mehr oder weniger statistisch belegt. Uijeh ich bin ein wenig abgekommen. Bei standardisierten Test fällt mir natürlich die französische Matura ein, die ich zugegebenermaßen nicht kenne. Ich denke, dass ich bei so einer Matura dauernd zwischen den sich aktuell im Unterricht ergebenden Spannungen (deren lustvolle Lösungen zu den Höhepunkten meines Berufes gehören) und dem Zwang, sie auf die standardisierte grosse Prüfung vorzubereiten, hin und hergerissen wäre. Aber vielleicht werden bei der französischen Matura wirklich Fähigkeiten getestet, die SchülerInnen, die sich exemplarisch mit einigen mathematischen Problemfeldern beschäftigt haben, zwangsläufig entwickelt haben.
ich halte das formale grundkonzept der matura:
jeder maturant ist automatisch berechtigt, jedes fach zu studieren, das er sich selber aussucht, fuer verfehlt. es sollte tatsaechlich eine form von fachspezifischer selektion geben.
und
mir gehts primaer gar nicht darum, wie gut mathematikstudenten in der ahs auf ein mathematikstudium vorbereitet werden. mir gehts darum, wieviel mathematik studenten koennen, die dann ein anderes fach studieren.
in den einzelnen hauptfaechern kann die uni selbst noch "nachhelfen". ich halte aber beispielsweise auch lehrveranstaltungen fuer soziologen, wo mathematik verwendet wird, und da muss ich oft bei stunde -1 (nicht einmal bei stunde 0) beginnen. und das heisst, dass das, was die matura "behauptet", naemlich das ein maturant im wesentlichen all das kann, was im ahs- oder bhs-lehrplan steht, einfach nicht der fall ist.
O.K. Natürlich versuche ich den SchülerInnen zu erklären,
dass verschiedene mathematische Techniken (z.B. statistische
Methoden) in Bereichen notwendig sind, die unmittelbar
keinen so technischen oder mathematischen Geruch haben. Manchmal gelingt's, manchmal gelingt's nicht. Ich bemühe mich, so zu unterrichten, dass die Psychologie- oder SoziologiestudentInnen, die das eben erst auf der Uni mehr oder weniger freiwillig einsehen, ihre Mankos selbstständig mit Hilfe guter Unterlagen, die die Uni zur Verfügung stellen müsste, beheben können.
Entscheidend für mich ist: StudentInnen, die beschließen, sich wissenschaftlich -sagen wir- mit Psychologie zu beschäftigen, weil sie -sagen wir- daran interessiert sind, mitzuhelfen, die Wunden die unsere Gesellschaft schlägt, zu mildern oder zu heilen, sollen die Entscheidung selbst treffen, ob sie das im Rahmen der herkömmlichen Uni-Methode machen wollen,
(bedeutet: Statistik nachlernen) oder andere Wege suchen wollen.
So nebenbei: Ich gebe zu, ich habe nie bei Hofreiter
eine Vorlesung gehört, da mich das, was du offenbar
nicht erlebt hast, gefürchtet habe. Aber ich habe eine Diskussionsveranstaltung erlebt, bei der Michael Grosser über den Mißbrauch der Mathematik in anderen Wissenschaften referiert hat und habe dann erlebt, wie ein anwesender Psychologieprofessor, den Michael nie direkt angesprochen hatte, in Wut geraten ist, weil er Michaels Ausführungen offenbar auf seinen Hang bezogen hat, Psychologiestudenten mit ziemlich viel Statistik zu quälen.
So ganz einigen können sich die Uni-Lehrer offenbar nicht einmal darüber, wass ein Psychologiestudent auf der Uni an Mathematik lernen muss.
aber wir haben natuerlich auch das problem,
dass sich die uni mehr oder weniger der lebensluege
hingegeben hat, dass wir vor allem wissenschafter auszubilden haben.
das muessen wir schon (u.a. auch weil das sonst kaum jemand macht), gleichzeitig machen wir aber mittlerweile auch akademisch berufsausbildung fuer leute, die nicht in die wissenschaft gehen, und das ist sogar die ueberwaeltigende mehrheit unserer "kunden".
das sollten wir einmal klar zugeben,
und dann sollten wir auch danach handeln.
Ich habe ja ziemlich lange studiert und habe unter anderem den Traum, ein berühmter Mathematiker zu werden, begraben müssen, bin aber -so hoffe ich- ein ganz passabler Lehrer geworden.
Ich glaube nicht, dass das von vornherein so leicht abzutesten gewesen wäre. Ich glaube auch nicht, dass die Vorlesungen, die ich gehört habe und nicht für meinen Lehramtsabschluss gebraucht habe, verlorene Mühe waren.
Momentan erleben wir einen Druck auf die Universitäten, dass sie effizienter arbeiten sollen. Nur was ist effizient? Wer bestimmt das? Die Wirtschaft? Die Regierung?
oder
diese Kunden da, also
die Menschen, die auch ein Recht darauf haben, "aus Liebe zur Weisheit" zu studieren.
P.S. Wenn ich richtig gehört habe unterrichtest du auch SchülerInnen im Oberstufenalter, allerdings nicht in einer Schule, die im Stundentakt die Kinder dazu zwingt, sich gleichzeitig mit gleicher Geschwindigkeit dem gleichen Thema zu widmen, einer Schule also, die auf die Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie pfeift, Freinet, Montessori und wie sie alle heißen, völlig ignoriert, kurz: Du unterrichtest nicht in einer AHS.
Mich würde interessieren: Welchen Stellenwert haben in deiner Schule angesetzte Prüfungen? Das ist keine provokative oder rethorische Frage, sondern das interessiert mich wirklich. Weil ich erlebe an der AHS die permanenten Leistungsfeststellungen (schon wegen der verschwendeten Zeit) als eine der leistungsfeindlichsten Handlungen in der Schule.
mit lieben Grüßen, Kurt
--
Diese Liste wird vom Computer Communications Club (http://www.ccc.at) betrieben. Um sich aus der Liste austragen zu lassen, senden Sie ein e-mail an majordomo@ccc.at mit dem Befehl "unsubscribe lehrerforum" im Nachrichtentext.