Lieber Kollege Zwickl

Herzlichen Dank für ihre Stellungnahme, das war wirklich ein Meilenstein, den wir damit erreicht haben. Ich habe genauso dieses unerfreuliche Hin und Her satt, wonach wir Menschen in Links-Rechts-Schemata einordnen und je nach Sichtweise ins Körbchen "gut" oder "böse" verschieben.

Ich darf Sie aber daran erinnern, dass es Alfred Gusenbauer war, der angekündigt und versprochen hat, dass eine grundlegende Aufarbeitung des Problems des Rechtspopulismus angegangen werden soll. Nach der Blamage in Frankreich hat das Vorhaben lediglich an Priorität gewonnen.

Wir stehen nicht am Anfang aller Überlegungen. Und ich kann mir auch vorstellen, dass es möglicherweise sogar in allen Parteien Leute gibt, die eine echte und grundlegende Demokratiereform wollen.

Die wahre Trennlinie besteht nicht zwischen den Sympathisanten dieser oder jener wahlwerbenden Gruppe, sondern meines Erachtens zwischen den Politverdrossenen (und diese sind für den Rechtspopulismus sehr anfällig) und denjenigen, die sich für ihre eigenen Interessen und die ihrer Gruppe engagieren wollen, die echte Chancen haben wollen, ihre Vorstellungen auch zu verwirklichen (und nicht an Parteibonzen, welcher Farbe auch immer, zu scheitern).

Ich kann sagen, dass die SPÖ auf einem Weg des Umdenkens ist. So war im vergangen Dezember im Renner-Institut der Schweizer Nationalrat Andreas Gross zu Gast und hat einen Vortrag gehalten über "Direkte Demokratie und Österreich", ja er hat illusionslos viele österreichspezifische Missverständnisse und Vorbehalte gegenüber der direkten Demokratie artikuliert. Der Andy ist ein Denker, der seiner Zeit immer schon ein paar Schritte voraus ist, er verbindet in beispielgebender Weise politische Utopien und Realitätssinn. Erfreuen Sie sich selber an seinem intellektuellen Charme und lesen Sie nach
unter http://www.andigross.ch/

Ich mag aber auch nicht verschweigen, dass auch von konservativer Seite das Problem der Politikverdrossenheit schon Ende der 80er Jahre sehr deutlich erkannt worden ist. Ich erinnere mich an eine Podiumsdiskussion an der TU-Wien mit Otto Schulmeister (Herausgeber der Presse), der das Problem des Rückzuges, der Teilnahmlosigkeit sehr richtig und deutlich erkannt und benannt hat - und kassandrahaft gewarnt hat.

In einem fortschrittlichen Demokratieverständnis sind Parteien Sammelpunkte von Menschen, die Freude an der politischen Gestaltung haben, die gemeinsam Ziele erreichen wollen, und in ihren Zielvorstellungen eine zukünftige Gesellschaft entsprechend den Grundwerten der Partei antizipieren. Diese Kader einer demokratischen Gesellschaft dürfen sich von einer meuternden Menge von von vermeintlichen Systemkritikern, die aber in Wahrheit nur ein paar unansehbare Charaktermasken aus den Polithierarchien an den Pranger stellen wollen, nicht kopfscheu oder orientierungslos machen lassen.

mit freundlichen Grüßen
Günter Wittek


----- Original Message -----
From: Josef Zwickl
To: Hans Adam ; lehrerforum@ccc.at
Sent: Tuesday, May 07, 2002 6:07 PM
Subject: LF: Re: Entgleisung

Ich muss Sie leider korrigieren. Es ist nicht nur rot/grün allein, die scheinbar den politischen Frieden in Österreich gänzlich zerstören wollen, sondern ein gegenseitiges, immer stärker werdendes Aufschaukeln der Emotionen. Es ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Menschen, trotz Kenntnis der Entwicklungen in den 30er Jahren, immer wieder von der Politik missbrauchen lassen. Auch in unserem Forum gibt es etliche Leute, die nur darauf aufpassen, in welches politische Kästchen die Schreiber einzuordnen sind. Wenn man dann die Deeskalierung der Worte anregt, wird man sogar als Verfechter des Totalitarismus eingestuft. Dabei sollten meine Aussagen nur dazu anregen, nachzudenken, inwieweit viele von uns Lehrern nur mehr in links-rechts Schemata denken (können). ein etwas nachdenklicher Josef Zwickl

----- Original Message -----
From: "Hans Adam"
To:
Sent: Monday, May 06, 2002 11:16 PM
Subject: LF: Entgleisung

>
> Pilz hatte gemeint, dass die Regierung, in der selbst
> Rechtsextremisten säßen, lasse "ihre Neonazis" unbehelligt und müsse
> endlich etwas gegen Naziaufmärsche unternehmen. "Das zeigt, dass
> Rot-Grün im Vorfeld des 8.
Mai
> ganz bewusst an einer Aufschaukelung der Situation und nicht an
Deeskalation
> interessiert ist, und zwar auf Kosten des Ansehens Österreichs im
> Ausland, dem sie damit genauso schaden, wie bei der Verhängung der EU
14-Sanktionen.
>



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