SN 11 05 02

http://www.salzburg.com/sn/02/05/11/artikel/264898.html

Offene Schul(d)fragen

Jeder siebte Euro des Bundesbudgets fließt in die Bildung, jeder siebte österreichische Schüler kann kaum lesen. Wie effizient ist unser Bildungssystem?

HELMUT SCHLIESSELBERGER

In der Bildung ist Österreich Spitze - jedenfalls bei den Ausgaben. Mit einem Bildungsbudget von acht Mrd. Euro werde jeder 7. Euro des Budgets für Bildung ausgegeben, loben (sich) die Regierungsparteien. Doch an den Unis klagen Professoren über geringe Geschichts-, Sprach- und Mathematikkenntnisse und kämpfen mit hohen Dropout-Raten und der weltweit längsten Studiendauer. Österreich hat die höchsten Gesamtausgaben, um Jugendliche bis Pflichtschulende auszubilden, und die Lehrherren ärgern sich über das Fehlen elementarer Schreib- und Rechenkenntnisse. Und nach der OECD-weiten PISA-Studie mit gut durchschnittlichen Ergebnissen für Österreich wurde primär gefeiert, dass wir besser dastehen als die inferioren Deutschen. Ist unser Bildungssystem ineffizient?

"Das Package muss stimmen", sagt Formel-1-Star Michael Schumacher, wenn es um Effizienz geht. "Das Package muss stimmen", fordert auch Erziehungswissenschafter Günter Haider, der die PISA-Studie in Österreich koordinierte, als Basis für Leistung im Bildungsbereich. Die gehe von allgemeingesellschaftlichen Faktoren über familiäre Unterstützung bis zur Ausbildung der Lehrer.

Haider stört, dass in Österreich in der Bildungspolitik viel zu viel auf Zuruf und ohne durchgängiges Konzept passiere. Wenn ein Bildungssprecher nach einer Diskussion schlecht geschlafen habe, prä-sentiere er tags darauf ein neues Modell für Aufnahmsprüfungen. "Was fehlt, ist ein 10- bis 20-jähriger Bildungsplan über parteipolitische Grabenkämpfe hinweg."

Dies kann auch an grundlegenden ideologischen Überfrachtungen in der Debatte um die Bildung liegen, zumal bei Schulreformen ohne Verfassungsmehrheit nichts geht. Wenn die Bildungssprecher der Oppositionsparteien darauf verweisen, dass sämtliche Staaten, die in der PISA-Studie vor uns liegen, auf eine frühzeitige Selektion der Schüler verzichten, wittern die Bildungssexperten der Regierungsparteien "linke Uraltidologien" und versteckte Gesamtschule.

Im Bildungsministerium betont man trotzdem, dass das "differenzierte österreichische Schulsystem" im internationalen Vergleich hervorragend abschneide und diesbezügliche Schulversuche auf der Sekundarstufe 1 trotz aufwändiger Anstrengungen auch keine besseren Leistungen gebracht hätten.

Gerhard Riemer, Bildungsexperte der Industriellenvereinigung (IV) betont, die Ergebnisse der PISA-Studie hingen nicht von der Schulform ab, sondern von der Qualität der Unterrichtsgestaltung und der Methodik des Unterrichts.

Der grüne Bildungssprecher Dieter Brosz verweist nicht nur auf tendenziell sinkende Bildungs-Ausgaben, sondern auch auf eine dramatische Erkenntnis aus der PISA-Studie: Der Zusammenhang zwischen sozialem Status der Eltern und schulischem Erfolg der Kinder ist in Österreich sehr hoch. Niedriger sozialer Status bedinge schwä-chere Schulleistungen. Mit zehn Jahren werden mit dem Gang in Hauptschule oder AHS-Unterstufe entscheidende Weichen gestellt.

Eine gemeinsame Unterstufe kann sich Gerhard Riemer (IV) nicht vorstellen: Die "gute" Hauptschule am Land biete ohnehin bessere Ausbildung als die "schlechte" AHS in der Stadt. Der extreme Zulauf zu den AHS in den Ballungsgebieten, die auf Förderung schwächerer Schüler nicht vorbereitet sind, ist für Bildungsexperten aller Lager ein ungelöstes Problem.

"In Österreich machen 65 Prozent jener, die die AHS-Unterstufe besuchen, die Matura. Von den Hauptschülern sind es 35 bis 40 Prozent", betont SP-Bildungssprecher Dieter Antoni. Er verweist darauf, dass die EU hervorgehoben habe, dass zwischen 2005 und 2010 die Matura Mindestqualifikation für das Bestehen auf dem Arbeitsmarkt sein werde. Drastisches Indiz: Von 250.000 Arbeitslosen in Österreich haben 210.000 nur Grundschulbildung.

Die hohen Drop-Out-Raten an den Unis werden oft der starren Oberstufe angela
stet: Zu viel Frontalunterricht, zu wenig Flexibilität, Projektunterricht und freie Kurswahl. Auch PISA-Projektmanager Haider kann sich mehr
Interessens- und Fähigkeitsdifferenzierung in der Oberstufe vorstellen. "Warum soll der 16-jährige Physik-Freak nicht mit 18-jährigen in einem Kurs sitzen." Qualitätsverbesserung setze auch Evaluation voraus: "Was die Durchführung objektiver Evaluation betrifft, sind wir Schlusslicht in Europa."

Niemand überprüft die Nachhaltigkeit

Dramatische Folgen habe auch der Umstand, dass an den Schulen, die Nachhaltigkeit nicht überprüft werde. Wenn in der 6. Schulstufe Prozentrechnen gelehrt werde, überprüfe niemand in der 9. Schulstufe, ob Prozentrechnung noch beherrscht wird. "Es wäre wichtig, einen Teil der Unterrichtszeit darauf zu verwenden, den Kernstoff zu sichern", betont Haider.

Beim PISA-Studien-"Sieger" Finnland sitzen die Schüler zwischen 12 und 15 Jahren 2200 Stunden in der Schule, in Österreich sind es 3407 Stunden. Haider betont, dass es in Österreich vor allem in der Oberstufe zu viele Schulstunden sind. Man könnte Stunden für mehr Projekte und Fächerübergreifenden Unterricht verwenden. Es sei wichtig, "spannende Schule zu machen" - "Machen müssen es die Lehrer." In Österreich habe man eine Lehrer-Altersstruktur-,"die für Innovationen nicht sehr erfreulich ist".

Haider sieht auch pädagogische Defizite universitär ausgebildeter Lehrer: "20 Semesterstunden machen keinen professionellen Pädagogen aus einem Physiker. Das ist weniger als in der Fahrschule. - Wenn sie mir Geld geben würden und sagen, verbessern sie das Schulsystem, würde ich es in
Lehrer-Aus- und -Fortbildung stecken."





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