SN 15 05 02

http://www.salzburg.com/sn/02/05/15/artikel/265853.html

Im Aus-Bildungs-Aus
Der bildungspolitische Trend geht immer stärker in Richtung Berufsbildung. Ist Allgemeinbildung nur mehr in der "Millionenshow" gefragt?


HELMUT SCHLIESSELBERGER

In der Bildungspolitik ging der Trend in den letzten Jahren in Richtung Berufsbildung. Im TV-Hauptabendprogramm ging der Trend - vermutlich als Ausgleich dafür - stark in Richtung Allgemeinbildung. Und wenn dann beim deutschen "Millionen-Show"-Pendant "Wer wird Millionär?" eine fast fertige Germanistik-Studentin Ringelnatz für ein Pelztier hält, kann man gleich in einem Atemzug über die Krise der Allgemein- und Berufsbildung lamentieren.

Faktum ist: Ausbildungsstätten, die nachweisen können, dass die gebotene Ausbildung einen unmittelbaren Bedarf auf dem Arbeitsmarkt deckt, haben derzeit auch in Österreich die Nase vorn. Während die Oberstufen der AHS auf
Sinn- und Inhaltssuche sind, können sich Höhere Technische Lehranstalten die Schüler aus riesigen Bewerberzahlen aussuchen. Und während den Universitäten seit Monaten vor im Zuge der Unireform aufgenötigtem Wirtschaftseinfluss und dem drohenden Primat der Ausbildung vor Bildung graut, boomen die Fachhochschulen, die genau diese Wirtschaftsnähe bieten.

Aufholbedarf bei den Fachhochschulen war groß

Österreich hatte im Bereich der Fachhochschulen extrem viel aufzuholen. Der Trend zum Dipl.-Ing. oder Magister mit dem Anhängsel (FH) wird mittelfristig auch die bisher extrem niedrige Akademikerquote in Österreich anheben. Derzeit liegt die heimische Akademikerquote unter den Erwerbstätigen bei - im internationalen Vergleich höchst bescheidenen - 7,2 Prozent. Das Fehlen Berufsbildender Höherer Schulen in anderen Systemen verzerrt hier allerdings die Statistik.

Kritiker betonen, dass die Fachhochschulen manchmal fast einer Privatuni eines Industriekonzerns entsprechen und beklagen die massiven Abweisungsraten, mit denen Möchtegern-FH-Studenten in vielen Fachhochschulstudienrichtungen konfrontiert sind. Uni-Rektoren ärgern sich, dass sie jene Studenten nehmen müssen, die an den Fachhochschulen (FH) nicht genommen werden und darüber, dass an den FH mehr Geld pro Student zur Verfügung steht.

Die Tausenden Studenten, die heute in die verschulten, wirtschaftsnahen FH drängen, sind zu jung, um über vergilbte Weisheiten der Studentenbewegung der 60er Jahre nachzudenken. Damals hieß es: "Allgemeinbildung ist die Berufsbildung der Herrschenden, Berufsbildung ist die Allgemeinbildung der Beherrschten."

Zum einen freut sich die Wirtschaft über die punktgenau ausgebildeten Arbeitskräfte. Andererseits laufen sehr spezifische Ausbildungen Gefahr, bald einmal am Markt vorbei zu produzieren und nicht rasch auf Zyklen in der Wirtschaft reagieren zu können. Zu frühe Spezialisierung ohne festes Allgemeinbildungsfundament kann auch Chancen auf einem sich ständig verändernden Arbeitsmarkt rauben. Wissen, das aufgrund sich rapide verkürzender Halbwertszeiten ständig zu erneuern ist, überholt eingefahrene Ausbildungsmuster und verlangt nach Flexibilität und lebenslangem Lernen.

Bei der derzeit - teils auch in der Diskussion um die Uni-Reform - weithin gepflogenen ökonomischen Betrachtung, bei der Menschen rein im Hinblick auf ihre Rolle als Teilnehmer am Arbeitsmarkt ausgebildet werden, wird zu schnell der Einfluss der Bildung zur gesellschaftlichen Wohlfahrt übersehen. Bildung ist mehr als das, was man auf der Stelle gebrauchen kann. Nicht nur Anhänger von Pestalozzi, Rousseau und Montesquieu treten für eine Schule ein, die Bildung im breiten Sinn vermittelt und sich nicht den Anforderungen der Wirtschaft unterwirft. Der starke Trend zu Berufsbildenen Höheren Schulen schneidet viele Schüler zu früh von Allgemeinbildung ab.

Allgemeinbildung jenseits des Lexikonwissens

Über den Wert der Allgemeinbildung wird man sich heute allerdings leichter einig, als über den Inhalt. Wobei zumindest Einigkeit herrscht, dass Allgemeinbildung heute nicht mehr enzyklopädisch zu verstehen ist und schon gar nichts mit Millionenshow-Wissen zu tun hat. Neben der sicheren Beherrschung der traditionellen Kulturtechniken "Lesen-Schreiben-Rechnen" und der neuen Kulturtechnik IT gehört heute eine solide Grundlage in den Fremdsprachen zur Bildung, ebenso wie Lernen-Lernen, Stellen von richtigen Fragen, Bewerten von Inhalten und Kritikfähigkeit. Dazu kommen Schlüsselqualifikationen wie die Fähigkeit Informationen zu beschaffen, aus riesigen Datenmengen auszuwählen und sie in Zusammenhängen zu verarbeiten, Fähigkeit zu selbstständigem Arbeiten genauso wie Fähigkeit zu Kooperation und Teamwork. Derart (allgemein-)gebildete Menschen haben, so heißt es, auch eine Basis zur Teilnahme am lebenslangen Lernen. (Wobei Kritiker einwerfen, dass es gerade beim derzeit von allen Seiten gepriesenen lebenslangen Lernen nicht um Bildung, sondern nur um "permanente Um-, Zu- und Aufrüstung der Arbeitskraft" für mögliche Jobs geht.)

Für die kriselnden Allgemein Bildenden Höheren Schulen läge heute eine große Chance, zu neuen Allgemeinbildungsstätten zu werden, in mehr Wahlfreiheit, Reduktion des klassischen Kernstoffs, Kurs- und Modulsystemen, projektorientiertem Unterricht, Teamarbeit, mehr selbstständigem Lernen bis hin zur Auflösung der "Maria-Theresianischen Militärordnung der Jahrgänge" in den höheren Klassen. Die Gymnasien müssen ihre Rolle neu definieren und dabei ruhig auch Praxisbedürfnisse verstärkt berücksichtigen. So wie es gleichzeitig sinnvoll sein wird, mehr Bildung ohne kurzfristiges Zweckdenken bzw. Sprachausbildung in die Ausbildung an den BHS einfließen zu lassen.

Die unlängst als gestutzter Entwurf vorgestellte Reform der AHS-Oberstufe, die zumindest mehr Möglichkeiten zur Schwerpunktsetzung bringen soll, ist hier ein Schritt in die richtige Richtung - allerdings ein winziger.





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