S.g. Herr Wallner
Polarisieren heißt für mich einmal grundsätzlich, dass Gegensätze geschafft werden. Das funktioniert am besten, indem man die Realität möglichst simpel darstellt (schwarz-weiss war das in meiner Diktion) und diese Darstellung dann noch mit ebenso simplen (und meistens meistens nicht explizit deklarierten weil dann leicht angreifbaren) emotionalen Werten unterlegt. Genau das passiert, wenn Menschen gegeneinander aufgehetzt werden. Sie werden in möglichst leicht erkennbare Gruppen eingeteilt und die jeweils "anderen" werden mit negativen Werten belegt. Je mehr das Selbstbild von Einzelnen sich über die Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Berufsstand, Nationalität, Fussballverein, Hautfarbe, Partei, wasauchimmer) definiert, desto anfälliger sind diese Einzelnen für Verhetzung.
Und eine differenzierende Sicht der Dinge heisst, die Gültigkeit simpler Darstellungen (die eben Grundlage der Polarisierung sind) zu hinterfragen, wobei man schon mit ein bißchen Einsatz der grauen Zellen unweigerlich zu dem Schluß kommt, "na Moment, so einfach ist das nicht!" Dann wirds eine Spur unbequemer, dann muss man sich nämlich nach anderen Darstellungen der Realität umschauen und von Stammtisch und Bierzelt Abschied nehmen. Das hat nicht das Geringste mit Harmoniesucht zu tun, was auch immer das genau heissen mag.
Und Proporz, wenn ich daran erinnern darf, heisst nichts anderes als ein proportionelles Verhältnis, in diesem Fall proporzionelles Machtverhältnis. Der Grund, warum das Wort eine negative Bedeutung hat, ist nicht die Frage, wie die Macht verteilt wurde und wird, sondern wie die verteilte Macht gebraucht wurde und wird. Das Problem ist, dass zu viele von denen, die an der Macht sind, ständig vergessen, dass sie für ALLE verantwortlich sind, die unter ihrer Macht stehen und nicht nur für die, die sie an die Macht gebracht haben. Manche vergessen ihre Verantwortung überhaupt, hat man oft genug den Eindruck. Womit wir wieder beim Handlungsethos wären.
Und übrigens, die Methode, mit der man etwas macht ist sehr wohl ein Bestandteil der Qualität dessen, was man macht. Schaun sie doch in die Klassenzimmer! Schauen Sie irgendwohin! Inhalt+Methode=Qualität (zugegeben, das ist jetzt auch ein bisschen simplifiziert)
MfG
sl
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: owner-lehrerforum@ccc.at [mailto:owner-lehrerforum@ccc.at]Im
Auftrag von Erich Wallner
Gesendet: Donnerstag, 16. Mai 2002 22:27
An: Sabine Laister
Cc: Lehrerforum
Betreff: LF: Re: sprachfalle?
S.g. Frau Laister!
Einen Aspekt Ihrer Ausführungen glaube ich verstanden zu haben, nämlich: Sie lehnen Polarisierung ab und begrüßen gleichzeitig eine "etwas differenziertere Sicht der Dinge". Nicht verstanden habe ich allerdings, wie diese beiden Standpunkte zusammengehen, ist doch Polarisierung die deutlichste Form der Differenzierung.
Wenn Sie schreiben, daß Polarisierung Wunden schlägt, dann mag das schon stimmen, aber man kann nicht nur am Feuer zugrundegehen, sondern auch im Wasser, und so hat auch das Gegenteil der Polarisierung seine gravierenden Nachteile - ich verweise nur auf den in Österreich jahrzehntelang zelebrierten Proporz. Gerade wir Österreicher sollten besser wissen als so mach andere Nationen, was Harmoniesucht und die Verweigerung von Auseinandersetzungen (wie etwa mit der eigenen geschichtlichen Vergangenheit und Identität) bewirken.
Persönlich glaube ich: Das Problem im öffentlichen (und privaten) Diskurs ist nicht die Methode. Das Problem besteht darin, daß die Leute so leicht "ang'rührt" sind, wie man bei uns dahoam sagt, d.h. so furchtbar rasch beleidigt. Auch im LF gibt es ein paar solche Prinzessinen (allerdings fast nur männlichen Geschlechts, aber das hängt wohl mit der Männer-Dominanz im LF zusammen) auf der Erbse.
Weiters glaube ich, daß sich Qualität langfristig durchsetzt, ganz unabhängig von der Methode - was ich sogar im LF vermeine beobachten zu können.
MfG
Erich Wallner
Sabine Laister wrote:
> S.g. Herr Wallner,
> Bitte beziehen Sie das jetzt nicht auf sich selbst, wenn ich Ihnen erzähle > dass es im Englischen ein geflügeltes Wort gibt, das da lautet: "Even the > devil can quote the bible for his purposes" (Gibts übrigens auch in der > Version "Even the devil can quote statistics for his purposes"). > Wohlgemerkt, ich teile Ihnen damit jetzt keine Rolle zu, ich will nur sagen, > dass ich mehr für eigenständige Formulierungen bin. Sind meistens > origineller. Und wenn Sie mich wegen meiner angeblichen Lauheit ausspeien > wollen, halte ich das in unser beider Interesse ohnehin für die schlauere > Lösung: ich habe dann mehr Frischluft und Sie keine > Verdauungsschwierigkeiten. > > Die Polarisierung als zweischneidige Sache ist aber eine so wunderbare wie > bittere Metapher. Geschichtsbücher und Nachrichten sind voll von Beweisen, > dass über kurz oder lang beide Seiten Schnittwunden davontragen. In der > Politik und in der öffentlichen Meinungsbildung ist Polarisierung daher > schlicht als verantwortungslos zu bezeichnen, sie schafft mit den billigen > Mitteln der Schwarz-Weiß-Malerei nichts als Fronten, an denen dann in > weiterer Folge oft genug Unschuldige leiden und zu Grunde gehen. Auch davon > sind Geschichtsbücher und Nachrichten voll. > > Ich persönlich finde eine etwas differenziertere Sicht der Dinge und ein > entsprechendes Ethos als Handlungsbasis um einiges spannender weil es eine > viel größere Herausforderung ist. Aber es muss natürlich nicht jeder so > "lau" sein, das ist schon klar. Da würden Sie ja verhungern, weil Sie alles > ausspeien müssten. >
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