S.g. Herr Wallner
Ich entnehme der Anzahl von Mails in meiner Mailbox, dass noch einige mehr (schon sehr überraschend, wer da aller mitliest!) unsere Diskussion verfolgen. Danke für das nette Feedback. Soooo privat scheint meine Semantik ja doch nicht zu sein.
Lieber Herr Wallner, es ist zwar vermutlich nicht als Kompliment gemeint, aber ich bedanke mich trotzdem dafür: Sie haben bis jetzt immerhin neben nichts geringerem als der Bibel und dem Duden nun auch mich zitiert. Ehrt mich zutiefst. (Macht mich aber trotzdem nicht zur grossen Freundin von
Zitaten.)
Im Übrigen muss ich Ihnen gestehen, dass Ihre Ausführungen diesmal für mich über weite Strecken nicht ganz so leicht verständlich sind. Ob das an meiner Auffassungsgabe oder an Ihrem Text liegt, mögen andere beurteilen. Ich kann mich jedenfalls des Eindruckes nicht erwehren, dass wir ein bisschen aneinander vorbeischreiben.
Korrigieren Sie mich bitte, wenn ich das falsch verstanden habe: Sie schätzen klare Stellungnahmen zu Sachverhalten, wer die nicht von sich gibt ist entweder harmoniesüchtig oder hat keine Zivilcourage. Warum diese Sachverhalte "divergent" sind (oder sein müssen?), und was das mit Polarisierung zu tun hat, kann ich nicht nachvollziehen. (zugegeben: ist im Grunde mein Problem)
Die Polarisierung, die ich meine, hat im gängigen Sprachgebrauch (wo er im Gegensatz zum Duden weder harmlos noch wertneutral ist) etwas mit einer grossen Gruppen von Menschen zu tun ("Polarisierung einer Gesellschaft"). Ich verstehe sie als (weder harmlosen noch wertneutralen) schleichenden, schwer fassbaren Prozess der Frontenbildung in dieser Gruppe, der zuerst über weite Strecken nur an Details erkennbar ist: An Aussagen im öffentlichen Diskurs, an einzelnen Reaktionen von Menschen aufeinander im Alltag, etc. Später dann an der Häufigkeit und/oder Vehemenz, mit der in den verschiedensten Situationen ein Bekenntnis zum einen oder anderen "Lager", zur einen oder anderen Gruppe gefordert oder unterstellt wird (damit man dann auch ordentlich seine Vorurteile ausleben kann). An der Häufigkeit und/oder Vehemenz, mit der die Verweigerung eines solchen Bekenntnisses als Schwäche heruntergemacht wird. (liebe Grüsse von der lauen Seite!) Die Gegensätze sind natürlich immer da (ich bekenne mich zur Ungenauigkeit im Ausdruck!), genauso wie Meinungsverschiedenheiten, Konflikte, Unterschiede. Die Polarisierung, die ich meine und ablehne, instrumentalisiert sie. Und DAgegen wehre ich mich.
Entschuldigens, dass ich Sie wieder mit meiner "Privat-Semantik" behellige. Ich erlaube mir, meinen Kopf gelegentlich für die Entwicklung eigener Gedanken zu verwenden. Ich kann aber leider nicht versprechen, dass ich Sie damit nicht mehr verwirre. Sollte es zu schlimm werden und ihr Mitleid mit den zurechtgebogenen Begriffen unerträglich werden, empfehle ich freundlichst, einfach von der Lektüre Abstand zu nehmen.
Andernfalls in sehnlicher Erwartung Ihrer Erwiderung
sl
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Erich Wallner [mailto:erich.wallner@aon.at]
Gesendet: Freitag, 17. Mai 2002 22:41
An: Sabine Laister
Cc: Lehrerforum
Betreff: Re: LF: AW: Re: sprachfalle?
S.g. Frau Laister!
Den letzten Beiträgen der Kollegen Friebel und Wittek entnehme ich, daß unsere Diskussion immer noch mitgelesen wird, also mache ich weiter übers
LF:
Laut Duden heißt "Polarisierung": "Aufspaltung (in zwei Lager o.ä.), bei der die Gegensätze deutlich hervortreten; Herausbildung einer Gegensätzlichkeit"
Ich fühl(t)e mich bemüßigt, Ihnen gegenüber die Polarisierung zu
verteidigen;
nicht, weil ich sie für ein Allheilmittel hielte, sondern weil ich Ihre grundsätzliche Denunziation der P. für verfehlt halte. Es ist schon richtig, daß sie manchesmal mißbraucht wird, um Gegensätze zu konstruieren, wo gar keine sind, aber es gibt doch wohl auch Sachverhalte, die tatsächlich klar divergent sind, und die auch als solche beschrieben werden müssen. Wenn man sich in solchen Fällen um eine klare Stellungnahme drückt (z.B. aus Harmoniesucht oder mangelnder Zivilcourage), dann handelt man unehrlich.
Damit die Sache nicht zu theoretisch wird: Wenn ein Jörg Haider den Verfassungsgerichtshof infrage stellt, weil ihm eine Entscheidung nicht paßt, oder wenn eine Vizekanzlerin von der paktierten Lohnnachzahlung für 2002 nichts mehr wissen will, dann ist das ein Bruch der Spielregeln. Den braucht man nicht hineinzuinterpretieren, der ist für jedermann erkennbar, und der gehört auch laut und deutlich angeprangert. In so einem Fall ist Polarisierung angebracht - in dem einen Lager gilt der Grundsatz "pacta sunt servanda", im anderen Lager nicht.
Vielleicht ist es Ihnen nicht bewußt, aber Ihr Einleitungssatz "Polarisieren heißt für mich einmal grundsätzlich, daß Gegensätze geschafft {gemeint
offenbar: 'geschaffen'] werden", ist ein Fall von semantischem Kidnapping. Sie nehmen einen harmlosen und wertneutralen Begriff her (siehe o.a.
Duden-Zitat) und unterstellen ihm die "Schaffung" von Gegensätzen. Mit dem Vokabel "schaffen" insinuieren Sie die Erzeugung eines Kunstproduktes, d.h. die behaupteten Gegensätze gäbe es gar nicht wirklich. Der Duden läßt aber in seiner Definition die Gegensätze "hervortreten", und das ist etwas ganz anderes, denn das setzt voraus, daß sie auch wirklich da sind.
Es bleibt Ihnen natürlich unbenommen, sich Ihrer eigenen Privat-Semantik zu bedienen, aber wenn Sie dafür Begriffe heranziehen, die landläufig etwas anderes bedeuten, dann wird die Sache verwirrend.
Und wenn man sich einen Begriff einmal zurechtgebogen hat, dann kann man ihn natürlich für alles mögliche verwenden.
Als ein im Grunde seines Herzens boshafter Mensch schließe ich mit einem Zitat von Ihnen aus Ihrem letzten Absatz: "Die Methode, mit der man etwas macht, ist sehr wohl ein Bestandteil der Qualität dessen, was man macht."
MfG Erich Wallner
Sabine Laister wrote:
> S.g. Herr Wallner
>
> Polarisieren heißt für mich einmal grundsätzlich, dass Gegensätze
geschafft
> werden. Das funktioniert am besten, indem man die Realität möglichst
simpel
> darstellt (schwarz-weiss war das in meiner Diktion) und diese
> Darstellung dann noch mit ebenso simplen (und meistens meistens nicht
> explizit deklarierten weil dann leicht angreifbaren) emotionalen
> Werten unterlegt. Genau das passiert, wenn Menschen gegeneinander
> aufgehetzt werden. Sie werden in möglichst leicht erkennbare Gruppen
> eingeteilt und die jeweils "anderen" werden mit negativen Werten
> belegt. Je mehr das Selbstbild von Einzelnen sich über die
> Zugehörigkeit zu einer Gruppe (Berufsstand, Nationalität,
> Fussballverein, Hautfarbe, Partei, wasauchimmer) definiert, desto
> anfälliger sind diese Einzelnen für Verhetzung.
>
> Und eine differenzierende Sicht der Dinge heisst, die Gültigkeit
> simpler Darstellungen (die eben Grundlage der Polarisierung sind) zu
> hinterfragen, wobei man schon mit ein bißchen Einsatz der grauen
> Zellen unweigerlich zu dem Schluß kommt, "na Moment, so einfach ist
> das nicht!" Dann wirds eine Spur unbequemer, dann muss man sich
> nämlich nach anderen Darstellungen der Realität umschauen und von
> Stammtisch und Bierzelt Abschied nehmen. Das
hat
> nicht das Geringste mit Harmoniesucht zu tun, was auch immer das genau
> heissen mag.
>
> Und Proporz, wenn ich daran erinnern darf, heisst nichts anderes als
> ein proportionelles Verhältnis, in diesem Fall proporzionelles
Machtverhältnis.
> Der Grund, warum das Wort eine negative Bedeutung hat, ist nicht die
Frage,
> wie die Macht verteilt wurde und wird, sondern wie die verteilte Macht
> gebraucht wurde und wird. Das Problem ist, dass zu viele von denen,
> die an der Macht sind, ständig vergessen, dass sie für ALLE
> verantwortlich sind, die unter ihrer Macht stehen und nicht nur für
> die, die sie an die Macht gebracht haben. Manche vergessen ihre
> Verantwortung überhaupt, hat man oft genug den Eindruck. Womit wir
> wieder beim Handlungsethos wären.
>
> Und übrigens, die Methode, mit der man etwas macht ist sehr wohl ein
> Bestandteil der Qualität dessen, was man macht. Schaun sie doch in die
> Klassenzimmer! Schauen Sie irgendwohin! Inhalt+Methode=Qualität
(zugegeben,
> das ist jetzt auch ein bisschen simplifiziert)
>
> MfG
> sl
>
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