Sehr geehrter Kollege Wallner
Entschuldigen Sie, wenn ich mich in die Diskussion mit Kollegin Laister einmische. Aber ich komme nicht umhin, hier einige Gedanken einzubringen. Betreffend Wehrmachtsausstellung: Ich möchte Ihre Frage an Koll. Laister mit einigen Gegenfragen an Sie beantworten: Wurde Ihrer Meinung nach im Zuge der Wehrmachtsausstellung ausreichend zwischen braven und grauslichen Wehrmachtssoldaten differenziert? War die begleitende Polarisierung in irgend einer Form konstruktiv? Haben jetzt die seinerzeitigen Pro- und Contrademonstranten eine gemeinsame Lösung gefunden, um das "Problem" endgültig vom Tisch zu wischen?
Abtreibung: Ist Ihrer Meinung nach diese Frage wirklich so gelöst, dass alle zufrieden sein können? Gerade diese Auseinandersetzung zeigte ganz deutlich, dass im Zuge von gesellschaftlicher Polarisierung erstens eklatante Unwahrheiten verbreitet werden konnten und schlussendlich gemäß der politischen Mehrheit (Absolute!!!) entschieden wurde. Oppositionelle Gedanken mutierten zur Bedeutungslosigkeit. Real existierende Gegensätze wurden in dieser Angelegenheit überhaupt nicht ausdiskutiert. Wie viele sind noch heute über diese Entscheidung frustriert?
Hainburg: Glauben Sie, dass unter Kreisky die Polarisierung auch auf diese Art gelöst worden wäre? Da hätte die ganze Polarisierung nichts genützt. Sachprobleme, die zu einer Spaltung der Gesellschaft führen, müssen irgendwann auch einer Lösung zugeführt werden. Sinowatz hatte Glück mit der Hainburg-Nachdenkphase. In der Zwischenzeit bot sich das Projekt Freudenau an und danach war es wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll, ein Donaukraftwerk zu bauen. Aber die meisten anderen Probleme müssen einer Lösung zugeführt werden. Je mehr im Vorfeld einer solchen Entscheidung polarisiert wird, desto größer ist der Frust der Benachteiligten. Und Frust ist ein schlechter Ratgeber. Wen ich in meiner Klasse ein Thema stark polarisere, werde ich nach einer endgültigen Entscheidung wohl größere Probleme mit den Unzufriedenen haben als wenn ich alle Probleme sachlich diskutiere und Polarisierung tunlichst vermeide. Schönen Pfingstmontag J.Zwickl
----- Original Message -----
From: "Erich Wallner"
To: "Lehrerforum"
Sent: Sunday, May 19, 2002 7:37 PM
Subject: Re: LF: sprachfallenhaarspalten
> S.g. Frau Laister!
>
> 1. Die Bibel habe ich nur in Ermangelung von etwas Besserem zitiert.
> In dieser Verlegenheit bin ich nun nicht mehr: "... eine
> differenzierende Sicht der Dinge heißt,die Gültigkeit simpler
> Darstellungen (die eben Grundlage der Polarisierung sind) zu
> hinterfragen ..." (S. Laister, 17.5.2002, 13:28, LF)
>
> Indem ich meinen letzten Beitrag einer differenzierenden Sicht des
> Begriffes "Polarisierung" (unterschieden nach der Fasson Duden und der
> Fasson Laister) gewidmet habe, habe ich mir das Urteil "haarspalten"
> im Betreff eingehandelt. (Ich nehme doch nicht an, daß Sie es auf Ihre
eigenen
> Ausführungen gemünzt haben.)
>
> Unter Ihren Händen, s.g. Frau Laister, mutieren also nicht nur
> Wörterbuch-Definitionen, sondern sogar Ihre eigenen! Was der einen
> ihre "differenzierende Sicht der Dinge", ist Haarspalterei bei einem
> anderen.
>
> 2. Wenn Sie es ablehnen, daß real existierende Gegensätze mittels
> Polarisierung "instrumentalisiert" werden, und darunter u.a. ein
Hervorrufen
> eines "Lager"-Denkens verstehen, dann stelle ich Ihnen am besten ein
> paar
> Fragen:
>
> a) Die Wehrmachtsausstellungen I und II zeig(t)en, daß es anständige
> und unanständige Soldaten gegeben hat. Daß sie zu einer Polarisierung
> geführt hat, ist wohl unbestreitbar. Verstehe ich Sie richtig, daß Sie
> also die Wehrmachtsausstellung am liebsten verbieten würden?
>
> b) Die Anklage im Milosevic-Prozeß will M. als Verbrecher überführen;
> in
den
> Medien hören wir von Demonstrationen serbischer Patrioten für den
> letzten Verteidiger des wahren Serbentums. Viel polarer geht es nicht
> mehr - Schlußfolgerung?
>
> c) Können Sie sich noch an die Diskussionen pro und contra Abtreibung
> in
den
> 70er-Jahren erinnern? KindesmörderInnen auf der einen Seite und "mein
Bauch
> gehört mir" auf der anderen? Hätte man das Thema lieber ruhen lassen
sollen
> und den Paragrafen nicht anrühren?
>
> d) Herbst / Winter 1984 - Hainburger Au: der gewaltbereite
> kommunistische Mob linksradikaler Wiener Bürgerkinder auf der einen
> Seite und aufrechte Gewerkschafter auf der anderen. Keine
> Polarsierung? Noch Jahre danach
weinte
> Verbund-General Freymuth jedem Kilowatt Strom nach, welches ungenützt
> die Donau hinunterschwamm. Sinowatz hat hintennach abgewiegelt - aber
> was
hätten
> Sie vorher getan?
>
> Mit neugierigen Grüßen Erich Wallner
>
> (P.S. Ich nehme jetzt eine Aus-Zeit von drei Tagen für die Erforschung
> der Buckligen Welt. Kein Kneifen!)
>
>
> Sabine Laister wrote:
>
> > S.g. Herr Wallner
> >
> > Ich entnehme der Anzahl von Mails in meiner Mailbox, dass noch
> > einige
mehr
> > (schon sehr überraschend, wer da aller mitliest!) unsere Diskussion
> > verfolgen. Danke für das nette Feedback. Soooo privat scheint meine
Semantik
> > ja doch nicht zu sein.
> >
> > Lieber Herr Wallner, es ist zwar vermutlich nicht als Kompliment
gemeint,
> > aber ich bedanke mich trotzdem dafür: Sie haben bis jetzt immerhin
> > neben nichts geringerem als der Bibel und dem Duden nun auch mich
> > zitiert.
Ehrt
> > mich zutiefst. (Macht mich aber trotzdem nicht zur grossen Freundin
> > von
> > Zitaten.)
> >
> > Im Übrigen muss ich Ihnen gestehen, dass Ihre Ausführungen diesmal
> > für
mich
> > über weite Strecken nicht ganz so leicht verständlich sind. Ob das
> > an
meiner
> > Auffassungsgabe oder an Ihrem Text liegt, mögen andere beurteilen.
> > Ich
kann
> > mich jedenfalls des Eindruckes nicht erwehren, dass wir ein bisschen
> > aneinander vorbeischreiben.
> >
> > Korrigieren Sie mich bitte, wenn ich das falsch verstanden habe: Sie
> > schätzen klare Stellungnahmen zu Sachverhalten, wer die nicht von
> > sich
gibt
> > ist entweder harmoniesüchtig oder hat keine Zivilcourage. Warum
> > diese Sachverhalte "divergent" sind (oder sein müssen?), und was
> > das mit Polarisierung zu tun hat, kann ich nicht nachvollziehen.
> > (zugegeben: ist
im
> > Grunde mein Problem)
> >
> > Die Polarisierung, die ich meine, hat im gängigen Sprachgebrauch (wo
> > er
im
> > Gegensatz zum Duden weder harmlos noch wertneutral ist) etwas mit
> > einer grossen Gruppen von Menschen zu tun ("Polarisierung einer
Gesellschaft").
> > Ich verstehe sie als (weder harmlosen noch wertneutralen)
> > schleichenden, schwer fassbaren Prozess der Frontenbildung in dieser
> > Gruppe, der zuerst über weite Strecken nur an Details erkennbar ist:
> > An Aussagen im öffentlichen Diskurs, an einzelnen Reaktionen von
> > Menschen aufeinander
im
> > Alltag, etc. Später dann an der Häufigkeit und/oder Vehemenz, mit
> > der in
den
> > verschiedensten Situationen ein Bekenntnis zum einen oder anderen
"Lager",
> > zur einen oder anderen Gruppe gefordert oder unterstellt wird (damit
> > man dann auch ordentlich seine Vorurteile ausleben kann). An der
> > Häufigkeit und/oder Vehemenz, mit der die Verweigerung eines solchen
> > Bekenntnisses
als
> > Schwäche heruntergemacht wird. (liebe Grüsse von der lauen Seite!)
> > Die Gegensätze sind natürlich immer da (ich bekenne mich zur
Ungenauigkeit
> > im Ausdruck!), genauso wie Meinungsverschiedenheiten, Konflikte,
> > Unterschiede. Die Polarisierung, die ich meine und ablehne,
> > instrumentalisiert sie. Und DAgegen wehre ich mich.
> >
> > Entschuldigens, dass ich Sie wieder mit meiner "Privat-Semantik"
behellige.
> > Ich erlaube mir, meinen Kopf gelegentlich für die Entwicklung
> > eigener Gedanken zu verwenden. Ich kann aber leider nicht
> > versprechen, dass ich
Sie
> > damit nicht mehr verwirre. Sollte es zu schlimm werden und ihr
> > Mitleid
mit
> > den zurechtgebogenen Begriffen unerträglich werden, empfehle ich
> > freundlichst, einfach von der Lektüre Abstand zu nehmen.
> >
> > Andernfalls in sehnlicher Erwartung Ihrer Erwiderung
> >
> > sl
> >
> >
> >
> >
>
>
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e-mail
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