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Auch in der Bildungspolitik ist die Steuerfrage das Maß
aller Dinge

An Österreichs Schulen und Universitäten wird heftig
reformiert. Die beabsichtigten Änderungen unterscheiden
sich von früheren Reformbemühungen innerhalb des
Bildungswesens fundamental. Ging es in den letzten
Jahrzehnten organisatorisch vor allem um den Ausbau des
staatlichen Schul- und Universitätsnetzes, um die
Erweiterung des freien Zugangs zur Bildung für alle
StaatsbürgerInnen, um die Ausweitung des
Bildungsangebotes und um die Errichtung von
demokratischen Strukturen der Mitbestimmung innerhalb der
Bildungseinrichtungen sowie inhaltlich um die
Orientierung an einem Bildungsbegriff im Sinne der
europäisch humanistischen Tradition, so steht nun die
Zerschlagung des Erreichten im Zentrum der politischen
Bemühungen.

Seit Jahren haben wir es mit einem bildungspolitischen
Reformeifer zu tun, der all jene Errungenschaften, die
dem österreichischen Bildungswesen einen guten
internationalen Ruf und eine hohe Zufriedenheit aller
Beteiligten beschert haben, zu zerstören trachtet. Unter
dem Schlagwort „Autonomie“ werden sowohl an den
Universitäten als auch an den Schulen strukturelle und
inhaltliche Bedingungen geschaffen, um Bildung als Ware
den Gesetzen des sogenannten freien Marktes zu
überantworten.

Die Weichenstellungen für diese Bildungspolitik wurden
auf internationaler Ebene getroffen. Bereits 1994 wurde
durch die WTO im Rahmen des GATS-Abkommens (General
Agreement on Trade in Services) beschlossen, auch
Bildung als handelbare Ware grenzüberschreitend
dem „freien Markt“ unterzuordnen. Einige Jahre später
erklärten die 15 EU-Mitgliedsstaaten auf einer Konferenz
in Lissabon die Heranbildung zu
konkurrenzfähigen „Humanressourcen“ als vorrangiges Ziel
der europäischen Bildungspolitik für die nächsten 15
Jahre. Der Mensch, begriffen als schnell verwertbarer
Rohstoff, nicht als zu bildendes Wesen, ist das neue
Credo.

An den Universitäten sollen durch das Universitätsgesetz
2002 demokratische Strukturen durch autoritäre ersetzt
werden, welche den ideologischen Einfluss von Politik und
Wirtschaft auf Lehre und Forschung garantieren sollen.
Die Einführung von Studiengebühren hat für viele
BürgerInnen den Zugang zur universitären Bildung
erschwert.

Auch an den Schulen wird die Privatisierung der Bildung
zügig vorangetrieben: Direktoren werden zu Managern, die
Pragmatisierung der LehrerInnen wird in Frage gestellt,
Schulstandorte werden geschlossen, Lehrerplanstellen
abgebaut, das Bildungsangebot wird reduziert, die
finanziellen Zuwendungen des Staates werden eingefroren
bzw. in wichtigen Bereichen gekürzt, die ersten Schulen
sind auf der Suche nach Sponsoren. In den Lehrplänen
wurde der Bildungsbegriff durch den Ausbildungsbegriff
ersetzt, die Oberstufenreform zielt auf einen weiteren
Ausbau der Autonomie und somit auf eine zusätzliche
Möglichkeit der Einflussnahme der Wirtschaft auf das
Ausbildungsangebot.

Wo immer sich Betroffene und Interessensvertretungen
gegen diese österreichische Bildungspolitik zur Wehr
setzen, werden sie mit einer scheinbar zwingenden Logik
konfrontiert: Wir können uns diese Bildungspolitik nicht
mehr leisten. Einsparungen, Ausgliederungen und
Privatisierungen seien daher langfristig unumgänglich.


Mitunter sind sie es auch selbst, die - diese
Argumentation für schlüssig haltend – den Reformeifer der
Systemzerstörer sogar noch unterstützen und so an der
Demontage des Bildungswesens nicht ganz unbeteiligt sind.
Unter dem Druck des als notwendig ausgegebenen Abbaus von
Leistungen des Staates geht es vielen nur mehr darum,
dabei selbst möglichst ungeschoren davonzukommen. Dass
die neuen Abhängigkeiten, in die sie sich dabei begeben,
ihre Arbeitsbedingungen und materiellen
Lebensverhältnisse hingegen noch rapider und nachhaltig
verschlechtern werden, wird vielfach noch nicht
ausreichend wahrgenommen, ebenso wenig die Tatsache, dass
die Reformen vor allem auch auf den sogenannten
Mittelstand abzielen. Übersehen wird dabei auch, dass
diese tatsächlich gegebene Finanznot des Staates keine
naturgegeben und faktisch unumgängliche ist, sondern eine
ideologisch und politisch verursachte und gewollte.
Denn tatsächlich entsteht diese nur, indem die Mehrheit
der Bevölkerung einer immer reicher werdenden
österreichischen Volkswirtschaft es hinnimmt, dass die
Vermögenden und Besitzenden ihre Beiträge zum
Staatshaushalt minimieren und über eine Umverteilung der
Wertschöpfung von unten nach oben immer vermögender
werden. Als Besitzende (Ca. 10% der ÖsterreicherInnen
besitzen bereits über 50% des Volksvermögens!) sind sie
auf Sozialleistungen des Staates nicht angewiesen. Sie
sind es auch, die von der beabsichtigen Steuersenkung von
derzeit etwa 46% auf 40% (Ankündigung des
Finanzministers) profitieren würden. Für die Mehrheit der
österreichischen BürgerInnen jedoch würde dies bedeuten,
dass diese steuerliche Entlastung zu einer deutlichen
Erhöhung ihrer Selbstbehalte im Bereich des gesamten
Sozial- und Bildungswesens führen würde.
Die von der Wirtschaft geforderte Senkung der
Lohnnebenkosten hätte eine ähnliche Wirkung zur Folge.
Unterm Strich wären sie nicht die Gewinner, sondern
wieder einmal die Verlierer dieser „Reformen“.

Viele im Bildungswesen Tätige und Betroffene setzen sich
zu Recht gegen die Absichten der Regierung zur Wehr.
Streiks an den Universitäten sind ein Ausdruck davon. Die
Vorarlberger LehrerInnen versuchen die bei ihnen
angewachsene Protestbewegung auf Wien zu übertragen und
organisieren einen Protest-Zug von Vorarlberg bis zum
Wiener Minoritenplatz. Doch unter dem Motto „Gegen die
neoliberale Sparpolitik auf dem Rücken der Bildung!“
versäumen sie es, die Ursachen für den Bildungsabbau
ausreichend aufzuzeigen und den Kern der Problematik in
den Mittelpunkt ihres Protests zu stellen: die
Steuerfrage und damit die Frage der Umverteilung.

Wenn wir nämlich dem Bildungsabbau etwas entgegensetzen
wollen, wenn wir – ob Gewerkschaften, Lehrer-, Schüler-
oder Elterninitiativen – weiterhin ein Bildungswesen in
diesem Lande haben wollen, welches zum Wohle der Mehrheit
der StaatsbürgerInnen funktioniert, dann müssen wir klar
sagen, dass die Frage der Finanzierbarkeit eines solchen
Bildungswesens nur eine Frage der Umverteilung ist. Ein
staatliches Bildungswesen für alle StaatsbürgerInnen ist
finanzierbar, wenn wir auf eine Änderung der
österreichischen Steuerpolitik pochen.

Was wir brauchen, ist nicht eine Steuerreform, welche die
Zurückdrängung des Staates weiter beschleunigt und die
Kosten für die Mehrheit der BürgerInnen – sei es im
Bildungswesen oder in anderen Bereichen - in die Höhe
schnellen lässt, sondern eine Reform des Steuersystems.
Die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe, eine Anhebung
der Besteuerung von Vermögen sowie der Stiftungen, die
Einführung einer Tobinsteuer würden dem Staat wieder jene
Mittel zur Verfügung stellen, die er zur
Aufrechterhaltung seiner Aufgabenbereiche zum Wohle der
Mehrheit der Bevölkerung benötigt.

Nur ein Drängen auf eine Reform des Steuersystems, eine
Volksabstimmung über die Steuerfrage, kann die Antwort
auf eine Bildungspolitik des „freien Marktes“ sein. Wenn wir dies nicht erkennen, werden wir über das
Bedauern der derzeitigen Entwicklung im Bildungsbereich
nicht entschieden hinauskommen!


Wien, 2002-05-20

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